• 24. Februar 2025

„Sicher und effektiv“: Was bedeutet das mit Bezug auf medizinische Produkte?

ByJörg

Okt. 29, 2024

„Sicher und effektiv“, „safe and effective“ – dieser Slogan ist seit dem Jahr 2020 im Zusammenhang mit dem SARS-Co2-Virus aufgekommen und in unser aller Gehirne regelrecht eingehämmert worden, sei es von Angestellten an der Weltgesundheitsorganisation, von Gesundheitsministern oder anderen Personen in politischer Verantwortung, von Ärzten oder anderem Personal im Bereich der Gesundheitsversorgung. Ziel dabei war, die experimentellen Gentherapien, die als Impfstoffe gegen eine Infektion mit dem SARS-Co2-Virus dargestellt und massenhaft zum Einsatz gebracht wurden, für möglichst viele Menschen möglichst akzeptabel zu machen, die „Impfung“ sogar als wünschenswert erscheinen zu lassen. „Sicher und effektiv“ – was mehr könnte man von einem Medikament, einer vorbeugenden oder therapeutischen Maßnahme, von medizinischen Eingriffen aller Art, verlangen können?!

Nun hat die Erfahrung gezeigt, dass die diversen Spritzen, die gegen die Infektion mit und Weitergabe von SARS-Co2-Viren wirken sollten, weder sicher noch effektiv waren (wir haben auf ScienceFiles häufig über entsprechende Forschungsergebnisse berichtet). Und dennoch waren (und sind) Menschen dazu bereit, sich gentherapeutischen Injektionen zu unterziehen, anscheinend in dem Glauben, dass sie eben doch – irgendwie – „sicher und effektiv“ seien. So liegen Daten für den Zeitraum vom 1. September 2023 bis zum 15. April 2024 vor, die das Folgende zeigen:

„Von den 27 berichtenden [EU/EWR]-Ländern gaben sechs Länder eine Impfquote von 50% für die Altersgruppe 60 Jahre und älter an, während neun Länder eine Impfquote von 50% für die Altersgruppe 80 Jahre und älter gaben. Der Median der COVID-19-Impfrate bei Personen ab 60 Jahren betrug 12,0%… mit großer Variation zwischen den Ländern. Für Personen ab 80 Jahren betrug der Median 17,1 %…, wobei die Unterschiede zwischen den Ländern groß waren. Die meisten der rund 31 Millionen COVID-19-Impfstoffdosen, die in der EU/EWR während dieses Zeitraums in der Gesamtbevölkerung verabreicht wurden, waren der Impfstoff Comirnaty Omicron XBB.1.5 (Pfizer BioNTech) (ca. 25,5 Millionen Dosen; 82,1 % der insgesamt verabreichten Dosen); für 14,5 % der Dosen, das Produkt wurde als unbekannt gemeldet“ (ECDC 2024: 1).

Im Original:
„Among the 27 reporting [EU/EEA] countries, six countries reported a vaccination coverage ≥50% for the age group 60 years and above, while nine countries reported a vaccination coverage ≥50% for the age group 80 years and above. The median COVID-19 vaccination coverage among people aged 60 years and above was 12.0% …, with high variation among countries. For people aged 80 years and above, the median coverage was 17.1% …, with high variation among countries. Most of the approximately 31 million COVID-19 vaccine doses administered in the EU/EEA during this period in the overall population were the Comirnaty Omicron XBB.1.5 (Pfizer BioNTech) vaccine (around 25.5 million doses; 82.1% of the total doses administered); for 14.5% of the doses, the product was reported as unknown“ (ECDC 2024: 1).

Es scheint, dass der Hinweis darauf, dass eine medizinische Intervention „sicher und effektiv“ sei, als solcher einen Effekt hat, denn zusätzliche „nudges“ haben keinen zusätzlichen Effekt wie die randomisierte Kontrollstudie von Hing et al. (2022) zeigt. In dieser Studie wurde getestet, ob und ggf. welche der der „Kontroll“-Botschaft – die einfach besagte, man solle sich gegen COVID-19 impfen lassen, weil die Impfung „sicher und effektiv“ sei – beigegebenen Botschaften sich als „nudge“ dahingehend eignet, die Impfabsicht zu erhöhen. Das Ergebnis:

„Keine der Nachrichten, die wir ausprobiert haben, hat die Impfabsichten verbessert, und einige scheinen den gegenteiligen Effekt gehabt zu haben. Unsere Ergebnisse stimmen mit anderen Studien überein, die ähnliche Botschaften, die über die COVID-19-Impfstoffsicherheit aufklären, verwenden“ (Hing et al. 2022: 9).

Im Original:
„None of our experimented messages improved vaccination intentions, with some showing signs of backfiring. Our results concur with other studies that similarly employ messages explaining about COVID-19 vaccine safety“ (Hing et al. 2022: 9).“

Was verbinden Personen, die sich gegen Covid-19 „impfen“ lassen bzw. sich gentechnisch oder medikamentös behandeln lassen, und solche, die dies nicht tun, mit „sicher und effektiv“? Man würde meinen, dass es (inzwischen) qualitative Studien gibt, die sich dieser Frage gewidmet haben, aber eine Recherche nach entsprechenden Studien erbrachte keine Funde. Hinweise auf die Antworten auf diese Frage, die wir erwarten dürften, wenn es solche Studien gäbe, kann man aber aus Studien gewinnen, die allgemeine Fragestellungen zu den „psychosozialen Determinanten der Akzeptanz der Covid-19-Impfung“ bearbeiten ,wie diejenige von Capasso et al. (2024):

„Impfstoffe galten im Allgemeinen als wirksame Formen der Prävention auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene. Außerdem schien das Vertrauen in Impfstoffe ein breiteres Vertrauen in die medizinische Forschung und Wissenschaft widerzuspiegeln: ‚Impfstoffe sind im Allgemeinen eindeutig Formen der Prävention, die durch Forschung gewonnen werden. Es ist keine individuelle, sondern eine Gemeinschaftssache; Es geht nicht um eine geimpfte Person, die nicht krank wird, sondern um eine Gruppe von Menschen, die eine geschützte Umgebung schaffen‘ (Mann, 37 Jahre alt, geimpft). In der Tat erkannten die meisten Befragten an, dass Impfstoffe im Laufe der Geschichte die Ausrottung zahlreicher Krankheiten ermöglicht haben: ‚Im Allgemeinen bin ich für Impfstoffe, weil sie uns gerettet haben und sie die Menschheit seit der Antike gerettet haben‘ (Frau, 30 Jahre alt, geimpft) … Die am häufigsten genannte Motivation für eine Impfung bezog sich auf die Möglichkeit, sich selbst, seine Angehörigen und die Gemeinschaft vor einer schweren Form der Krankheit zu schützen (in Übereinstimmung mit der Darstellung des Covid-19-Impfstoffs als ‚relativem Schutz‘): ‚Für mich ist die wichtigste [Motivation] der Respekt vor meiner Person und der Gemeinschaft. Also lasse Icvh mich impfen, ich schütze dadurch meine Person, aber vor allem die Menschen um mich herum‘ (Frau, 34 Jahre alt, geimpft).“ (Capasso et al. 2024: 6-7).

Und:

„… trotz negativer Erfahrungen mit öffentlichen Gesundheitsstrukturen und dem vorherrschenden Misstrauen gegenüber den Pharmaunternehmen berichteten die Befragten über eine insgesamt vertrauensvolle Vorstellung von Wissenschaft und medizinischer Forschung, die als wesentliche Ressourcen für das Leben der Menschen und der ganzen Gesellschaft betrachtet wurden, auch wegen des Fortschritts, den sie aus historischer Sicht ermöglicht haben: Ich bin dafür [für die Covid-19-„Impfung“], ich vertraue auf die Wissenschaft und die Medizin. Dank der riesigen Schritte vorwärts, die die Wissenschaft gemacht hat, sind Krankheiten, die vor Jahrhunderten tödlich waren, jetzt mit ein wenig Paracetamol behandelbar (Frau, 33 Jahre alt, geimpft)“ (Capasso et al. 2024: 5).

