Bei dem Raketenangriff starben in der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka nach Behördenangaben mindestens 14 Menschen. Etwa 40 weitere wurden verletzt. „Ein Schlag der russischen Terroristen auf einen gewöhnlichen Supermarkt und eine Post. Menschen sind unter den Trümmern“, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Telegram. Für das von fast zweieinhalb Jahren russischer Invasion gezeichnete Land ist dieser Angriff auf ein weiteres ziviles Objekt ein neuer schwerer Schlag.
Mit Blick auf den ukrainischen Vorstoß in der russischen Grenzregion Kursk hatte Selenskyj noch am Abend gesagt, dass die Ergebnisse dort gut seien und Moskau nun selbst erfahre, was Krieg bedeute. „Russland hat den Krieg in unser Land gebracht und soll spüren, was es getan hat“, sagte er. In der Nacht meldeten russische Stellen dann einen großangelegten ukrainischen Drohnenangriff auf die Region Lipezk südlich von Moskau.
Kämpfe im Gebiet Kursk dauern an
Russland verlegte zusätzliche Truppen und Technik in das Gebiet Kursk, in das am Dienstag Hunderte ukrainische Soldaten eingedrungen waren. Russische Militärblogger bestätigten, dass dabei auch eine Militärkolonne östlich der Kreisstadt Rylsk mit vielen russischen Soldaten von ukrainischer Artillerie getroffen wurde. Auf nicht überprüfbaren Videos in sozialen Netzwerken waren zerstörte Lastwagen zu sehen und leblose Körper in Uniform.
Kremlkritische Medien berichteten von etwa 120 russischen Soldaten, die noch vor ihrem geplanten Kampfeinsatz getötet worden seien. Offiziell gab es dazu keine Informationen. Der Inlandsgeheimdienst FSB nahm aber einen Mann fest, der Aufnahmen von der zerstörten Kolonne und Leichen gemacht hatte.
Mit Flugzeugen und Artillerie seien ukrainische Versuche, tief ins Gebiet Kursk vorzudringen, zurückgeschlagen worden, behauptete das russische Verteidigungsministerium. Dagegen hatten russische Militärblogger dazu aufgerufen, die Wahrheit über die Lage zu sagen. Die ukrainischen Truppen hätten sich an mehreren Positionen festgesetzt, hieß es.
Ausnahmezustand auch in der Region Lipezk
In der Region Kursk stuften die Behörden den Ausnahmezustand zu einem Notstand nationalen Ausmaßes hoch. Damit gibt es mehr Personal und Mittel. Allein in der Region Kursk wurden mehr als 50 Verletzte in Krankenhäuser gebracht. Tausende mussten sich wegen des ukrainischen Vormarsches in Sicherheit bringen.
Nach den massiven Drohnenangriffen auf die Region Lipezk wurde auch dort der Ausnahmezustand ausgerufen. Auf einem Militärflugplatz bei der Stadt Lipezk rund 300 Kilometer nördlich von der ukrainisch-russischen Grenze kam es nachts zu massiven Explosionen in einem Munitionslager. Luftalarm wurde ebenfalls in den benachbarten Gebieten Kursk, Brjansk, Belgorod und Woronesch sowie auf der von Russland schon 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim ausgelöst. Über 70 Drohnen seien abgefangen worden, teilten die russischen Behörden mit.
Vier Dörfer um den Lipezker Militärflughafen sollten evakuiert werden. In Lipezk und Umland wurde laut dem Gouverneur Igor Artamonow der öffentliche Nahverkehr gestoppt. Es kam wegen Schäden an einer Energieanlage zu Stromausfällen. Infolge der Angriffe seien neun Menschen verletzt worden. Der Militärflughafen liegt gut 280 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt.
Ukraine gibt keine Details zu Kämpfen preis
Der ukrainische Generalstab machte weiter keine Angaben zu den Kämpfen auf russischem Staatsgebiet. Im Morgenbericht bei Facebook war lediglich die Rede von russischen Luft- und Artillerieangriffen an der Grenze zwischen den nordostukrainischen Gebieten Tschernihiw und Sumy. Mehr als ein halbes Dutzend Ortschaften vor allem im Grenzbereich zu Russland seien betroffen.
Die ukrainischen Militärbeobachter des Kanals DeepState kennzeichneten unterdessen eine Fläche von etwa 140 Quadratkilometer im Kursker Gebiet mit drei Dörfern als ukrainisch kontrolliert. Die Kreisstadt Sudscha steht demnach nicht unter ukrainischer Kontrolle. Zu den Vorgängen gibt es aufgrund einer offensichtlich verhängten Informationssperre von ukrainischer Seite kaum Angaben. Der Berater in Selenskyjs Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, erinnerte aber an die internationalen Reaktionen, nach denen die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen den Krieg das Recht habe, auch russisches Gebiet anzugreifen.
Berater in Kiew: Russland ist legitimes Ziel
„Das Unmögliche ist möglich geworden, und die mythische russische Brutalität und Maßlosigkeit haben sich nun gegen Russland selbst gewendet“, sagte Podoljak zur Lage in Kursk. Ein großer Teil der Weltgemeinschaft halte Russland inzwischen für ein legitimes Ziel für beliebige Operationen und Waffen. Die Ukraine kämpfe heute nicht nur mit der Besatzungsarmee, sondern mit Erfolg auch gegen historisch starke prorussische Sympathien und gegen Ängste im Westen, sagte er.
Die Ukraine weist immer wieder darauf hin, dass Russland ein besiegbarer Feind sei. Sie will mit diesem ersten Einmarsch einer ausländischen Armee seit Ende des Zweiten Weltkriegs auch zeigen, dass das Land verwundbar ist. Kremlchef Wladimir Putin traf sich in seiner Residenz indes mit Vertretern des nationalen Sicherheitsrates, um weitere Schritte im Kampf gegen den Terror, wie er das nannte, zu besprechen. Details wurden zunächst nicht bekannt.
Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen. Besonders in den Grenzregionen bekommen auch Russen die Kriegsfolgen immer wieder zu spüren. Die Schäden stehen meist in keinem Vergleich zu den verheerenden Zerstörungen und den vielen Toten und Verletzten auf ukrainischer Seite durch die russischen Angriffe.
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Author: [email protected]