• 16. November 2024

Wertloses bitte entsorgen: Willkommen in der Wegwerfgesellschaft

ByJörg

Jul 29, 2024

Im alten Haus meiner Großmutter, welches ihre Vorfahren nachweislich seit 1750 bewohnten, stehen bis heute die alten Betten der Großeltern. Ich erinnere mich sogar noch an die alten Matratzen. Es waren jeweils drei Einzelstücke pro Bett. In den graublauen Stoffen waren florale Muster in mattem Gold eingewoben.

Großmutter hatte noch einen Kopfkeil, ebenfalls in Matratzenqualität gefertigt. Großvater hatte zudem irgendwann vier Backsteine unter die Pfosten unterhalb des Kopfteils gelegt, „gegen das Sodbrennen“, wie er sagte. Der Oberkörper war dadurch nämlich etwas höher gelegen. Opa war Herrschaftskoch und hatte eine Magensache mit in die Pension genommen.

Heute liegen moderne Matratzen darin, die Betten stehen aber immer noch wackelfrei. Nur der Lack ist an der einen oder anderen Stelle etwas angeschlagen, man sieht daran, dass die Großeltern immer bemüht waren, mit dem richtigen Bein zuerst aufzustehen.

Ich erzähle Ihnen diese Vorgeschichte, weil eine Nachbarin mir gerade strahlend berichtete, sie habe ein Bett geschenkt bekommen. Auf Nachfrage ergibt sich folgender Sachverhalt:

Im Nachbarhaus war mal wieder Bettenwechsel angesagt, also wurde eines bei Otto bestellt. Ohne Matratzen ist das erschwinglich. Die sollten nochmal extra nach Angebotslage bestellt werden. Die Lieferung kam in zwei Paketen binnen einer Woche. Otto liefert im Auftrag eines Verkäufers. Aber damit wollen wir uns hier gar nicht länger aufhalten, es ist wohl so etwas, wie ein Shop-im-Shop-System.

Jedenfalls stand die Nachbarin vor den beiden großen Paketen, öffnete eines um schnell enttäuscht festzustellen, dass die Maße, die Farbe oder sonst etwas nicht passten. Umtausch war angesagt. Nichts Außergewöhnliches, die Retourescheine sind schnell ausgedruckt, aber wo genau sind sie zu finden?

Also, so erzählt sie weiter, schrieb sie eine E-Mail mit der Bitte um Retoure bei Otto. Der Versand spielt hier stille Post für den Betten-Shop und der schreibt über Otto zurück:

„Hallo, vielen Dank für Ihre Nachricht und es tut uns leid, dass das Produkt nicht ihren Erwartungen entsprochen hat. Wir können Ihnen 50 Euro als Entschädigung anbieten. Ist das in Ordnung? Mit freundlichen Grüßen“

Nachbarin versteht nicht sofort, was überhaupt gemeint ist. Es muss wohl so sein, dass der Shop im Otto-Shop ihr angeboten hat, 50 Euro zu schicken, wenn sie das Bett doch behalten will. Das möchte sie aber nicht und teilt es Otto auch gleich mit.

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Dann erreicht die Nachbarin eine weitere von Otto umgeleitete E-Mail des Betten-Shop. Ihr wird jetzt mitgeteilt, dass die Erstattung des Betrages vorbereitet und das Geld überwiesen wird. Und was das Bett und die Rücksendung betrifft, wird die Nachbarin gebeten, es nicht zurückzusenden, sondern einfach selbst zu „entsorgen“.

Die Wegwerfgesellschaft in Reinkultur.

Nicht einmal mehr das Unternehmen selbst glaubt noch an die Qualität ihrer Produkte. Eine Rücknahme lohnt nicht; das Porto, die Neuverpackung und Prüfung des Inhaltes des einmal entpackten Bettes sind nicht rentabel. Auch sind solche Unternehmen an staatlicherseits viel engmaschiger überprüfte Entsorgungssysteme gebunden, sodass die Eigenentsorgung mit mehr Aufwand verbunden ist als bei meiner Nachbarin.

Die ganze Bigotterie wird da erkennbar wo parallel Obst und Gemüse in Supermärkten nicht mehr „entsorgt“ werden darf und sich ganze Unternehmenszweige darum gebildet haben, etwa abgelaufenes und vereinsamtes Gemüse preiswerter abzugeben und dieses Geschäft obendrein als „nachhaltig“ zu labeln.

Ich verrate wohl nicht zu viel, wenn ich weitertratsche, dass meine Nachbarin das Bett jetzt auf Kleinanzeigen eingestellt hat. Für sie hat es sich demnach richtig gelohnt, jedenfalls dann, wenn sich ein Abnehmer findet.

Und um den Bogen zu bekommen: Das Bett der Großeltern quietscht nicht, wen man sich darin dreht. Was hier im Fachwerkhaus Geräusche macht, ist der alte Dielenboden darunter, der jede Bewegung einfach in das alte Gebälk weiterleitet. So ein altes Haus ist halt eine richtige Persönlichkeit mit Eigenleben. Inklusive zweier uralter solider Bettgestelle.

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Author:
Alexander Wallasch

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