Politik: Prävention sexualisierter Gewalt – keine Priorität im Bildungssystem?
Seit den Vorfällen in der Silvesternacht – nicht nur in Köln – ist die Diskussion um das Thema sexualisierte Gewalt erneut entbrannt.
Seitens der Politik wurden danach teilweise kernige populistische Forderungen propagiert. Dem Problem ist aber weder durch die Verschärfung von Gesetzen, noch durch erhöhte Polizeipräsenz, Pfefferspray oder Ratschläge beizukommen, die die Bewegungsfreiheit insbesondere von Mädchen und Frauen einschränken.
Im wissenschaftlich-pädagogischen Bereich stehen hingegen bislang keine öffentlichen Mittel – zumindest keine in einer relevanten Höhe – für Programmentwicklung, Erprobung und den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von Präventionsangeboten zur Verfügung. Stattdessen wird dieser sensible Bereich ungeprüften Projektangeboten und teilweise sogar einer zwielichtigen Szene überlassen.
Ganz entscheidend ist hierbei die Frage, welche Präventionsmaßnahmen wirksam sind und wie sich insbesondere Mädchen und Frauen tatsächlich vor sexuellen Übergriffen schützen können. Die Ausbildung pädagogischer Kompetenz, die auf wissenschaftlichen Standards beruht, ist mehr denn je gefragt.
In diesem Zusammenhang möchten wir darauf aufmerksam machen, dass in dieser Situation der Fortbestand des bundesweit führenden und einzig wirklich wissenschaftlich fundierten Programms zur Prävention sexualisierter Gewalt nach zehnjähriger Pionierarbeit mangels weiterer Finanzierung, nun gerade in einem gesellschaftlichen Klima massiv gefährdet ist, in dem Kompetenz und Expertise auf diesem Gebiet wie selten zuvor gefragt ist.
Es handelt sich um das Präventionsprogramm „Mutige Mädchen“, das in Baden-Württemberg zusammen mit über 30 Projektschulen entwickelt, eingegliedert in den Regelunterricht in zwei Städten mittlerer Größe über drei Jahre flächendeckend erprobt und abschließend durch eine umfassende Wirksamkeitsstudie an der Universität Freiburg wissenschaftlich überprüft wurde. Das Programm baut systematisch auf psychologischen und soziologischen Theorien auf; ausgearbeitete Programmmanuale für alle Schultypen mit Schwerpunkt auf den dritten und siebten Klassen liegen zum Einsatz an den Schulen vor.
Mit diesem Präventionsprogramm wurden sowohl ethisch als auch wissenschaftlich Standards für den gesamten Bereich gesetzt. Zu betonen ist dabei, dass das Programm auf der Basis dieser Standards niemals kommerziell ausgerichtet war, da die wichtige Prämisse, alle Kinder und Jugendliche – auch solche aus prekären finanziellen und sozialen Verhältnissen – zu erreichen, in keinem Fall den Marktgesetzen geopfert werden sollte.
Die Luft für die ProgramminitiatorInnen und für die über 100 ehrenamtlich Mitarbeitenden wird immer dünner. Der letzte Projektstandort mit Büro zur Koordination des Programms steht inzwischen zur Disposition. Noch maximal bis zum Ende des Schuljahrs im Juli wird das Projekt auf kleinster Flamme an einigen ausgewählten Schulen aufrecht werden erhalten, sofern nicht kurzfristig wenigstens eine der im Raum stehenden Fördermaßnahmen umgesetzt werden kann.
Anfang des Jahres konnte quasi „auf dem Zahnfleisch“ glücklicherweise noch die etwa 500 Seiten starke wissenschaftliche Wirksamkeitsstudie des Programms für weiterführende Schulen abgeschlossen werden. Zugleich konnten darauf basierend die psychologisch und pädagogisch fundierten Kursmanuale für den Einsatz an verschiedenen Schultypen gerade noch in modifizierter Form vorgelegt werden, sodass jetzt eigentlich alles für einen überregionalen Einsatz des Programms bzw. von besonders empfohlenen Programmbestandteilen im Schulunterricht bereitsteht.