Im Original:
„Vaccines, in general, were considered effective forms of prevention at the individual and community levels. Besides, trust in vaccines seemed to reflect broader confidence in medical research and science: ‚Vaccines, in general, are clearly forms of prevention obtained through research. It is not an individual but a community thing; it is not about a vaccinated person who does not get sick but a group of people who create a protected environment‘ (Man, 37 years old, vaccinated). Indeed, most interviewed recognized that vaccines have allowed, throughout history, the eradication of numerous diseases: ‚In general, I am in favor of vaccines because they have saved us and they have saved humanity since ancient times‘ (Woman, 30 years old, vaccinated) … The most cited motivation for getting vaccinated was related to the possibility of protecting themselves, their loved ones, and the community from a severe form of the disease (consistent with the representation of the Covid-19 vaccine as ‚relative protection‘): ‚For me, the most important [motivation] is the respect for my person and the community, so if I get vaccinated, I protect my person but above all the people around me‘ (Woman, 34 years old, vaccinated).“ (Capasso et al. 2024: 6-7).

„… despite the negative experiences with public health structures and the prevailing feeling of distrust towards pharmaceutical companies, the interviewees reported an overall trustful idea of science and medical research, regarded as essential resources for the well-being of individuals and the entire society, also due to the progress they made possible from a historical point of view: ‚I am in favor, I trust science and medicine. Thanks to the giant steps that science has made, diseases that were lethal centuries ago are now treatable with a bit of paracetamol‘ (Woman, 33 years old, vaccinated)“ (Capasso et al. 2024: 5).

Wir dürfen auf dieser Basis vermuten, dass viele Menschen mit dem Slogan „sicher und effektiv“ im Zusammenhang mit therapeutischen Maßnahmen, Medikamenten oder Impfungen eine vage Vorstellung von allgemeiner Qualitätsgarantie verbinden bzw. dass es für sie nicht viel mehr als „wissenschaftlich abgesichert“ bzw. „wissenschaftlich qualitätsgeprüft“ bedeutet, wobei sich die vermutete Qualität eben auf Sicherheit und Wirksamkeit bezieht.

Viele Menschen dürften also meinen, dass wissenschaftlich belegt – viele wissenschaftliche Laien würden sagen: bewiesen oder erwiesen – sei, dass die entsprechenden therapeutischen Maßnahmen, Medikamente oder Impfungen sicher verwendet werden könnten, also erstens die Gesundheit oder gar das Leben ihrer Konsumente nicht gefährden („Sicherheit“) und zweitens wirksam sind, d.h. bei/nach Anwendung die Wirkungen entfalten, die sie entfallen sollen („Effektivität“).

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Das ist aber nicht das, was „Sicherheit“ bzw. „Wirksamkeit“ oder „Effektivität“ im fachmedizinischen Sprachgebrauch bedeuten. Wenn der Ausdruck „sicher und effektiv“ benutzt wird und diejenigen, die durch ihn zu einer bestimmten Einschätzung oder zu einem bestimmten Verhalten gebracht werden sollen, im Unklaren darüber gelassen werden, dass die Assoziationen, die sie mit dem Ausdruck alltagssprachlich verbinden, nicht das sind, was der Ausdruck fachmedizinisch besehen bedeutet, dann kann dies m.E. schwerlich als etwas anderes denn als Täuschung aufgefasst werden.

Was also bedeutet „sicher und effektiv“ fachmedizinisch besehen? Beginnen wir mit dem „effektiv“ bzw. der „Effektivität“ in dem Ausdruck.

„Effektivität“

bedeutet „Wirksamkeit“ und wird in der Medizin gewöhnlich in dem Sinn verwendet, dass ein präventives oder therapeutisches Produkt oder eine präventive oder therapeutische Maßnahme die gewünschte Wirkung erzielt. Dabei sind aber verschieden Aspekte oder Arten von „Wirksamkeit“ zu unterscheiden:

  • „Wirksamkeit“ kann sich auf die Konzentration eines Wirkstoffes in einem Produkt beziehen, die notwendig ist, damit das Produkt die gewünschte Wirkung erzielt; dann wird im Englischen oft von „potency“ gesprochen;
  • von „Wirksamkeit“ kann gesprochen werden, wenn ein bestimmtes, vorher bestimmtes, Therapieziel erreicht ist;
  • „Wirksamkeit“ kann sich auf das Ergebnis einer Abwägung der Kosten und Nutzen eines Produktes oder einer Maßnahme beziehen; dann wird im Englischen meist von „efficiency“ gesprichen
  • „Wirksamkeit“ kann die sogenannte nachgewiesene Wirksamkeit oder das Wirkungsvermögen das, was man im Englischen „efficacy“ nennt, bezeichnen;
  • „Wirksamkeit“ kann die sogenannte Alltagswirksamkeit oder klinischen Wirksamkeit oder das, was man im Englischen „effectiveness“ nennt, bezeichnen.

Besonders die letzten beiden Bedeutungen von „Wirksamkeit“, die nachgewiesene Wirksamkeit oder das Wirkungsvermögen einerseits und die Alltagswirksamkeit andererseits sind im fachmedizinischen Sprachgebrauch wichtig und verbreitet.

Die nachgewiesene Wirksamkeit/das Wirkungsvermögen bezieht sich auf die Frage: Kann das Produkt oder die Maßnahme die erwünschte Wirkung, z.B. die Verhinderung einer Infektion mit einem bestimmten Virus, erzielen?

Eine nachgewiesene Wirksamkeit ist die Grundlage für die Zulassung eines medizinischen Produktes/einer Maßnahme. Zum Nachweis seiner/ihrer Wirksamkeit werden in der Regel randomisierte Kontrollstudien durchgeführt. Dabei handelt es sich um klinische Experimente, bei denen die Teilnehmer am Experiment zufällig zwei (manchmal auch mehr als zwei) Gruppen zugeteilt werden, von denen eine (die sogenannte Internventionsgruppe) den zu testenden Wirkstoff erhält, die andere (die sogenannte Kontrollgruppe) nicht bzw. ein Placebo. Dabei wissen die Teilnehmer (und idealerweise auch diejenigen, die das Experiment durchführen,) nicht welcher Teilnehmer welcher Gruppe zugeordnet ist. Nach einem vorherbestimmten Zeitraum werden die Teilnehmer aus der Interventionsgruppe mit denjenigen aus der Kontrollgruppe auf die interessierende Zielgröße hin, z.B. die Anzahl der Personen, die in jeder Gruppe eine Infektion mit einem bestimmten Virus aufweist, verglichen, und unter Verwendung von statistischen Verfahren wird festgestellt, inwieweit der Unterschied mit Bezug auf die Zielgröße, der sich ggf. zwischen beiden Gruppen beobachten lässt, zufällig entstanden sein kann. Die Wirksamkeit des in Frage stehenden Produktes/ der in Frage stehenden Maßnahme gilt als nachgewiesen, wenn sich die Interventions- und die Kontrollgruppe mit Bezug auf die Zielgröße statistisch signifikant voneinander unterscheiden.

