Aktuell fragen sich viele Deutsche, wer ist eigentlich dieser Jürgen Elsässer, dem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gerade so viel Aufmerksamkeit zu teil hat werden lassen, als sie die verlegerische und journalistische Arbeit des 67-jährigen verbieten ließ.
Erstaunlich ist zunächst einmal der mutmaßlich gegenteilige Effekt des Verbots: Mittlerweile verteidigen relevante Personen und Medien Jürgen Elsässer, die früher noch einen großen Bogen um dessen Produkte gemacht haben. Möglicherweise weil sie ihnen zu politisch, zu knallig und zu reißerisch waren.
Auch ein interessanter Aspekt: Wer darüber nachdenkt, woran ihn der Stil der Elsässer-Produkt in Bezug auf die Medien und Neuen Medien erinnert, der landet wahrscheinlich am ehesten bei der Bildzeitung, bei Julian Reichelt und Nius. Warum? Beide Publikationen sind besonders schnell und direkt. Und beide nutzen eine Vielzahl von Kanälen.
Wer ist Jürgen Elsässer? Viele meinen mal irgendwo gelesen zu haben, dass er einmal ein strammer Linker gewesen sein soll. Viel mehr aber nicht. Elsässer hat wahrscheinlich einen der längsten Wikipedia-Einträge als Person der Zeitgeschichte. Etliche Autoren haben sich an ihm abgearbeitet.
Was die berichtenden Medien aktuell erstaunlicherweise sprichwörtlich links liegen lassen, ist eine zurückliegende Zusammenarbeit zwischen Jürgen Elsässer und Sahra Wagenknecht. Und in dem Zusammenhang offenbart sich gleich eine interessante Auslassung bei Wikipedia: Hat es damit zu tun, dass überwiegend linke Aktivisten anonymisiert am Wikipedia-Elsässer-Artikel schreiben und geschrieben haben?
Unter „Schriften“ sind zunächst 18 Bücher aufgelistet mit der Autorenschaft „Jürgen Elsässer“. Unter anderem eine Schrift von 1996, erscheinen bei „Konkret“ unter dem Titel: „Vorwärts und vergessen? Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus.“
Wikipedia hat hier allerdings vergessen, dass Sahra Wagenknecht eine Co-Autorin ist. Andersherum funktioniert es: Schaut man sich den Wikipedia-Artikel von Wagenknecht an, ist Elsässer dort erwähnt.
Drei Jahre vor Erscheinen des Buches saßen Wagenknecht und Elsässer 1993 auf dem Podium des Konkret-Kongresses im Hamburger Curiohaus. Thema damals: „Was tun? Über Bedingungen und Möglichkeiten linker Politik und Gesellschaftskritik“. Ebenfalls mit auf dem Podium saßen Jutta Ditfurth und andere radikale Linke.
Elsässer erzählte auf dem Konkress unter anderem, der völkische Nationalismus gehe „mit einem virulenten Antisemitismus einher“.
Und weiter:
„Der völkische Nationalismus mag die Ausländer selbst dann nicht, wenn sie die Drecksarbeit machen und in Billiglohngruppen schuften. Sein Schlagwort ist: „Deutschland den Deutschen“. Verdichtet könnte man sagen: Westlicher Nationalismus und einhergehender Wohlstands-Chauvinismus ist brutalisierter Pro-Kapitalismus.“
Wer die Person Jürgen Elsässer hin zu einem aktuellen Compact-Titelbild „Deutschland den Deutschen“ verstehen will, muss diese Entwicklung mitdenken. Elsässer war schon vor Jahrzehnten eine relevante Person der radikalen politischen Opposition, lange bevor er Verleger wurde. Und es prominente Vorbilder für eine solche Metamorphose vom Linken hin zum Konservativem:
Exemplarisch hier sicherlich Klaus Rainer Röhl, Ehemann von Ulrike Meinhof, Gründer und Herausgeber von Konkret. Röhl wandte sich in den 1990er Jahren dem Nationalliberalismus zu.
2002 schrieb die taz in einem Artikel über eine Entlassung bei Konkret:
„Am Donnerstag wurde Jürgen Elsässer gefeuert – der seit langem schwelende Streit um die politische Richtung des Linksblattes, vor allem mit Blick auf die Irak-Politik der USA, ist endgültig eskaliert. Schließlich war Elsässer neben Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza in den letzten Jahren das bekannteste Gesicht des Hamburger Magazins für „Politik und Kultur“.“
Mit Blick auf die aktuelle Debatte um den Ukrainekrieg ist die damalige Begründung für den Streit bei Konkret interessant: Elsässer kritisierte nämlich die zunehmende Begeisterung für die Politik der US-Regierung in der Irak-Frage „in antideutschen Kreisen“. Mit einem Verzicht auf den Antimilitarismus würde sich die Linke selbst aufgeben, so Elsässer.
