Während die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation im Konflikt zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah auf Hochtouren laufen, werden die Gespräche über eine Waffenruhe im Gazastreifen durch gegenseitige Blockadevorwürfe der Kriegsparteien erschwert. «Wir glauben, dass es noch Zeit und Raum für eine diplomatische Lösung gibt», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, mit Blick auf die zugespitzte Lage.
Nach dem verheerenden Raketenangriff auf den israelisch besetzten Golanhöhen mit zwölf getöteten Kindern und Jugendlichen wächst die Angst vor einem größeren Krieg. Die Hisbollah, die nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der islamistischen Hamas Israel zu einem Waffenstillstandsabkommen im Gazastreifen zwingen will, ist in Alarmbereitschaft. Sollte es zu einem Angriff kommen, werde man zurückschlagen, hieß es in Hisbollah-Kreisen. Israelischen Medien zufolge dürfte Israels Reaktion bedeutsam, aber begrenzt ausfallen.
Anzeichen für versehentlichen Raketeneinschlag
Die US-Regierung habe sich am Wochenende intensiv mit verschiedenen Akteuren ausgetauscht, sagte Kirby. «Nach den Gesprächen, die wir geführt haben, glauben wir nicht, dass dies zu einer Eskalation oder zu einem breiteren Krieg führen muss.» Ein solches Szenario sei vermeidbar.
Die israelische Regierung macht die mit dem Iran verbündete Schiitenmiliz Hisbollah für den Raketenangriff auf dem Golan verantwortlich und bereitet einen Vergeltungsschlag vor. Auch die US-Regierung schrieb die Attacke der Hisbollah zu.
«Der Angriff wurde von der libanesischen Hisbollah durchgeführt, auch wenn sie dies bestreitet», sagte Kirby. Die Rakete sei aus einem Gebiet abgefeuert worden, das die Miliz kontrolliere. Er betonte, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, und das Land habe selbst zu entscheiden, wie es nun reagiere. «Aber wir glauben nicht, dass dieser Angriff am Wochenende – so schrecklich er auch war – zu einer Eskalation oder einem größeren Kriegsrisiko führen muss.» Entsprechende Vorhersagen seien übertrieben.
Es gibt Anzeichen, dass die Hisbollah den vor allem von arabischsprachigen Drusen bewohnten Ort Madschdal Schams womöglich versehentlich traf. «Die Annahme einer fehlgeleiteten Rakete ist viel glaubhafter als dass Hisbollah beschließt, ein Fußballfeld anzugreifen», sagte Eli Hanna, ein libanesischer Ex-General, der Zeitung «L’Orient-Le Jour». Dafür spricht auch, dass die Miliz am selben Tag mehrere andere Attacken gegen israelische Militärziele in der Nähe für sich beanspruchte.
Netanjahu: Unsere Reaktion wird hart sein
Israels Sicherheitskabinett ermächtigte am späten Sonntagabend Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant dazu, über die weitere Vorgangsweise gegen die Hisbollah zu entscheiden. Netanjahu sagte bei einem Besuch des Ortes, wo die Rakete eingeschlagen war, Israel könne nach dem Angriff nicht zur Tagesordnung übergehen. «Unsere Reaktion wird kommen, und sie wird hart sein», sagte der 74-Jährige.
Gleichzeitig scheinen beide Seiten allen Anzeichen nach nicht daran interessiert, ihre seit fast zehn Monaten andauernden harten Gefechte noch erheblich auszuweiten. Auf libanesischer Seite wurden dabei mehr als 100 Zivilisten sowie 360 Hisbollah-Mitglieder getötet, aufseiten Israels etwa 20 Soldaten und mehr als 20 Zivilisten. 150 000 Menschen auf beiden Seiten der Grenze mussten ihre Wohnorte verlassen. Das US-Nachrichtenportal «Axios» zitierte israelische Beamte, wonach Israels Sicherheitskabinett und das Militär «eine viel stärkere Reaktion auf die Hisbollah als alles bisher Dagewesene» befürworten, aber keinen großen Krieg.
Bericht: Heftige Kämpfe wären schwer einzudämmen
Die US-Regierung habe Israel gewarnt, dass bei einem Beschuss der Hisbollah in der libanesischen Hauptstadt Beirut die Situation «wahrscheinlich außer Kontrolle geraten» würde, berichtete «Axios» unter Berufung auf einen israelischen und einen US-Beamten. Nach Ansicht des israelischen Militärs würde eine starke israelische Reaktion wahrscheinlich zu mehrtägigen Kämpfen mit hoher Intensität führen, die nur schwer einzudämmen wären, schrieb der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid. «Es ist klar, dass beide Seiten einen Schritt weiter gehen werden als bisher, aber es ist nicht klar, ob sie es vermeiden können, in den Abgrund zu stürzen», zitierte Ravid einen israelischen Beamten bei «Axios».
Die Hamas lehnt derweil den jüngsten Vorschlag Israels für eine Waffenruhe in Gaza und die Freilassung von israelischen Geiseln in ihrer Gewalt ab. Israels Ministerpräsident sei durch neue Forderungen von den bisherigen eigenen Positionen und denen der Vermittler abgewichen, hieß es auf Telegram. «Netanjahu ist erneut zu einer Strategie des Verschleppens, Verzögerns und Ausweichens vor einer Einigung zurückgekehrt.»
Hamas und Israel werfen sich Blockadehaltung vor
Netanjahu bestritt, neue Bedingungen gestellt zu haben. «Israel hat den Entwurf (für ein Abkommen) weder verändert noch irgendwelche Bedingungen hinzugefügt», ließ der Regierungschef über sein Büro mitteilen. Vielmehr sei es die Führung der Hamas, die eine Einigung verhindere. Da die Hamas und Israel nicht direkt miteinander verhandeln, fungieren Katar, Ägypten und die USA als Vermittler zwischen den beiden Kriegsparteien.
Die Gespräche verlaufen jedoch seit Monaten sehr schleppend. Seit Mai kreisen sie um einen mehrstufigen Plan von US-Präsident Joe Biden, der am Ende eine dauerhafte Waffenruhe vorsieht. Außerdem sollen die Geiseln in der Gewalt der Hamas gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden.
Zuletzt hatte Netanjahu zusätzliche Bedingungen formuliert, die in Israels übermittelten Vorschlag einflossen. Diese zielen darauf ab, dass Israel auch nach dem Inkrafttreten einer Waffenruhe die Kontrolle über strategische Zonen im Gazastreifen behält. Netanjahus Büro hatte am Sonntagabend mitgeteilt, dass die Gespräche über die Hauptthemen in den kommenden Tagen fortgesetzt würden.
«Wir wollen nicht, dass der Krieg eskaliert», sagte Kirby. Mit Blick auf die Lage zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz im Grenzgebiet beider Länder fügte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA hinzu: «Wir wollen nicht, dass dort im Norden eine zweite Front eröffnet wird.»
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