Randomisierte Kontrollstudien gelten (bis auf Weiteres) als der Königsweg zur Feststellung des Wirkungsvermögens eines Produktes/einer Maßnahme. Aber auch ihre Ergebnisse sind nicht über jeden Zweifel erhaben, wie Walsh et al. (2014), auf der Basis von 399 randomisierten Kontrollstudien gezeigt haben:

„Ein P-Wert <0,05 ist ein Maß, das [die statistische Zuverlässigkeit des erzielten Ergebnisses anzeigt und daher] zur Bewertung der Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) verwendet wird. Wir fragten uns, wie oft statistisch signifikante Ergebnisse in RCTs mit kleinen Veränderungen der Anzahl der Ergebnisse verloren gehen  …  Eine Verschiebung von nur wenigen Ereignissen in einer Gruppe konnte typische Hypothesentests mit Bezug auf den üblichen Schwellenwert, der als statistisch signifikant angesehen wird, verändern“ (Walsh et al. 2014: 622).

Im Original:
„A P-value <0.05 is one metric used to evaluate the results of a randomized controlled trial (RCT). We wondered how often statistically significant results in RCTs may be lost with small changes in the numbers of outcomes  …  A shift of only a few events in one group could change typical hypothesis tests above the usual threshold considered statistically significant“ (Walsh et al. 2014: 622).

Die Ergebnisse, die durch randomisierte Kontrollstudien gewonnen werden, sind also durchaus fragil, und zwar umso mehr, je weniger Teilnehmer Studien aufzuweisen haben. Aber selbst bei vergleichsweise großen, viele Teilnehmer umfassenden, Studien können die erzielten Ergebnisse fragil sein:

„… selbst Versuche, die allgemein als groß angesehen werden, können fragil sein. Nehmen wir zum Beispiel den Leicester Intravenous Magnesium Intervention Trial (LIMIT-2), in dem die Wirkung von intravenösem Magnesium auf das 28-Tage-Überleben bei Patienten mit einem vermuteten akuten Herzinfarkt getestet wurde … Die Studie war nach den meisten Berichten zu urteilen groß mit 2.316 randomisierten [d.h. zufällig der Interventions- oder der Kontrollgruppe zugeordneten] Patienten und zeigte eine relative Risikominderung von 24% bei der Mortalität [d.h. Sterbewahrscheinlichkeit von am Versuch teilnehmenden Patienten] mit einem P-Wert von 0,04. Drei Jahre später zeigte eine Studie mit mehr als 58.000 Patienten keinen Nutzen, und spätere Meta-Analysen zeigten, dass es unwahrscheinlich war, dass ein echter Nutzen existiert …“ (Walsh et al. 2014: 626).

Im Original
„… even trials generally regarded as large may be fragile. Take, for example, the Leicester Intravenous Magnesium Intervention Trial (LIMIT-2), which tested the effect of intravenous magnesium on 28-day survival in patients with suspected acute myocardial infarction … The trial was, by most accounts, large with 2,316 patients randomized, and it demonstrated a 24% relative risk reduction in mortality with a P-value of 0.04. Three years later, a trial of more than 58,000 patients demonstrated no benefit, and subsequent meta-analyses demonstrated that it was unlikely any true benefit exists …“ (Walsh et al. 2014: 626).

Die Fragilität der Studien zum Wirkungsvermögen eines Produktes/einer Maßnahme wird von Zulassungsbehörden in aller Regel nicht in Rechnung gestellt, und vor allem werden Menschen, die mit dem entsprechenden Produkt behandelt werden sollen bzw. der entsprechenden Maßnahme unterzogen werden sollen, nicht von ihr unterrichtet. Unterrichtet werden sie bestenfalls von dem Ergebnis als solchem, das die randomisierte(-/n) Kontrollstudie(-/n), auf der/denen die Zulassung des in Frage stehenden Produktes/der in Frage stehenden Maßnahme beruhte, erzielt hat/haben.

Dann bekommen sie vielleicht gesagt, dass das Wirkungsvermögen /der Maßnahme 95 Prozent betrage, normalerweise aber eher etwas dahingehendes, dass das Produkt/die Maßnahme zu 95 Prozent wirksam sei. Diese Angabe wird dann – nicht nur von medizinischen Laien, sondern vielleicht auch von Ärzten – z.B. mit Bezug auf eine Impfung gegen eine Virusinfektion dahingehend missverstanden, dass sie bedeute, dass 95 von 100 Personen, die die Impfung erhalten haben, keine Virusinfektion erlitten hätten bzw. fünf von 100 trotz der Impfung eine Virusinfektion erlitten hätten. Auf dieser Basis schätzen Menschen in unserem Beispiel dann – fälschlich – ihre Wahrscheinlichkeit ein, mit der sie die Impfung vor einer Virusinfektion schützt, mit 95 Prozent ein. „Fälschlich“, weil ein Wirkungsvermögen von 95 Prozent etwas anderes bedeutet:

„Die Zahl 95 Prozent bildet eine Beziehung zwischen der Anzahl der Menschen, die in den Placebo- und Impfstoffgruppen krank wurden, das heißt [im von Buhner gewählten Beispiel] 8 geteilt durch 162, was (gerundet) 0,05 ergibt und 5 Prozent entspricht. Mit anderen Worten: die Anzahl der Personen in der Impfgruppe, die krank wurden, beträgt 5 Prozent von 162 und daher ist der Impfstoff 95 Prozent wirksam“ (Buhner 2021: 68).

Im Original
„The 95 percent number represents a relation between the numbers of people who got sick in the placebo and vaccine groups, that is, 8 divided by 162, which gives you 0.05 (close enough), which is 5 percent. In other words, the number of people in the vaccine group who got sick is 5 percent of 162, and therefore the vaccine is 95 percent effective“ (Buhner 2021: 68),

Ähnlich verhält es sich mit Angaben zur absoluten und zur relativen Risikoreduktion (s. hierzu Irwig et al. 2008), die durch die Verwendung eines medizinischen Produktes erreicht wird: Die relative Risikoreduktion drückt aus, um wieviel Prozent geringer das Auftreten der in Frage stehenden Erkrankung für die, die das medizinische Produkt verwendet haben, im Vergleich zu denen, die es nicht verwendet haben, ist. Die absolute Risikoreduktion ist definiert als die absolute Differenz zwischen dem Krankheitsrisiko in der Placebo-Gruppe und dem Krankheitsrisiko in der Interventionsgruppe.

