• 24. September 2024

Komischer Geruch bei der Wahl in Brandenburg: Wir haben ein Problem mit dem Stimmenanteil der SPD

ByJörg

Sep 23, 2024

Es ist wohl das, was man ein politisches Wunder nennen muss.

Während die SPD-Bundespartei in Umfragen von einem Tief zum nächsten schlittert, während Bundeskanzler Scholz immer weiter von seinem Ziel, beliebtester Bundeskanzler aller Zeiten zu sein, entfernt ist, während es die SPD bei Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen mit viel Mühe geschafft hat, im jeweiligen Parlament vertreten zu sein, ist sie in Brandenburg am Ende eines beachtlichen Comebacks zur stärksten Partei in der gestrigen Landtagswahl avanciert.

Wie bemerkenswert dieses Comeback ist, zeigt sich nicht nur daran, dass die SPD Brandenburg WIDER den generellen Abwärtstrend der Bundespartei zur stärksten Partei geworden ist, es zeigt sich auch daran, dass die Partei ihren Stimmenanteil innerhalb von einem Jahr um 60% erhöht hat, von 18%, die Infratest Dimap noch im September 2023 für die SPD ausgewiesen hat, auf 30,9% der Zweitstimmen bei der Landtagswahl am 22. September 2024.

Quelle: Wahlrecht.de

Nicht nur ist dieses Comeback erstaunlich und gegen den Abwärtstrend der SPD, es ist zudem höchst unwahrscheinlich aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive, denn alle Indikatoren, die im Zusammenhang mit der sogenannten Nebenwahltheorie entwickelt wurden, weisen nach unten und auf Verluste der Regierungsparteien hin, Verluste, die FDP und Grüne materialisiert haben, aber eben nicht die SPD, was in MS-Medien auf deren Spitzenkandidaten, Dietmar Woike und sein “Charisma” zurückgeführt wird.

Indes, wir mögen daneben lieben, aber auf uns macht Woike eher den erregenden Eindruck, den es hat, Wandfarbe beim Trochnen zuzusehen.

Abgesehen davon ist es in der Wahlforschung jenseits von Helmut Schmidt und Willy Brand zu keinem Zeitpunkt gelungen, einen nennenswerten positiven Effekt von Spitzenkandidaten auf das Wahlergebnis ihrer Partei zu finden. Dass dies bei Dietmar Woike anders sein soll, Woike eine Wähler-Wirkung haben soll, wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt … nun ja:

Ergo stellt sich die Frage: Wo sind die Stimmen, die der SPD dazu verholfen haben, einen Rückstand wettzumachen und in einen Vorsprung umzumodeln, hergekommen?

Für all diejenigen, die sich mit Analysen auf Basis von Exit Polls, Wahltagsumfragen mit um die 5.000 Wählern, denen nach Verlassen des Wahllokals von Interviewern aufgelauert wird, zufrieden geben, mögen Darstellungen wie die folgenden ausreichen:

Schöne Zahlen, die sich immer schön auf 1000 runden lassen, um Präzision vorzugaukeln und die sich auf einen Nettostimmengewinn von 104.000 Stimmen für die SPD addieren. Tatsächlich hat die SPD aber im Vergleich zu 2019 132.440 Zweitstimmen hinzugewonnen. Es fehlen also 28.440 Stimmen, was insofern interessant ist, als der Vorsprung der SPD auf die AfD bei Zweitstimmen gerade einmal 24.867 Stimmen beträgt. Das sind immerhin 18.8% aller zur SPD gewechselten Wähler.

Wo ist dieses Fünftel der SPD hergekommen.

Ein recht genaues Bild darüber, welche Wählerwanderungen TATSÄCHLICH stattgefunden haben, kann man auf Basis von Aggregatdaten gewinnen, jedenfalls dann, wenn man die Daten handlen kann. Jürgen Falter hat auf Basis von Aggregatdatenanalysen, ökologischen Regressionen in seinen Fall, die Frage beantwortet, die bis zu Falters Analysen viele Politikwissenschaftler bewegt hat: Wer hat eigentlich die NSDAP gewählt. Die Antwort finden Sie hier.

Ausgangspunkt jeder Aggregatdatenanalyse ist eine Grundgesamtheit, die für Varianz sorgt: Wir haben die 44 Wahlkreise Brandenburgs zur Grundlage unserer Analyse genommen und zeigen in der ersten Abbildung zunächst, wie SPD und AfD in den Wahlkreisen Brandenburgs abgeschnitten haben:

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Potsdam und die umgebenden Landkreise sind, wenn man so will, SPD-Kernland während sich die Hochburgen der AfD im Süden von Brandenburg, dort haben sie Cottbus in der Zange, finden, mit nördlichen Hochburgen in der Ueckermark und in Prignitz.

Eines der markantesten Ergebnisse der Landtagswahl in Brandenburg ist die Verteilung der Direktmandate zwischen SPD und AfD, andere Parteien spielen hier keine Rolle. Indes, entgegen der Erwartung, die der Wahlausgang weckt, sind 25 der 44 Direktmandate an die AfD gegangen, während die SPD lediglich 19 Direktmandate gewinnen konnte.

