„Russland hat den Krieg in unser Land gebracht und soll spüren, was es getan hat“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Dabei erwähnte der Staatschef die seit Dienstag andauernden Kämpfe ukrainischer Soldaten auf russischem Gebiet im Raum Kursk nicht. In der Nacht meldeten russische Stellen dann einen großangelegten ukrainischen Drohnenangriff auf die Region Lipezk südlich von Moskau.
Der Berater in Selenskyjs Büro, Mychajlo Podoljak, wies auf die internationale Reaktion zum ukrainischen Angriff auf die Region Kursk hin. Die Reaktion sei „absolut ruhig, ausgewogen, objektiv“ und richte sich nach dem „Geist des internationalen Rechts“ und nach den „Prinzipien der Führung eines Verteidigungskrieges“, teilte Podoljak bei Telegram mit. Zuvor hatte etwa die EU erklärt, die Ukraine habe in ihrem Verteidigungskampf gegen den russischen Angriffskrieg das Recht, auch das Gebiet des Aggressors zu attackieren.
Auch in der Nacht zum Freitag kam es Berichten zufolge erneut zu Angriffen auf russischem Gebiet. Neben Kursk waren unter anderem die Grenzregionen Belgorod, Brjansk sowie das Gebiet Lipezk südlich von Moskau betroffen. In der Ukraine gab es ebenfalls etliche Drohnenangriffe.
„Lipezk ist einer massiven Drohnenattacke ausgesetzt“, wurde der Gouverneur des Gebiets, Igor Artamonow, von der russischen Staatsgagentur Tass zitiert. „Die Luftabwehr arbeitet dagegen an“, hieß es demnach auf seiner Telegram-Seite. Beim Absturz einer Drohne sei eine Elektrizitätsanlage beschädigt worden, in der Folge gebe es Stromausfälle. Außerdem sei es fernab ziviler Infrastruktur zu einer „Explosion von Gefahrenstoffen“ gekommen.
Heftige Explosionen und Brände soll es in der Nacht auch in der russischen Ortschaft Rylsk im Raum Kursk gegeben haben, wie das ukrainische Nachrichtenportal „Kyiv Independent“ unter Berufung auf Russland-freundliche Telegram-Kanäle berichtete. Die Ursache der Explosionen sei noch unklar. Die Angaben von russischer Behördenseite ließen sich nicht unabhängig bestätigen. Vonseiten der Ukraine gab es keine offizielle Bestätigung der Angriffe.
Berater in Kiew: Russland ist legitimes Ziel
„Das Unmögliche ist möglich geworden, und die mythische russische Brutalität und Maßlosigkeit haben sich nun gegen Russland selbst gewendet“, sagte Podoljak am Donnerstag zur Lage in Kursk. Ein großer Teil der Weltgemeinschaft halte Russland inzwischen für ein legitimes Ziel für beliebige Operationen und Waffen. Die Ukraine kämpfe heute nicht nur mit der Besatzungsarmee, sondern mit Erfolg auch gegen historisch starke prorussische Sympathien und gegen Ängste im Westen, sagte er.
Die Ukraine weist immer wieder darauf hin, dass Russland ein besiegbarer Feind sei und will auch mit diesem ersten Einmarsch einer ausländischen Armee seit Ende des Zweiten Weltkriegs dort zeigen, dass das Land verwundbar ist. Podoljak hatte zuvor laut Medien in Kiew im Fernsehen erklärt, dass die Kämpfe die Verhandlungsposition der Ukraine stärken sollen. Unklar ist aber, ob die Ukraine Erfolg haben wird im Gebiet Kursk.
Selenskyj: Ukraine braucht solche Ergebnisse
„Ukrainer können ihre Ziele erreichen“, sagte Selenskyj in seiner Videobotschaft. Er habe sich vom Oberkommandierenden der Streitkräfte, Olexander Syrskyj, über die Lage im Kriegsgebiet informieren lassen. Details nannte er nicht, betonte aber, dass die Ergebnisse so seien, wie sie das Land derzeit brauche. Zuvor hatte Syrskyj in sozialen Netzwerken ein Foto veröffentlicht, das ihn im Aufmarschgebiet zeigen soll – vermutlich in Sumy an der Grenze, von wo aus die ukrainischen Soldaten in die russische Region Kursk eingedrungen sind.
