• 15. November 2024

Warum Donald Trump jetzt Rudi Dutschke ist

ByJörg

Jul 14, 2024

„Let me get my shoes!“ Ein Satz, der so gar nicht zu diesen paralysierenden Momentaufnahmen des Attentatsversuchs auf Trump passen will. Der aber gerade deshalb eine besondere einprägende Wirkung entfaltet.

„I Can’t Breathe“ ist ein Satz, der in Verbindung mit jenen Filmsequenzen des von Polizisten am Boden fixierten und später verstorbenen Afroamerikaner Eric Garner zu einer kämpferischen Parole der „Black Live Matter“-Bewegung wurde. Sicher vergleichbare hypnotische Mechanismen, aber mit Blick auf Donald Trump politisch in einem weit entfernten Paralleluniversum verortet.

„Let me get my shoes!“ hat das Zeug, zur Parole einer politischen Bewegung zu werden. Warum Trump seine Schuhe nicht mehr trug, erschließt sich nicht sofort. Zog er sie zuvor aus Bequemlichkeit aus, damit der immerhin schon 78-Jährige ausgeruhter seine Wahlkampfrede übersteht, so wie sich Obama oft vor Ansprachen die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte? Weshalb sollte der Secret Service Trump nach dem Attentatsversuch die Schuhe ausgezogen haben?

Die Kombination „Schuhe und Attentat“ ist selten, aber nicht einmalig. Womöglich erinnern sich Historiker an die Schüsse auf den deutschen Studentenführer Rudi Dutschke. Der zog sich nämlich die Schuhe aus, als er in Berlin niedergeschossen wurde. Schwarzweiß-Aufnahmen dieser von der Polizei mit Kreide ummalten flachen Lederboots haben sich tief in das Gedächtnis der 68er-Bewegung eingegraben.

Dem deutschen Filmproduzent Bernd Eichinger ist es in seiner Karriere mindestens zwei Mal gelungen, Bilder zu produzieren, die Momente der Geschichte als neue Platzhalter überlagern. Wer heute über Hitler nachdenkt, kommt an der Darstellung von Bruno Ganz in „Der Untergang“ nicht mehr vorbei. Das gleiche gilt für die Protagonisten der Roten Armee Fraktion in „Baader-Meinhof-Komplex“. Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck sind Baader und Meinhof. Und Sebastian Blomberg ist Rudi Dutschke, der von Tom Schilling alias Josef Bachmann niedergeschossen wird: „Du dreckiges Kommunistenschwein.“

„Let me get my shoes!“ Der Blick über den großen Teich und hinüber zu Rudi Dutschke ist noch aus einem ganz anderen Grund von Interesse. Diese Zeitreise zurück ins Jahr 1968 markierte nämlich einen Wendepunkt in der deutschen Geschichte: Das Attentat auf Studentenführer Dutschke stand ganz am Anfang einer Umwälzung, die über eine große Empörung und den Marsch durch die Institutionen letztlich in der politischen Ideologie der Ampelregierung mündete.

Der langjährige Taz-Autor Peter Unfried wird später in einem Interview sagen, seine größte Leistung sei es gewesen, eine Rudi-Dutschke-Straße in Berlin durchzusetzen, die auch noch direkt auf die Axel-Springer-Straße stößt, benannt nach dem Verleger und Gründer des gleichnamigen Verlags, der „Bild“, „Welt“ und weitere auflagenstarke Zeitungen herausgibt.

Als Dutschke niedergeschossen wurde, entlud sich der Hass der linken Studenten auf den Springer Verlag. Ein Slogan lautete damals: „BILD hat mitgeschossen!”. „Springer – Mörder!“ skandierten Demonstranten, nachdem Rudi Dutschke durch drei Schüsse lebensgefährlich verletzt wurde.