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1993 also Elsässer und Wagenknecht auf dem Podium des Konkret-Kongress. Drei Jahre später schreibt man gemeinsam das Buch „Vorwärts und vergessen? Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus.“
Und zwanzig Jahre später, 2016, schreibt der Grünen-Gründer Rainer Trampert im immer noch existierenden Magazin Konkret über Wagenknecht, die Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag sei „zur heiligen Johanna der neuen deutschen Nationalbewegung geworden“.
Trampert schreibt über „Pegida-Rassisten“, diese hätten getwittert, „„Wagenknecht hat ausgesprochen, was die überwältigende Mehrheit der Deutschen auf der Straße spricht“, oder: Mit ihr „könnte unsere Bewegung leicht über 50 Prozent kommen““.
Bei Pegida wiederum hatte Elsässer sein großes Coming-Out mit „Compact“. Sein Magazin wurde damals zum Soundtrack, zum Einpeitscher, zur Chronik der sich in den Bundesländern etablierten Pegida-Proteste.
Der Grünen-Gründer Trampert befand über Wagenknecht:
„Wagenknecht selektiert die Gesellschaft in Eigene und Fremde, ebenso wie Pegida das tut (»Wir sind das Volk!«), und macht die Fremdgruppe zu manipulierbarem Material der deutschen Gesinnung.“
Trampert wiederum war unter großen Protest bei den Grünen ausgetreten. Aber nicht allein, sondern gemeinsam mit Gründungsmitglied Thomas Ebermann, der wiederum 1993 mit Wagenknecht und Elsässer auf dem Podium des Konkret-Kongresses saß. So hängt in dieser Szene irgendwie alles miteinander zusammen.
Aber auch das Organigram mitten ins Zentrum der Macht ist vielfältig. So schrieb etwa der Grünen-Politiker und Ex-Bundesminister Jürgen Trittin ein Vorwort zu Elsässers 1998 erschienenem „Braunbuch DVU“ – herausgegeben von 2019 verstorbenen Hermann Gremliza, der als Konkret-Chef ebenfalls auf Kongress-Podium saß und dessen Ehefrau Konkret heute leitet.
Elsässer schrieb damals:
„An der Entfesselung des völkischen Ressentiments haben alle Schuld: CDU und CSU als Stichwortgeber für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, PDS und SPD wegen ihres quasi-therapeutischen Verständnisses für die glatzköpfigen Sozialfälle – beste Voraussetzungen dafür, daß die braune Erfolgsstory weitergeht.“
Zuletzt noch zur Frage, welches Thema Elsässer und Wagenknecht überhaupt in ihrem gemeinsamen Buch behandelt haben.
Zum Inhalt des 144 Seiten umfassenden Buchs schreibt ein Wolfram Bücker – sein Text findet sich im „Glasnost archive“:
„Zwei linke Promis, jede/r ExponentIn einer radikalen linken Strömung, versuchen im Disput ihren Beitrag zur Klärung uns alle drängelnder Fragen gemeinsam zu leisten. Auf der einen Seite ein libertärer, (west-)deutscher, antideutscher, revolutionärer Selbstdenker, dem das, was er zu sagen hat, auch noch flüssig von der Hand zu gehen scheint, und auf der anderen eine dogmatische, (ost-)deutsche, nationalkommunistische Nachdenkerin, die nicht gefallen will, aber mit einer ordentlichen Portion Sendungsbewußtsein à la PDS ständig on air ist – vielleicht neben Gysi die einzige fleischgewordene Ostidentität in der mediengeilen PDS mit mediengerechter „Ausstrahlung“.“
Bücker beendet seine Buchkritik ablehnend:
„Vielleicht ist dieses Buch deshalb nicht gelungen, weil beide Strömungen sich nichts mehr zu sagen haben. Nur radikal gegen Kapitalismus und diesen Staat zu sein, reicht als Gemeinsamkeit nicht.“
Aber welche Gemeinsamkeit haben Elsässer und Wagenknecht heute?
PS.: Autor Alexander Wallasch schrieb viele Reportagen und Artikel für die taz und auch für eine Publikation von Katja Kipping (ehem. Parteivorsitzende DIE LINKE) mit dem Titel „Prager Frühling Magazin“.
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