Beispiel von de Moel-Mandel (2023: 423-424) in deutscher Übersetzung

„Stellen Sie sich eine Studie vor, in der 200 Personen entweder einer Gruppe zugeteilt werden, die eine Intervention erhält, oder einer Kontrollgruppe, die eine Placebo-Intervention erhält. Alle Teilnehmer werden über einen bestimmten Zeitraum beobachtet und regelmäßig auf das Auftreten einer Krankheit untersucht. Am Ende dieses Zeitraums entwickelten 12 Personen in der Interventionsgruppe und 20 in der Placebo-Gruppe die Krankheit von Interesse. Das Risiko (oder die Inzidenz) einer Erkrankung kann für jede Gruppe berechnet werden, indem man die Anzahl der Personen, die an der Krankheit erkrankt sind, durch die Gesamtzahl der Teilnehmer in der Gruppe teilt. Die hypothetischen Studienergebnisse dieses Beispiels zeigen, dass das Krankheitsrisiko in der Placebo-Gruppe (das Basisrisiko) 20 von 100 Teilnehmern (20 %) und das Krankheitsrisiko in der Interventionsgruppe 12 von 100 Teilnehmern (12 %) beträgt … Das relative Risiko (RR) der Entwicklung der Krankheit wird als das Verhältnis des Risikos in der Interventionsgruppe zu dem in der Placebo-Gruppe ausgedrückt, oder 12%/20% = 0,6. Eine RR mit einem Wert unter 1 zeigt an, dass in der Interventionsgruppe ein geringeres Krankheitsrisiko besteht, was darauf hindeutet, dass die Intervention wirksam sein könnte. Um den tatsächlichen Wert der klinischen Intervention zu verstehen, werden die Ergebnisse anschließend als RRR [relative Risikoreduktion] und ARR [absolute Risikoreduktion] ausgedrückt. Der RRR ist der Betrag, um den die Intervention die RR reduziert hat. Er wird aus der RR berechnet und als Prozentsatz wie folgt ausgedrückt: RRR = (1 – RR) x 100. Die RRR in dieser Studie ist daher (1 – 0,6) 10 = 40%. Mit anderen Worten, die Intervention hat das Risiko für Krankheiten um 40% reduziert. Der ARR wird als die absolute Differenz zwischen dem Krankheitsrisiko in der Placebo-Gruppe und dem Krankheitsrisiko in der Interventionsgruppe definiert: ARR = Risiko in der Placebo-Gruppe – Risiko in der Interventionsgruppe. Im obigen Beispiel beträgt der ARR 20% – 12% = 8%, was bedeutet, dass die Intervention bei 8% der Patienten die Krankheit verhindert hat. Einfach ausgedrückt, gibt es 8 weniger Krankheitsfälle pro 100 Personen, die die Intervention erhalten … Eine andere Möglichkeit, dies auszudrücken, ist die Angabe der Zahl von Interventionen/Behandlungen, die zur Verhinderung eines Erkrankungsfalls benötigt wird (NNT) [für ’number needed to treat‘], berechnet als 1/ARR. In diesem Beispiel ist die NTT 1/0,08 (8%) = 12,5, was bedeutet, dass etwa 13 Patienten die Intervention erhalten müssen, um zu verhindern, dass ein neuer Fall der Krankheit auftritt. Dies zeigt an, dass die Intervention ist sehr effektiv.“

Hieraus wird dann errechnet, wie viele Menschen man mit dem Produkt behandeln muss, um einen neuen Erkrankungsfall zu verhindern, und mit dieser Mitteilung wird implizit der Appell formuliert, man möge sich mit dem Produkt behandeln lassen, um dazu beizutragen, einen (weiteren) Fall von der Erkrankung, auf die das Medikament abzielt, zu verhindern. Warum sonst, sollte man Menschen diese Mitteilung machen, die für sie selbst bzw. ihr eigenes Erkrankungsrisiko irrelevant ist?!

Relatives Risiko, absolutes Risiko, relative Risikoreduktion, absolute Risikoreduktion, Anzahl der Interventionen, die nötig sind, um einen neuen Erkrankungsfall zu verhindern – dies alles mag beeindruckend, sehr „wissenschaftlich“,  klingen, und wie die oben erwähnte Studie von Capasso et al. (2024) gezeigt hat, tut die Verwendung dieser Maße im öffentlichen Raum ihre Wirkung dahingehend, dass Menschen ein medizinisches Produkt für weit besser wissenschaftlich erforscht und abgesichert halten als es tatsächlich ist. Um so wichtiger ist es zu betonen, dass dies alles Maße sind, die auf den Werten in einer einfachen Vierfeldertafel beruhen, in der eingetragen ist, wie viele Angehörige der Interventions- und der Kontrollgruppe erkrankt sind und wie viele nicht erkrankt sind. Und sie alle sagen etwas über statistische Zusammenhänge (oder Nicht-Zusammenhänge) aus, die in einer einzigen randomisierten Kontrollstudie erzielt worden sind.

Angaben des Wirkungsvermögens bzw. der sogenannten nachgewiesenen Wirkung haben im fachmedizinischen Jargon also eine spezifische Bedeutung und beziehen sich allein auf Ergebnisse aus randomisierten Kontrollstudien. Diese Ergebnisse sind ein Produkt des spezifischen Effektes, der in einem spezifischen Studiendesign unter Laborbedingungen erzielt wurden (Ernst & Pittler 2006: 488) (und außerdem bzw. deshalb fragil sind; s.oben). Sie können daher nicht verallgemeinert werden, und dementsprechend eignen sich Maße, die auf den beobachteten Ergebnissen (abgetragen in der oben angesprochenen Vierfeldertafel) beruhen, nicht zur Rechtfertigung des massenhaften Einsatzes eines medizinischen Produktes in einer Bevölkerung.

Und eigentlich ist das auch gar nicht die Zielsetzung von Studien zum Wirkungsvermögen medizinischer Produkte. Die Frage, die sie beantworten sollen, läßt sich nunmehr spezifizieren als die Frage danach,

„… ob eine [medizinische] Intervention unter idealen Bedingungen das erwartete Ergebnis produziert“ (Gartlehner et al., 2006: 3).

Im Original
„…  whether an intervention produces the expected result under ideal circumstances“ (Gartlehner et al., 2006: 3).

Wobei die Betonung auf „idealen Bedingungen“ liegt. Zu diesen idealen Bedingungen gehört auch die (weitgehende) Abwesenheit von Vorerkrankungen oder ein allgemein besserer Gesundheitszustand von Studienteilnehmern als Nicht-Teilnehmern, was als „healthy volunteer effect“ (Ford & Norrie 2016: 455) in randomisierten Kontrollstudien ebenso wie in anderen medizinischen Studien ist:

„Ein anderer Typ von Selektionsbias ist der „gesunde Freiwilligen-bias“, der auftritt, wenn diejenigen, die an Forschungsstsudien teilnehmen oder in Längsschnittstudien verbleiben im Allgemeinen gesünder sind als diejenigen, die dies nicht tun“ (Starks et al. 2009: 181).

Im Original:
„Another type of selection bias is “healthy volunteer bias” that occurs when those who participate in research or who remain in longitudinal studies are generally healthier than those who do not“ (Starks et al. 2009: 181).

Wenn ein medizinisches Produkt auf den Markt kommt und Hunderte, Tausende, Hunderttausende, Millionen Menschen es konsumieren, kann aber keine Rede mehr davon sein, dass das Produkt regelmäßig auf die idealen Bedingungen trifft, unter denen es sein Wirkungsvermögen erwiesen hat. Was daher gebraucht wird, nachdem das prinzipielle Wirkungsvermögen eines medizinischen Produktes belegt ist, ist der Nachweis seiner Wirksamkeit im Alltag einer Menge von Menschen mit verschiedenen Eigenschaften, die verschiedene Lebensbedingungen und ggf. Krankheitsgeschichten haben, in verschiedenen Konzentrationen und Darreichungsformen:

„Im wirklichen Leben werden Medikamente in Dosen und Häufigkeiten verwendet, die nie untersucht wurden und in Patientengruppen, die in den Studien nie untersucht wurden. Medikamente werden in Kombination mit anderen Medikamenten, die nicht auf Wechselwirkungen getestet wurden, und von anderen Personen als dem Patienten verwendet … Die Wirksamkeit kann in kontrollierten Studien nicht gemessen werden, da der Einschluss in eine Studie [an sich schon] eine Verzerrung der üblichen [Verwendungs-] Praxis [mit Bezug auf das Medikament] darstellt. Alltagswirksamkeit kann definiert werden als ‚der Grad, in dem ein Arzneimittel seine beabsichtigte Wirkung im üblichen klinischen Umfeld erreicht‘ … Sie kann durch Beobachtungsstudien der realen Praxis bewertet werden“ (Marley 2000: 114).

Im Original:
„In real life, medications will be used in doses and frequencies never studied and in patient groups never assessed in the trials. Drugs will be used in combination with other medications that have not been tested for interactions, and by people other than the patient … Effectiveness cannot be measured in controlled trials, because the act of inclusion into a study is a distortion of usual practice. Effectiveness can be defined as ‘the extent to which a drug achieves its intended effect in the usual clinical setting’ …It can be evaluated through observational studies of real practice“ (Marley 2000: 114).