Nach zehn Jahren konnten inzwischen alle Stufen der Programmentwicklung erfolgreich abgeschlossen werden – ohne den Einsatz auch nur eines Cents an Steuergeldern – und das Thema steht zudem gerade im Fokus der Öffentlichkeit, ohne dass ansonsten wirklich probate Präventionsansätze zur Verfügung stünden.
Angesichts der massenweisen sexuellen Übergriffe zu Jahresbeginn wurde vielfach auf unsere Expertise zurückgegriffen. Auch hier liegt ein „schiefes“ Selbstverständnis zugrunde: die dringend notwendige Professionalität auf einem solch sensiblen Feld ist eben auch unter größtem ehrenamtlichen Einsatz nicht zum Nulltarif zu haben.
Seit inzwischen gut fünf Jahren stehen die Projektverantwortlichen direkt mit den baden-württembergischen Kultusbehörden und der Landesregierung im kontinuierlichen Austausch, um die Implementierung dieses wichtigen Themas in den Schulunterricht voranzutreiben. Etliche Gespräche mit dem FachministerInnen und der Ministerialbürokratie (Soziales, Kultus und Wissenschaft) bis hin zum Ministerpräsidenten haben stattgefunden; das Programm wurde im Kultusministerium in Stuttgart vorgestellt und vor einem Jahr erhielt das Programm schließlich – nach einer Reihe von Auszeichnungen – den Landespreis „Jugend fördern“ aus der Hand der Landesregierung.
Ins Leben gerufen wurde das Präventionsprogramm von der Psychologin Lynn Kalinowski zusammen mit ihrem Ehemann, dem Sozialphilosophen Peter Kalinowski. Das Freiburger Projektgründerpaar hat seit zehn Jahren unendlich viel Arbeitskraft und Engagement unentgeltlich für dieses gesellschaftspolitisch wichtige Thema in Form des Projekts eingebracht und daneben einen sechsstelligen Betrag aus Privatvermögen unter größten Entbehrungen eingesetzt, um das zu ermöglichen, was wir heute vor uns haben: das bundesweit am besten wissenschaftlich fundierte, erprobte und evaluierte Programm zur Prävention sexualisierter Gewalt „Made in Baden-Württemberg“.
Wir halten es zu diesem Zeitpunkt für dringend geboten, die Öffentlichkeit über das bevorstehende Aus dieses wegweisenden Präventionsprogramms zu informieren, das aus gravierenden Versäumnissen der politisch Verantwortlichen resultiert.
Hintergrundinformationen:
http://iifg.de/_media/pressemitteilung:2016-04-14_hintergrundinformationen_kurzfassung.pdf
http://iifg.de/_media/pressemitteilung:2016-04-13_regierungspraesidentin_schaefer.pdf
http://iifg.de/_media/pressemitteilung:2016-04-07_praeventionsprogramm_2006-2016.pdf
MUTIGE MÄDCHEN
Kooperationsprojekt
Interdisziplinäres Instituts für Gewaltprävention (IIfG)/ Freiburg
Institut für Psychologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/ Abt. Neuropsychologie
www.iifg.de
Mit dem Gründer des IIfG und des Präventionsprogramms, Herrn Dr. Peter Kalinowski, können Sie direkt Kontakt aufnehmen:
[email protected]
mobil: 01522-3521868
Unsere Kooperationspartnerin, Frau Prof. Dr. Ulrike Halsband, Leiterin der Abteilung Neurospychologie erreichen Sie unter:
[email protected]
Interdisziplinäres Institut für Gewaltprävention
Jacobistr. 46
79104 Freiburg
Telefon Universität: 0761-303-9442
www.iifg.de
MUTIGE MÄDCHEN:
Kooperationsprojekt des
Interdisziplinären Instituts für Gewaltprävention
mit dem
Institut für Psychologie der Universität Freiburg/
Abteilung Neuropsychologie
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Interdisziplinäres Institut für Gewaltprävention
Dr. Peter Kalinowski
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Pressekontakt
Interdisziplinäres Institut für Gewaltprävention
Laura Klatt
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http://www.iifg.de