Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck im Interview mit Volker Dineiger, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin und Essen.
In einem aktuellen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22.03.2016 (Az. 1 ABR 14/14) geht es um die Mitbestimmung des Betriebsrats im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Entscheidung ziehen?
Fachanwalt Bredereck: Mit seinem Beschluss hat das BAG ein wenig Aufsehen erregt. Unter anderem liest man zum Teil, das BAG habe die Mitbestimmung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement aufgehoben. Gibt es jetzt zu Recht Aufregung?
Fachanwalt Dineiger: Ja und nein. Richtig ist, dass sich das BAG mit den Grenzen des Mitbestimmungsrechts im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements auseinandergesetzt hat. Eine Aufhebung der Mitbestimmung gab es aber nicht.
Fachanwalt Bredereck: Zunächst vielleicht noch einmal zur Klarstellung die Frage, worum es sich beim betrieblichen Eingliederungsmanagement überhaupt handelt und welche Bedeutung es hat?
Fachanwalt Dineiger: Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements und gesetzlich geregelt. § 84 SGB IX schreibt vor, dass der Arbeitgeber ein bEM einleiten muss, wenn der Arbeitnehmer im Jahr mehr als sechs Wochen (am Stück oder in Intervallen) krank ist. Das bedeutet, dass er den Arbeitnehmer zu einem Gespräch einladen muss. Zweck des Gesprächs ist es, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer erörtern, wie die Krankheit am besten überwunden und für die Zukunft eine Besserung erwartet werden kann.
Fachanwalt Bredereck: Tut der Arbeitgeber das nicht, gibt es ja zunächst keine Konsequenzen. Warum also wird das bEM als so wichtig erachtet?
Fachanwalt Dineiger: Naja es ist nicht so, dass es gar keine Folgen hätte. Der Arbeitgeber kann sich bei einer Kündigung nicht auf Beweiserleichterungen berufen. Darauf ist das bEM aber gar nicht angelegt. Es geht vielmehr um eine erfolgreiche Personalpolitik: Die Krankheit des Arbeitnehmers ist ja ein Kostenfaktor im Hinblick auf Lohnfortzahlung und Produktivität. Betrachtet man den Fachkräftemangel und die starke Alterung der Arbeitnehmer, spielt das eine erhebliche Rolle. Arbeitgeber erkennen zunehmend den Nutzen des bEM für eine erfolgreiche Personalpolitik im Unternehmen. Aufgrund der Bedeutung des Instruments wollen aber natürlich auch die Betriebsräte mitbestimmen.
Fachanwalt Bredereck: Lässt sie das BAG denn mitbestimmen?
Fachanwalt Dineiger: Nur ein bisschen. Eine Mitbestimmung des Betriebsrats erfordert eine gesetzliche Grundlage. Im Hinblick auf das bEM ergibt sich ein solche aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Nun hat das BAG entschieden, wie stark diese Rechtsgrundlage ist.
Fachanwalt Bredereck: Wenn man sich die Kommentare zur Entscheidung durchliest, wohl nicht besonders stark, oder?
Fachanwalt Dineiger: Eigentlich schon, allerdings nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Die Mitbestimmung betrifft hier die Verhütung von Arbeitsunfällen sowie den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Die Mitbestimmung in diesem Bereich hat also gesetzeskonkretisierende Wirkung. Sie geht also nur so weit, wie die gesetzlichen Regelungen auch gehen, nicht aber weiter.
Fachanwalt Bredereck: Was darf denn der Betriebsrat dann jetzt hier und was nicht?
Fachanwalt Dineiger: Das war in der Tat die zentrale Frage. Das Gesetz macht beim bEM nur Vorgaben dazu, was der Arbeitgeber zu tun hat, nicht allerdings, wie er es zu tun hat. Dem Gesetz lässt sich auch nicht entnehmen, was der Arbeitgeber dann tun muss, wenn die Erkenntnisse gewonnen wurden. Konkret verpflichtet das Gesetz den Arbeitgeber nicht dazu, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen – das ist seine eigene Organisationsentscheidung.
Fachanwalt Bredereck: Darf der Betriebsrat dann auch nur das oder gerade mehr?
Fachanwalt Dineiger: Er darf ein bisschen mehr. Die Mitbestimmung kann sich nach dem Beschluss des BAG auf eine bestimmte Verfahrensordnung bei der Durchführung eines bEM beziehen. Der Betriebsrat hat auch mitzubestimmen bei der Abstimmung von Verfahrensschritten, also im Wesentlichen bei allem, was die Ausgestaltung des bEM betrifft. Eine Mitbestimmung bezüglich der Durchführung der Maßnahmen selbst oder gar eine personelle Beteiligung daran gibt die Mitbestimmung aber nicht her. Das gibt es eine Grenze.
Fachanwalt Bredereck: Also, kurz zusammengefasst: keine Mitbestimmung im Organisationsbereich. Tatsächlich sehr spannend. Wie kommt eine solche Sache eigentlich vor das Arbeitsgericht?
Fachanwalt Dineiger: Eigentlich für alle Seiten ärgerlich. Arbeitgeber und Betriebsrat hatten lange vor einer Einigungsstelle gestritten. Der Arbeitgeberseite ging das Ergebnis zu weit, sie zog vor Gericht und ließ die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs feststellen.
Stiftung Warentest. Die Fachanwälte für Arbeitsrecht Volker Dineiger und Alexander Bredereck sind die Autoren des Ratgebers „Arbeitsrecht“ der Stiftung Warentest.
30.03.2016
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