Es ist also das Konzept der Alltagswirksamkeit oder klinischen Wirksamkeit, das für die Bestimmung der Wirksamkeit eines medizinischen Produktes bei einer riesigen Menge von Menschen, die es im klinischen Alltagsgeschäft verwenden, wichtig ist.

Mehr zur Abbildung hier

Wenn behauptet wird, ein medizinisches Produkt sei „safe and effective“, dann wird behauptet, es sei in der der Anwendung sicher, was „risikolos“ bedeutet, und „alltagswirksam“. Wäre Wirkungsvermögen statt Alltagswirksamkeit gemeint, dann würde der englische Ausdruck „safe and efficacious“ – „efficacious“ ist das Adjektiv zum Substantiv „efficacy“, während „effective“ das Adjektiv zum Substantive „effectiveness“ ist – heißen. Die deutsche Übersetzung als „sicher und wirksam“ läßt beide (und noch weitere) Interpretationsmöglichkeiten offen, und dies vielleicht absichtlich oder zumindest bequemerweise.

Die Alltagswirksamkeit oder klinische Wirksamkeit eines medizinischen Produktes nachzuweisen, ist aber gar nicht so einfach. Hierfür ist die Sammlung von sehr vielen Beobachtungsdaten auf der Basis der individuellen Konsumente der jeweiligen Produkte notwendig, auf deren Basis vergleichende Wirksamkeitsforschung in verschiedenen klinischen Umfeldern, bei Personengruppen mit verschiedenen soziodemographischen Merkmalen, mit verschiedenen Vorerkrankungen u.v.m. durchgeführt werden können. Dies geschieht im Rahmen von großen Kohortenstudien, retrospektive Studien, sogenannten pragmatischen Studien oder auf Registern basierenden Studien (Dal-Ré et al. 2018: 1 von 6). Letztere können sich z.B. auf Patientenakten aus einem bestimmten Krankenhaus stützen oder auf Daten auf Registern, in denen Menschen ihre Erfahrungen mit dem medizinischen Produkt melden können.

Letztere stellen aber gewöhnlich vor allem oder ausschließlich auf die Meldung von unerwünschten Nebenwirkungen ab, wie das z.B. beim Yellow Card Scheme im Vereinigten Königreich der Fall ist; welche Fragestellungen anhand von Registern bearbeitet werden können, hängt also gänzlich davon ab, welche Informationen in den jeweiligen Registern erfasst sind. Und oft sind Melderegister, wenn sie unter staatlicher Verwaltung stehen, nicht öffentlich zugänglich, auch Forschern oder Ärzten nicht (ohne Weiteres). So hat Richard A. Ennos, Professor emeritus für ökologische Genetik an der Universität Edinburgh, im Jahr 2022 im British Medical Journal gefordert, dass die Öffentlichkeit Zugang zu den (anonymisierten) Daten aus dem Yellow Card Scheme erhalten solle, die sich auf unerwünschte Nebenwirkungen der „Impfungen“ gegen das SARS-CoV-2-Virus beziehen (s. Ennos 2022). Ein spezielles Melderegister hierfür wurde im Mai 2020 vom MHRA (Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency), der medizinischen Regulationsbehörde im Vereinigten Königreich, eingerichtet, aber bislang werden aus ihr nur aggregierte Daten fast ausschließlich von der MHRA selbst ausgezählt und in Berichten veröffentlicht (s. https://coronavirus-yellowcard.mhra.gov.uk/datasummary).

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In jedem Fall sind solche Studien erst sinnvoll durchzuführen möglich, nachdem ein medizinisches Produkt im Umlauf ist und von vielen Menschen verwendet wird, und zwar seit längerer Zeit im Umlauf ist und verwendet wird. Das wiederum bedeutet, dass die Alltagswirksamkeit des entsprechenden Produktes für all die Menschen, deren Verwendung solche Studien erst möglich machen, unbekannt war, dass für diese Menschen also keine Studien zur Alltagswirksamkeit vorgelegen haben, die ihnen dabei hätten helfen können, ihren persönlichen Nutzen aus der Verwendung des Produktes einzuschätzen. Insofern muss man sagen, dass alle Studien zur Alltagswirksamkeit von medizinischen Produkten auf der Bereitwilligkeit von „Pionieren“ beruhen, das medizinsche Produkt im Selbstversuch auszuprobieren.

Weil das Experiment schneller und unter Teilnahme von weniger Probanden – und damit auch wirtschaftlicher – durchgeführt werden kann, und weil das Experiment auch in anderen Hinsichten anderen Studiendesigns überlegen ist, werden Experimente auch eingesetzt, um die Alltagswirksamkeit eines medizinischen Produktes zu untersuchen; in diesem Zusammenhang spricht man von „pragmatic trials“, d.h. „pragmatischen Experimenten“, oder von „pragmatic controlled trials“, also pragmatischen Kontrollstudien:

„… die Forschungsanlage einer pragmatischen Studie spiegelt Unterschiede zwischen Patienten wider, die in der realen klinischen Praxis auftreten und zielt darauf ab, die Wahl zwischen den Behandlungen zu informieren. Um die Generalisierbarkeit zu gewährleisten, sollten pragmatische Studien so weit wie möglich die Patienten repräsentieren, auf die die Behandlung angewendet wird … Ergebnismessungen unterscheiden sich zwischen erklärenden und pragmatischen Ansätzen. In erklärenden Studien werden häufig Zwischenergebnisse verwendet, die sich auf das Verständnis der biologischen Grundlage der Reaktion auf die Behandlung beziehen können, zum Beispiel eine Senkung des Blutdrucks. In pragmatischen Versuchen sollten sie die ganze Bandbreite der gesundheitlichen Vorteile repräsentieren, zum Beispiel eine Reduzierung des Schlaganfalls und eine Verbesserung der Lebensqualität“ (Roland & Torgerson 1998: 285).

Im Original:
„… the design of a pragmatic trial reflects variations between patients that occur in real clinical practice and aims to inform choices between treatments. To ensure generalisability pragmatic trials should, so far as possible, represent the patients to whom the treatment will be applied … Outcome measures differ between explanatory and pragmatic approaches. In explanatory trials intermediate outcomes are often used, which may relate to understanding the biological basis of the response to the treatment—for example, a reduction in blood pressure. In pragmatic trials they should represent the full range of health gains—for example, a reduction in stroke and improvement in quality of life“ (Roland & Torgerson 1998: 285).

Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse solcher pragmatischer Studien ist jedoch sehr fraglich – und sei es „nur“ aufgrund der prinzipiellen Unmöglichkeit der Vorstellung, dass Menschen andere Menschen in allen im Kontext wichtigen Größen repräsentieren könnten. Nach Auffassung von Sacristán und Dilla (2017) kann Generalisierbarkeit einer dem einzelnen Patienten angemessenen medizinischen Versorgung sein:

„Die Betonung der Verallgemeinerbarkeit mag unter dem bevölkerungsorientierten Forschungsansatz, der in den letzten Jahrzehnten die wissenschaftliche Gemeinschaft durchdrungen hat, verständlich sein, sie ist aber nicht so sinnvoll unter dem patientenorientierten Forschungsansatz, auf den sich die patientenorientierte medizinische Praxis stützt“ (Sacristán & Dilla 2017: 87).