In den Monaten vor dem Attentat auf Dutschke kannten der Hass und die Hetze der Springerpresse keine Grenzen mehr. Die „Bildzeitung“ veröffentlicht auf der Titelseite Fotos, auf denen der Studentenführer mit einem weißen Fadenkreuz markiert war. Der grüne Politiker Hans-Christian Ströbele war damals Anwalt von Dutschke. Er beschrieb seine Gefühle gegenüber dem Deutschlandfunk:

„Für uns stand fest, dass dieses Attentat auf die Hetze gegen die Außerparlamentarische Opposition und gegen Rudi Dutschke insbesondere zurückzuführen war, die wir jeden Tag erleben mussten.“

Und Ströbele erzählte, was dann passierte:

„Wir waren so aufgebracht, dass wir sagten: Man muss dem Springer-Verlag das Handwerk legen, man muss die Produktion dieser Art von Meinungsmache unterbinden.“

In der kommenden Nacht brannten die Lieferwagen von Springer. Die Feuerwehr rückte mit Löschzügen an. Die Fassade und Fenster des Verlagshauses wurden mit Steinhageln eingedeckt. In zahlreichen weiteren deutschen Großstädten kommt es zu Ausschreitungen, Protestkundgebungen und Krawallen. Der Deutschlandfunk schrieb:

„Der ,Marsch auf Springer‘ ist der Auftakt zu den schwersten Straßenunruhen, die die Bundesrepublik bis dahin erlebt hat.“

Was das alles mit Donald Trump zu tun hat? Der Präsidentschaftskandidat 2024 hat wie kein anderer vor ihm den Hass des politischen Gegners auf sich gezogen. Der amtierende Präsident Joe Biden selbst soll noch kurz zuvor gesagt haben, man werde Trump ins „Fadenkreuz nehmen“. Die US-amerikanischen Medien jagen Trump schon seit Jahren durch die Arena.

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Autorin Cora Stephan titelte heute für die „Weltwoche“:

„Zum Abschuss freigegeben: Warum die Medien ,Hass und Hetze‘ gegen Donald Trump salonfähig machten – und es nur eine Frage der Zeit war, bis es zum Attentat kam.“

Als Attentatsopfer des polit-medialen Komplexes teilt Donald Trump jetzt das Schicksal des linksradikalen deutschen Studentenführers, auch wenn es für den Amerikaner deutlich glimpflicher ausging. Dutschke starb Jahre später an den Folgen des Attentats, er soll ganz jämmerlich in seiner Badewanne ertrunken sein.

Cora Stephan schreibt weiter über Trump:

„,Hass und Hetze‘ gegen ihn ist in den USA salonfähig. Und erst recht im deutschen politmedialen Milieu, wo er gern, als Wiedergänger Hitlers, zwecks ,Rettung der Demokratie‘ zum, sorry, Abschuss freigegeben wird.“

Aber Trump ist nicht Dutschke und Bruno Ganz ist nur ein Schauspieler, der den Führer spielte. Adolf Hitler selbst überlebte wie durch ein Wunder das Attentat vom 20. Juli fast unverletzt. Er bekam keinen Schuss ins Ohr, wie Trump. Hitler blutete aus den Ohren, ihm waren die Trommelfelle von Stauffenbergs Bombe geplatzt.

In einer Rundfunkansprache am 21. Juli um 1 Uhr nachts wandte sich Hitler an die Deutschen. „Ich fasse das als eine Bestätigung des Auftrags der Vorsehung auf“, erklärte der das Attentat überlebende Hitler, „Ich ersehe daraus auch einen Fingerzeig der Vorsehung, dass ich mein Werk weiter fortführen muss.“

Donald Trump wandte sich heute an seine Landsleute und Anhänger mit den Worten:

„It was God alone who prevented the unthinkable from happening. Wie will FEAR NOT, but instead remain resilient in our Faith an Defiant in the Face of Wickedness.”

(Es war Gott allein, der das Undenkbare verhindert hat. Wir werden uns nicht fürchten, sondern in unserem Glauben unverwüstlich und im Angesicht des Bösen trotzig bleiben. – deepl)

Dieser vollkommen unmögliche und geradezu ungeheuerliche Vergleich steht hier übrigens nur deshalb, weil es schon jetzt prominente Stimmen in den sozialen Medien gibt, die es bedauern, dass das Attentat auf Trump missglückt ist. Und diese Leute treten mit ihren Echtnamen auf. Jan Böhmermanns Gagschreiber – natürlich finanziert von Zwangsgebühren – verglich den Schuss auf Trump via X mit einem Bus samt dem Kommentar „leider knapp verpasst“. Außerdem postete er: „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.“

Trump ist nicht Hitler. Und Trump ist auch nicht Rudi Dutschke. Aber Trump erlebte gestern, was auch Dutschke 56 Jahre zuvor erleben musste, was passiert, wenn der polit-mediale Komplex in seinem Hass und seiner Hetze so weit geht, dass die Aufgehetzten zur Waffe greifen und schießen.

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