Eine Seltsamkeit, aber nicht unbekannt, wie diejenigen wissen, die Bundestagswahlen in den 1970er Jahren analysiert haben. Indes, diese – sagen wir: schiefe Verteilung der Erststimmen dient als erster Ausgangspunkt, der die Suche nach den Stimmen der SPD einläutet. Zu diesem Zweck haben wir für alle 44 Wahlkreise und für SPD und AfD die DIFFERENZ zwischen Erst- und Zweitstimme gebildet. Da in der Regel mehr Erst- als Zweitstimmen für große Parteien anfallen, haben wir die Erststimme von der Zweitstimme subtrahiert: Je negativer der Wert, um so deutlicher nach oben sind die Erststimmen von den Zweitstimmen abgewichen. Das Ergebnis sieht dann so aus:

In fünf Wahlkreisen liegt der Zweitstimmenanteil der SPD über dem Erststimmenanteil, und zwar in Barnim II (+4,5%), Potsdam I (3,0%), Elbe-Elster I, Oberspreewald-Lausitz III und Oder Spree II. Alle fünf Wahlkreise weisen Wahlbeteiligungen zwischen 72,7% (Oder Spree) und 83,5% (Potsdam I) auf. Indes: auch auf der anderen Seite hat die SPD hohe Werte: So liegt der Zweitstimmenanteil im Wahlkreis Spree-Neiße I um 12,4% unter dem Erststimmenanteil, in Potsdam II sind es 8,5% und in Brandenburg an der Havel II 6,2%. Eher statisch wirkt dagegen die AfD, deren einziger Wahlkreis, in dem die Partei mehr Zweitstimmen als Erststimmen errungen hat, Elbe Elster II, ein Plus von 5,7% aufweist, die beiden Wahlkreise, in denen das Zweitstimmenergebnis am deutlichsten unter dem Erststimmenergebnis geblieben ist: Uckermark II (-5,2%) und Cottbus II (-5,0%) bleiben ebenfalls im Rahmen.

Die Stimmanteile der SPD weisen eine deutlich höhere Volatilität auf als die Stimmanteile der AfD und die erste Idee, die einem Wahlforscher kommt, wenn er so etwas erklären soll, hat die Wahlbeteiligung zum Gegenstand. Also haben wir die Erst- und Zweitstimmenanteile für AfD und SPD gegen die Wahlbeteiligung regressiert und das Ergebnis sieht für die AfD so aus, wie man das erwartet:

Sowohl für den Erst- als auch für den Zweitstimmenanteil der AfD ergibt sich ein deutlicher Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung: Je höher die Wahlbeteiligung in einem Wahlkreis, desto geringer der Stimmenanteil der AfD. Das gilt, um es noch einmal zu sagen, sowohl für die Erst- als auch die Zweitstimme, und das würde man auch so erwarten: Warum soll die Wahlbeteiligung einen unterschiedlichen Effekt auf Erst- und Zweitstimme ausüben?

Dass die Wahlbeteiligung gegen die AfD wirkt, kann man in einer ersten Arbeitshypothese als Resultat der Generalmobilmachung derjenigen Leute werten, die sich für Demokraten halten und weil sie das von sich denken, zusätzlich der Ansicht sind, sie könnten mit allen Mitteln der Propaganda versuchen, die Wahlentscheidung von Wählern zu beeinflussen. Es könnte sein, dass die Propaganda einen Mobilisierungseffekt bei Wählern der SPD hatte – könnte ist das entscheidende Wort hier.

Denn wenn man den soeben für die AfD dargestellten Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Anteil an Erst- und Zweitstimmen für die SPD betrachtet, dann ergibt sich das folgende, eher seltsame Bild:

Es gibt KEINEN Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Erststimme für die SPD, aber es gibt einen Zusammenhang, einen deutlichen Zusammenhang (r =.37) zwischen der Wahlbeteiligung und dem Zweitstimmenanteil der SPD.

Wie ist das möglich?

Wurden nur Wähler, die der SPD ihre Zweitstimme gegeben haben, durch die Propaganda mobilisiert? Indes: Wer die 1970er und 1980er Jahre als Wahlforscher analysiert hat, der wird sich an die Zweitstimmenkampagnen der FDP erinnern: Erststimme für SPD oder CDU, Zweitstimme für die FDP, eine strategische Wahl, die der FDP die Regierungsbeteiligung über mehr als zwei Jahrzehnte hinaus gesichert hat. Sind die Zweitstimmen, die der SPD eine Mehrheit beschert haben, also von anderen Parteien gekommen, quasi als eine Art Kannibalisierung linker Parteien, LINKE, Grüne/B90 bleiben auf der Strecke, um die SPD am Leben zu erhalten?

Nun, auch diese Hypothese haben wir geprüft, und zwar indem wir die Differenz aus Zweit- und Erststimme für CDU, LINKE, Grüne/B90 und alle verbleibenden Parteien mit Ausnahme des BSW gegen den Zweitstimmenanteil der SPD regressiert haben. Sollte die SPD andere Parteien kannibalisiert haben, dann müsste sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer negativen Differenz aus Zweit- und Erststimmen und einem steigenden Anteil an Zweitstimmen für die SPD ergeben.