Im Original:
„The emphasis on generalizability may be understandable under the population-oriented research approach that has pervaded the scientific community in the last decades, but it is not so reasonable under the patient-oriented research approach that supports the practice of patient-centered medicine“ (Sacristán & Dilla 2017 : 87),

Darüber hinaus ist das, was als eine pragmatische Kontrollstudie ausgegeben wird, ist oft gar keine, wie Dal-Ré et al. (2018) festgestellt haben, die sich 89 von 615 Kontrollstudien, die sich selbst als pragmatisch identifiziert haben, diesbezüglich näher betrachtet haben:

„Von diesen 89 Studien wurden 36% unter Verwendung eines Placebo kontrolliert, vor der Zulassung des Arzneimittels durchgeführt oder in einem einzigen Zentrum durchgeführt. Unserer Meinung nach weichen solche RCTs [randomisierten Kontrollstudien] offen vom üblichen Behandlungskontext und [dementsprechend der Zielsetzung des] Pragmatismus ab. Daraus folgt, dass die Verwendung des Begriffs ‚pragmatisch‘ mit Bezug auf diese Studien eine irreführende Botschaft an Patienten und Kliniker vermittelt. Darüber hinaus sind viele andere Studien unter den 615, die als ‚pragmatisch‘ bezeichnet wurden und andere Arten von Interventionen [als medizinische Interventionen durch Medikamente] untersuchen, offensichtlich nicht sehr pragmatisch; dies ist jedoch für einen Leser unmöglich zu entscheiden, ohne Zugang zum vollständigen Protokoll und Insiderwissen über die Durchführung der Studie“ (Dal-Ré et al. 2018: 1 von 6).

Im Original:
„36% of these 89 trials were placebo-controlled, performed before licensing of the medicine, or done in a single-center. In our opinion, such RCTs overtly deviate from usual care and pragmatism. It follows, that the use of the term ‘pragmatic’ to describe them, conveys a misleading message to patients and clinicians. Furthermore, many other trials among the 615 coined as ‘pragmatic’ and assessing other types of intervention are plausibly not very pragmatic; however, this is impossible for a reader to tell without access to the full protocol and insider knowledge of the trial conduct“ (Dal-Ré et al. 2018: 1 von 6).

Pragmatische Kontrollstudien bzw. pragmatische Experimente dürften also kaum die Lösung für die Schwierigkeiten sein, vor die die Untersuchung der Alltagswirksamkeit eines medizinischen Produktes Forscher stellt. Sacristán und Dilla (2017: 87-88) halten daher fest:

„Der Moment ist gekommen, das Konzept der pragmatischen Studien zu überdenken und zu erweitern, um neue Forschungsstrategien einzubinden, die auf die Verbesserung der Ergebnisse für einzelne Patienten ausgerichtet sind. Neue patientenorientierte Forschungsstrategien sollten nicht nur auf technologischen und methodischen Fortschritten, wie Genomforschung, randomisierte Registerstudien und Einzelpatienten-(n-of-1)-Studien basieren, sondern auch auf der progressiven Integration von klinischer Forschung und medizinischer Versorgung“.

Im Original:
„The moment has come to revisit and broaden the concept of pragmatic trials to incorporate new research strategies oriented toward improving outcomes for individual patients. New patient-oriented research strategies should be grounded not only in technological and methodological advances, such as genomics, randomized registry studies, and single-patient (n-of-1) trials, but also on the progressive integration of clinical research and medical care“,

Wissenschaft ist und bleibt eben ein kumulativer Prozess.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass es möglich ist, dass Wirkungsvermögensstudien eine Wirkung eines medizinischen Produktes zeigen, Alltagswirkungsstudien aber nicht – und umgekehrt:

„Es ist … auch denkbar, dass eine Alltagswirksamkeitsstudie einen Nutzen zeigt, während eine Wirkungsvermögensstudie dies nicht tut. Dieses Szenario wird häufig im Bereich der komplementären/alternativen Medizin gefunden. Die logischste Erklärung wäre dann, dass die experimentelle Behandlung keine spezifischen Effekte hat, sondern durch Kontexteffekte Nutzen bringt. Eine solche Behandlung würde mit positiven Ergebnissen assoziiert, ohne diese direkt zu verursachen“ (Ernst & Pittler 2006: 488).

Im Original:
„It is … also conceivable that an effectiveness trial shows a benefit while an efficacy trial does not. This scenario is frequently encountered in the area of complementary/alternative medicine. The most logical explanation would then be that the experimental treatment is devoid of specific effects but generates benefit through context effects. Such a treatment would be associated with positive outcomes without directly causing them“ (Ernst & Pittler 2006: 488).

Die zitierten Autoren, Ernst und Pittler (2006: 488), sind der Auffassung, dass dies den routinemäßigen Einsatz von medizinischen Produkten mit Alltagswirksamkeit, aber ohne Wirkungsvermögensnachweis, im Gesundheitswesen nicht rechtfertigt. Anders als die zitierten Autoren bin ich jedoch der Auffassung, dass die vermuteten Kontexteeffekte, die Grundlage der Wirkung von medizinischen Produkten mit Alltagswirksamkeit, aber (bislang) ohne Wirkungsvermögensnachweis sein könnten, in ihrem eigenen Recht systematisch untersucht werden sollten, denn medizinische Produkte, die für den Einsatz in der realen Welt gedacht sind, sollen ihre Wirkung in eben dieser entfalten, und jeder in der realen Welt entfaltet jeder Wirkstoff seine Wirkung – oder besser gesagt: seine bekannten und bislang unbekannten Wirkungen – in dem komplexten System, das die Körper lebendiger Wesen darstellen.

Und das bringt uns zur Frage danach, wie die Sicherheit medizinischer Produkte behauptet werden kann, so wie es im Slogan „sicher und effektiv“, der mit den gentheraputischen Interventionen zur Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus nahezu zwanghaft verbunden wurde.

„Sicherheit“

Diesbezüglich muss festgehalten werden, dass die Rede von „Sicherheit“ mit Bezug auf medizinische Produkte auf grundlegende Weise irreführend ist:

„Eine einfache generische Definition ist, dass ‚Sicherheit‘ ‚das Fehlen von unerwünschten Ergebnissen wie Zwischenfällen oder Unfällen‘ bedeutet, daher bezieht sie [‚Sicherheit‘] sich auf Bedingung des Sicher-Seins“ (Hollnagel 2014: 1).

Im Original:

“ A simple generic definition is that ’safety‘ means ‚the absence of unwanted outcomes such as incidents or accidents‘, hence a reference to a condition of being safe“ (Hollnagel 2014: 1).

Die Welt vom 16. Juni 2013

In der Wahrscheinlichkeitsrechnung und mit ihr verbundenen Feldern wie der Entscheidungstheorie bedeutet „Sicherheit“, dass die Anzahl der möglichen Ausgänge (z.B. einer Entscheidung) gleich eins ist, also zu 100 Prozent vorhersagbar. Im Alltag verwenden wir Redewendungen wie „sich in Sicherheit bringen“, womit wir ausdrücken, dass wir einer Gefahr oder einem Risiko entrinnen oder sie/es vermeiden. Das Gegenteil von „Sicherheit“ ist „Unsicherheit“, und der Begriff wird auf grundsätzliche Weise mit Abwesenheit von Risiko oder Gefahr verbunden. Aber:

„Anders als bei anderen Produkten kann die Sicherheit von Medikamenten nicht als völlige Abwesenheit von Risiken definiert werden, da in diesem speziellen Kontext dieses Ziel unmöglich zu erreichen ist. Ein Medikament wird stattdessen als sicher angesehen, wenn seine Risiken auf der Grundlage einer Analyse seiner erwarteten Vorteile und der vorhandenen therapeutischen Alternativen [!] erträglich sind. Mit anderen Worten, ein Medikament ist nie völlig sicher, sondern nur sicher genug“ (Raposo 2020: 334; Hervorhebung d.d.A.).