Im Gebiet Kursk gingen die Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Soldaten in den vierten Tag. Laut russischen Militärbloggern festigten die Ukrainer teils ihre Stellungen, darunter in der grenznahen Stadt Sudscha. Es gab Berichte über ukrainische Militärhubschrauber, die in das Gebiet eindrangen, um Nachschub zu liefern und Verletzte abzutransportieren.
Die Blogger sprachen von einer sehr schwierigen Lage, berichteten aber mit zunächst nicht überprüfbaren Fotos und Videos auch über die Ankunft zahlreicher Kampfverbände. Damit begännen nun auch aktive Gegenangriffe, hieß es. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow hatte die Zerschlagung der ukrainischen Truppenverbände angekündigt.
Kremlchef Wladimir Putin hatte den Angriff als eine Provokation der Ukraine bezeichnet. Nach russischen Militärangaben sind bereits Hunderte ukrainische Soldaten getötet und verletzt und Dutzende Stück Panzer und andere Militärtechnik zerstört worden. Die Angaben sind unabhängig nicht überprüfbar.
Gesundheitsministerium: Mehr als 60 Verletzte
Nach Angaben des russischen Gesundheitsministeriums stieg die Zahl der verletzten Zivilisten weiter – auf inzwischen 66 seit Beginn der Invasion. Die Zahl der Toten wurde mit fünf angegeben. Kremlchef Putin ließ sich in einer Videoschalte vom geschäftsführenden Kursker Gouverneur Alexej Smirnow über die Lage informieren. Er wies an, Bedürftigen 10.000 Rubel Soforthilfe auszuzahlen – das sind umgerechnet etwas über 100 Euro.
Tausende Menschen flohen aus den grenznahen Ortschaften, wo laut Behörden viele Häuser durch Beschuss zerstört wurden. Viele kamen nach offiziellen Angaben in Notunterkünften oder bei Verwandten und Bekannten unter. Die Lage galt weiter als gespannt.
Auch Region Belgorod meldet erneut Beschuss
Auch die grenznahe russische Region Belgorod meldete erneut Beschuss von ukrainischer Seite, darunter mit Drohnen. Die russische Flugabwehr habe einige Ziele zerstört, sagte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow. Eine Frau und ein Mann seien verletzt, mehrere Wohnungen und Gebäude beschädigt worden. Nach Darstellung Gladkows gab es auch Einschläge von Sprengsätzen in der Stadt, vier Autos seien dabei in Brand geraten.
Auch die Stadt Schebekino sei von ukrainischen Streitkräften beschossen worden, sagte Gladkow. Ein Mann wurde demnach mit Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Es gebe Schäden an zehn Häusern, zerschlagene Fenster, an Fassaden, Dächern und Zäunen.
Gouverneur: Menschen in Belgorod in Sorge
Die Region Belgorod kommt seit dem Durchbruch von Kämpfern von ukrainischer Seite im vergangenen Jahr nicht zur Ruhe. Anders als in Kursk, wo erstmals reguläre Truppen Kiews im Einsatz sind, bekannten sich zur Invasion im Gebiet Belgorod im vorigen Jahr Freiwilligenverbände mit Russen, die an der Seite ukrainischer Truppen kämpfen, zu dem Vorstoß.
Gouverneur Gladkow zeigte sich bei einem Treffen mit Bürgern, die damals ihr Hab und Gut durch den Beschuss verloren. Demnach warten viele Menschen immer noch auf eine Entschädigung.
Die Regionen und auch Putin stehen unter besonderem Handlungsdruck, weil sie immer wieder Versprechen abgegeben haben, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Viele fühlen sich im Stich gelassen. „Die Leute machen sich natürlich große Sorgen, was mit ihren Häusern wird, wo sie wohnen und arbeiten werden in Zukunft und wann sie den Schlüssel für eine neue Wohnung bekommen“, sagte Gladkow. Diese Fragen sollten schnell gelöst werden.
Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen. Besonders in den Grenzregionen bekommen auch Russen die Kriegsfolgen immer wieder zu spüren. Die Schäden stehen meist in keinem Vergleich zu den verheerenden Zerstörungen und den vielen Toten und Verletzten auf ukrainischer Seite durch die russischen Angriffe.
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Author: [email protected]