Indes: Er ergibt sich nicht, nirgends …

Gehen wir von oben links nach unten rechts vor:

Die Differenz zwischen Zweit- und Erststimme für die CDU steht in keinem Zusammenhang mit dem Zweitstimmenanteil der SPD. Da die Differenz den Anteil angibt, um den die Erststimmen höher als die Zweitstimmen ausgefallen sind [als negativen Wert], müsste sich mit zunehmender Differenz ein Zusammenhang mit steigenden Zweitstimmanteilen der SPD einstellen, wenn die Zweitstimmen der SPD, die wir suchen, von der CDU gekommen sind. Wie die Abbildung zeigt, ist das nicht der Fall.

Die Grünen haben fast durchweg, Potsdam I ist eine heftige Ausnahme, mehr Zweit- als Erststimmen erhalten. Enstprechend gibt es für die SPD nichts zu kannibalisieren. Potsdam I ist eine interessante Ausnahme. Der Erststimmenanteil der Grünen beträgt in Potsdam I 26,5%, daraus werden 17% bei den Zweitstimmen. Ein eher irrationales Wahlverhalten wenn man in Rechnung stellt, dass die Grünen bereits vor der Wahl von der 5%-Guillotine bedroht waren, die ihrer parlamentarischen Vertretung letztlich ein Ende bereitet hat, fast schon ein dummes Verhalten, wenn es zutreffen sollte, dass Grünen-Wähler in Scharen in Potsdam mit der Erststimme eine aussichtslosen Direktkandidaten der Grünen gewählt haben und mit der Zweitstimme dann die SPD. Potsdam I ist natürlich ein Studentenwahlkreis, was den hohen Anteil der Grünen erklärt. Sind diese Studenten zu dumm, das deutsche Wahlsystem zu verstehen – oder sind hier andere Dinge im Busch? Um diese Frage zu beantworten, müsste zunächst einmal geklärt werden, wo die immens hohe Wahlbeteiligung von 83,5%, die satte 10% über dem Landesdurchschnitt liegt, herkommt. Das ist eine Aufgabe für eine weitere Analyse.

Zwischen der Differenz aus Zweit- und Erststimmen der LINKEN und dem Zweitstimmenanteil der SPD gibt es einen Zusammenhang. Indes, er verläuft in die falsche Richtung. Je weniger Stimmen die Linke zwischen Erst- und Zweitstimme lässt, desto höher der Zweitstimmenanteil der SPD. Wir suchen nach dem umgekehrten Zusammenhang.

Auch andere Parteien scheiden als Stimmenlieferant für die SPD aus. Einmal mehr verläuft der Zusammenhang in die falsche Richtung.

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Kurz: Wir haben Zweitstimmen, die die SPD auf Platz 1 bei der Landtagswahl befördert haben und niemanden, der sie vermisst.

Wo sind Sie hergekommen?
Nicht von CDU, Grüne/B90, LINKE oder anderen Parteien.
In all den Jahren, die ich nun als Wahlforscher unterwegs bin, habe ich noch kein solches Ergebnis gesehen, eines, bei dem eine Partei von der Höhe der selben Wahlbeteiligung einmal profitiert und einmal NICHT profitiert, gesehen, eines, das man auch nicht über Kannibalisierung der Zweitstimmen anderer Parteien erklären kann, eines, für das letztlich nur die Invokation von Zweitstimmen aus dem Nichts als Erklärung bleibt.

Und wenn man sich dann Stunden damit herumärgern musste [was erklärt, warum dieser Post so spät veröffentlicht wird], dass der Landeswahlleiter in Brandenburg bei der Veröffentlichung der Wahldaten Eigentümlichkeiten pflegt, die alle mit einander darauf hinauslaufen, das Auswerten der Daten zu erschweren, dann kommen einem schon der ein oder andere Gedanke, der sich mit dem Wort “Ungereimtheiten” oder auch “Unregelmäßigkeiten” umschreiben lässt. Stellt man zudem die Intensität, die verbissene, verbiesterte Art in Rechnung, mit der die SPD-nahe, SPD-eigene und SPD-gesteuerte Presse und Medienlandschaft vor der Wahl alle Register gezogen hat, um von der Wahl der AfD abzuschrecken, dann würde man, wenn man einen Indizienprozess führte, von starken Hinweisen auf Wahlbetrug sprechen, lokal begrenzt und genau in dem Ausmaß, das notwendig war, um Platz 1 für die SPD zu sichern.

Aber natürlich sind wir in Deutschland.
Und Wahlbetrug kommt nur in Bananenrepubliken vor.
Hm…

Noch ein Wort zum BSW: Ist das eine Partei oder eine Karteileiche, eine Partei, die nicht einen Direktkandidaten in Brandenburg gestellt hat und nur als Landesliste angetreten ist – fast wie es aus der DDR bekannt ist: Die Wähler haben die Wahl zwischen Listen, die die Funktionäre zusammengestellt haben.

Es gibt nichts, was es nicht wieder gibt.


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Author: Michael Klein
Michael Klein

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