Im Original:
„Unlike other products, in the case of drugs safety cannot be definde as a total absence of risk, because in this particular context that goal is impossible to achieve. Instead, a drug is considered safe when its risks are tolerable, based on an analysis of its expected benefits and the existing therapeutic alternatives. In other words, a drug is never totally safe, but merely safe enough“ (Raposo 2020: 334),

Sicherheit kann mit Bezug auf ein medizinisches Produkt nur eine relative Sicherheit sein. Im Rahmen der Werbung dafür, sich einer gentherapeutischen Injektion zur Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus zu unterziehen, wurde jedoch der Ausdruck „Sicher und effektiv“ verwendet, nicht der Ausdruck „Sicher genug und effektiv“ oder „Relativ sicher und effektiv“, und dies, obwohl aufgrund der kurzen Entwicklungszeit und der Eilzulassung die relative Sicherheit der entsprechenden Produkte gar nicht bestimmt werden konnte:

„Da es so viele Fälle von ADRs [unerwünschten Reaktionen auf Arzneimittel bzw. negative Nebenwirkungen] gab… wurde in den meisten Ländern ein strenges Zulassungsverfahren für Arzneimittel eingeführt. Das Verfahren beinhaltet mehrere Jahre Forschung und klinische Studien, und am Ende wird das gesamte Material einer zuständigen Arzneimittelbehörde vorgelegt, die die MA [Marktzulassung] erteilt (oder nicht erteilt), ohne die das Medikament nicht verwendet werden darf (oder nur mit einigen Ausnahmen)“ (Raposo 2020: 335).

Im Original:
„Because there have been so many cases with ADRs [adverse drug reactions], … a rigorous drug approval procedure has been implemented in most jurisdictions. The procedure involves several years of research and clinical trials, and in the end all of the material is submitted to a competent drug authority that grants (or not) the MA [market authorisation], without which the drug cannot be used (although with some exceptions)“ (Raposo 2020: 335).

Es gibt also Ausnahmen, und wir wissen dass es sich bei den gentherapeutischen Interventionen zur Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus um solche Ausnahmen gehandelt hat. Wir wissen nicht, wie viele Ausnahmen es darüber hinaus gegeben hat oder gibt. Es ist plausibel anzunehmen, dass es vorrangig (aber sicher nicht nur) diese Ausnahmen sind, die dazu führen, dass medizinische Produkte vom Markt genommen bzw. zurückgerufen werden. Und dass medizinische Produkte vom Markt genommen bzw. zurückgerufen werden, ist deutlich häufiger als man angesichts der Rede von „sicheren und effektiven“ medizinischen Produkten und der Existen von Aufsichtsbehörden und beratenden Experten vermuten würde:

Sowohl in Europa als auch in den USA wurden bei etwa 10% der auf den Markt gebrachten Medikamente schwere ADRs [unerwünschte Reaktionen auf Arzneimittel bzw. negative Nebenwirkungen] festgestellt“ (Raposo 2020: 335).

Im Original:
„Both in Europe and the United States, serious ADRs have been detected in about 10% of the drugs that have been allowed into the market“ (Raposo 2020: 335),

Wie groß ist also die relative Sicherheit, die Zulassungsbehörden tolerabel finden? Wann finden sie ein medizinisches Produkt „sicher genug“, um es zuzulassen?

Es gibt diesbezüglich keine einheitlichen Kriterien, nicht einmal mit Bezug auf die Anzahl von Todesfällen, die in einer randomisierten Kontrollstudie in der Interventionsgruppe anfallen dürfen. Ob das viele oder wenige sind, ob es ggf. zu viele sind, dies alles liegt in der subjektiven Einschätzung des Betrachters. Wenn weniger Todesfälle in der Interventionsgruppe auftreten als in der Kontrollgruppe, werden die Todesfälle in der Interventionsgruppe gewöhnlich nicht als Indikator dafür angesehen, dass die Intervention nicht sicher „genug“ ist; vielmehr werden sie als Hinweis auf das Wirkungsvermögen des medizinischen Produktes interpretiert.

Aber es gibt eine ganze Reihe von Studien, die die Qualität des Materials, auf das Zulassungsbehörden ihre Zulassungsentscheidungen gründen, untersuchen und zu Ergebnissen kommen, die alles andere als zufriedenstellend sind.

So wird aktuell von gesundheitspolitischer Seite auf gentherapeutische Interventionen für alle möglichen Krankheiten gesetzt, und für die Qualität des Materials, auf dessen Grundlage die Zulassung der acht bzw. zehn gentherapeutischen Produkte, die die U.S.-amerikanische FDA bzw. die europäische EMA bis zum 1. Januar 2022 zugelassen hatte, haben Ghanem et al. (2023: 438) das Folgende festgestellt:

„Die Gentherapie wird zur Behandlung unheilbarer Erkrankungen eingesetzt, die nur eine geringe Anzahl von Patienten betreffen (selten Krankheiten, auch Orphan-Krankheiten genannt). Auf dieser Grundlage werden sie von der EMA und der FDA basierend auf unzureichenden klinischen Nachweisen, die die Sicherheit und Wirksamkeit gewährleisten könnten, zugelassen, und dies außerdem zu hohen Kosten“.

Im Original:
„Gene therapy is used to treat incurable diseases that affect only a small number of patients (orphan diseases). Based on this, they are approved by the EMA and FDA with insufficient clinical evidence to ensure safety and efficacy, in addition to the high cost“.

Für die 21 in den USA oder in Europa zugelassenen medizinischen Produkte gegen Krebs, deren Vor- und Nach-Zulassungsgeschichte sich Salcher-Konrad et al. (2020) genau angesehen haben, sind die Autoren zu dem folgenden Ergebnis gekommen:

„Die US- und europäischen Regulierungsbehörden haben oft frühzeitige und weniger vollständig Daten zu den Nutzen-Risiko-Profilen von Krebsmedikamenten als ausreichend dafür angesehen, eine regelmäßige Zulassung zu erteilen. Dies wirft Fragen mit Bezug auf regulatorische Standards für die Zulassung neuer Medikamente auf. Selbst dann, wenn im Rahmen spezieller Zulassungsverfahren die Nachlieferung von die vorliegenden Ergebnisse ergänzenden oder überprüfenden Studien in der in der Nachmarketing-Phase gefordert werden, kann es sein, dass sich aufgrund von Mängeln im Studiendesign und Verzögerungen bei der sorgfältigen Durchführung der erforderlichen Studien keinen aussagekräftige Belege einstellen“ (Salcher-Konrad et al: 2020: 1219).

Im Original:
„US and European regulators often deemed early and less complete evidence on benefit-risk profiles of cancer drugs sufficient to grant regular approval, raising questions over regulatory standards for the approval of new medicines. Even when imposing confirmatory studies in the postmarketing period through special approval pathways, meaningful evidence may not materialize due to shortcomings in study design and delays in conducting required studies with due diligence“ (Salcher-Konrad et al: 2020: 1219).

Und es gibt eine ganze Reihe von anderen aktuellen Studien (man suche nur in der PubMed-Datenbank, und man wird schnell und zahlreich fündig), die zeigen, dass die Zulassungsbehörden es mit der Sicherheit von Medikamenten, die sie neu zulassen, nicht so genau nehmen, oder anders gesagt: die Relativität der Sicherheit von Medikamenten sehr weit auslegen.

Übrigens werden in den meisten der Studien, auf die die Zulassungsbehörden ihre Zulassungsentscheide gründen, keine therapeutischen Alternativen berücksichtigt, und bei den Zulassungsbehörden findet offenbar auch kein systematischer Vergleich von Produkten, für die die Zulassung beantragt wurde, mit entsprechenden alternativen Produkten mit Bezug auf Wirkungsvermögen und Sicherheit statt. D.h., dass neue Produkte ihre Überlegenheit über therapeutische Alternativen nicht belegen müssen. Wenn zur Sicherheitsfeststellung eines neuen medizinischen Produktes aber eine solche Analyse gehört, wie Raposo 2020 (334, s. oben) dies beschrieben hat, dann können neue Produkte, die mit alternativen Produkte systematisch verglichen wurden, nicht als „sicher genug“ eingestuft werden, wenn alternative Produkte eine größere relative Sicherheit aufweisen als das in Frage stehende neue Produkt. Im Vergleich zu alternativen Produkten wäre das neue Produkt dann nicht „sicher genug“; „sicher genug“ wäre bis auf Weiteres als alternative Produkt.

Wenn man die Eigenschaft, „sicher genug“ zu sein, auf jedes einzelne Produkt beziehen will, also eine Sicherheitsbeurteilung unabhängig vom Vergleich mit therapeutischen Alternativen vornehmen möchte, dann muss man klare Kriterien für die relative Sicherheit eines Produktes angeben, also klar angeben, ab wann genau ein Produkt als „sicher genug“ gelten soll – und mit Bezug auf welche unerwünschten Wirkungen. Das ist zugegebenermaßen ziemlich schwierig, aber eben deshalb wäre es sinnvoll, bei Sicherheitsbeurteilungen einen Vergleich mit bereits vorhandenen Produkten vorzunehmen.

Und dann sind wir noch nicht bei dem Problem angekommen, dass sich die relative Sicherheit eines medizinischen Produktes nicht einfach als Nebenprodukt einer Wirkungsvermögens-Studie erweisen kann; von relativer Sicherheit eines medizinischen Produktes lässt sich nur sinnvoll sprechen, wenn man sich dabei auf den Alltag bezieht, in dem eine große Anzahl von Konsumenten das Produkt ver-/anwendet. Und dies erfordert etwas, was man Alltagssicherheitsstudien nennen könnte, äquivalent zu Alltagswirksamkeitsstudien. Die Sicherheit eines neuen medizinischen Produktes wird derzeit aber in aller Regel als eben solches Nebenprodukt, das im Rahmen einer Wirkungsvermögens-Studie anfällt, behandelt.

Fassen wir zusammen, was vom Slogan „sicher und effektiv“ mit Bezug auf medizinische Produkte zu halten ist:

Zusammenfassung

„Sicher“ bedeutet hier notwendigerweise „relativ sicher“ oder „sicher genug“. Das liegt in der Natur der Sache und ist dementsprechend nicht zu beanstanden. Zu beanstanden ist hingegen, wenn von „sicher“ und nicht von „relativ sicher“ oder „sicher genug“ gesprochen wird, also suggeriert wird, das medizinische Produkt, um das es geht, sei „sicher“ im eigentlichen Sinn, also risikolos anwendbar. Wenn stillschweigend vorausgesetzt wird, dass doch sowieso jeder wisse, dass es kein nebenwirkungsfreies medizinisches Produkt gibt, dann gibt es auch keinen Grund, das nicht klar auszusprechen, d.h. von einem „relativ sicheren“ Produkt zu sprechen; es besteht dann doch ohnehin keine Notwendigkeit, uneingeschränkt von einem „sicheren“ Produkt zu sprechen.

Und wenn sich mutmaßliche Konsumenten des Produktes tatsächlich darüber klar sein sollten, dass es keine Sicherheit im eigentlichen Sinn (von „absolut sicher“) mit Bezug auf medizinische Produkte gibt, dann bleiben sie vollständig unaufgeklärt darüber, wie sicher die relative Sicherheit des medizinischen Produktes ist, oder wann genau „genug“ Sicherheit mit Bezug auf das medizinische Produkt herrscht, geschweige denn, ob seine relative Sicherheit größer oder kleiner ist als diejenige einer therapeutischen Alternative. Die „sicheren“ gentherapeutischen Interventionen zur Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus haben, wie nunmehr hinreichend bekannt ist, eine relativ geringe Sicherheit im Vergleich z.B. mit Ivermectin, das ebenfalls geeignet ist, das SARS-CoV-2-Virus zu bekämpfen.

Es gibt keine einheitlichen Standards für ein „Genug“ an Sicherheit im Zusammenhang mit medizinischen Produkten. Wenn ein medizinisches Produkt als „sicher“ dargestellt wird, müssen die Fragen gestellt werden,

  • wie sicher es ist, ausgedrückt in einer klar quantifizierbaren Größe,
  • wie seine relative Sicherheit festgestellt wurde,
  • insbesondere ob sie im Rahmen von Alltagskonsum festgestellt wurde, und
  • ob die Relativität der Sicherheit des Produktes auch den Vergleich mit der Sicherheit alternativer Produkte beinhaltet (was idealerweise wieder eine quantifizierbare Größe involviert).

„Effektiv“ bedeutet „wirksam“. Dem mutmaßlichen Konsumenten des medizinischen Produktes wird damit suggeriert, dass es ihm helfen wird, eine Erkrankung abzuwenden, den Verlauf derselben zu mildern oder sie, wenn er sie hat oder bekommt, zu heilen. Das ist irreführend, wenn es sich bei einem medizinischen Produkt, das als „effektiv“ bezeichnet wird, um eine neues Produkt handelt. Warum? Weil die Wirksamkeit, von dem hier die Rede ist (und nur sein kann) das Wirkungsvermögen betrifft, also den (ggf. zutreffenden) Umstand, dass das Produkt im Rahmen einer oder mehrerer randomisierter Kontrollstudien unter Laborbedingungen eine erwünschte Wirkung erzielt hat. Zu fragen wäre,

  • als wie wirksam es sich im Rahmen dieser Studie/n unter Laborbedingungen erwiesen hat bzw. wie groß das Wirkungsvermögen des Produktes unter Laborbedingungen gewesen ist,
  • ob ggf. Studien zur Alltagswirksamkeit des Produktes vorliegen (die für den Konsumenten ja von größerer Bedeutung sind als Wirkungsvermögensstudien), und falls ja, ob Studien zur Alltagswirksamkeit für Menschen vorliegen, die ggf. ihre Vorerkrankungen aufweisen, und
  • ob die Wirksamkeit des Produktes (d.h. sein Wirkungsvermögen oder ggf. seine Alltagswirksamkeit) größer oder kleiner oder genauso groß ist wie die von therapeutischen Alternativen.

Das nächste Mal, wenn Ihnen ein medizinisches Produkt als „sicher und effektiv“ bzw. „sicher und wirksam“ angepriesen wird, wissen Sie, was dies bedeutet und vor allem: was es nicht bedeutet. Und Sie wissen, welche Fragen Sie stellen sollten, wenn Ihnen ein medizinisches Produkt als „sicher und effektiv“/“sicher und wirksam“ dargestellt wird. Wenn Sie von Ihren Gesundheitsministern, Gesundheitsbehörden oder Ihrem Arzt keine einigermaßen klaren und vernünftigen (d.h. hier vor allem: begründeten) Antworten auf diese Fragen bekommen – und das wird vorhersagbar sehr häufig der Fall sein –, dann sollten Sie von der Verwendung des Produktes absehen.

Oder sie stürzen sich in den Selbstversuch, aber dann bei vollem Bewußtsein darüber, dass das Produkt für Sie mit mehr oder weniger großen Risiken behaftet sein kann und es durchaus unklar ist, ob es Ihnen (oder Anderen, wenn z.B. behauptet wird, es schütze andere Menschen vor Ansteckung mit einem Virus durch Sie) etwas nutzen wird. Letztlich braucht die Medizin Pioniere, die zum Selbstversuch bereit sind, und es gibt gute Gründe zum Selbstversuch, z.B. dann, wenn Sie schwer an einer Krankheit erkrankt sind, von der Sie keine Heilung erwarten können, außer vielleicht durch das neue Produkt. Sie sollten sich aber nicht in den Selbstversuch treiben lassen durch Slogans, die Falsches suggerieren – vielleicht sogar Falsches suggerieren sollen – wie der Slogan vom „sicheren und effektiven“ neuen medizinischen Produkt.


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Author: Dr. habil. Heike Diefenbach
Michael Klein

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