Wie wirkt sich die Digitalisierung auf unsere Supply Chains aus?
Digitalisierung und Industrie 4.0 gehören zu den ganz großen Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft derzeit steht. Die diesjährige Konferenz EXCHAiNGE am 25. und 26. Juni in Frankfurt am Main widmet diesem spannenden Thema deshalb eine komplette Sequenz. Prof. Dr. Michael ten Hompel, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, erklärt im Interview, welche Entwicklungen sich langfristig durchsetzen werden und wie Unternehmen auf die Veränderungen der Märkte reagieren müssen, um den Anschluss nicht zu verpassen.
Herr Professor ten Hompel, welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf unsere Supply Chains?
Zunächst hat sich die Rolle digitaler Daten im Laufe der letzten Jahrzehnte fundamental geändert. In den 70er-Jahren haben wir Daten als Ergebnis von Prozessen und zur Prozesssteuerung verwendet. Mitte der 80er-Jahre kam das Supply Chain Management auf und die Daten wurden zu Enablern von Prozessen. Etwa seit der Jahrtausendwende nutzen wir sie als Befähiger von Produkten und heute sind sie zum Produkt (-bestandteil) selber geworden. Wir sprechen heute von der Hybridisierung der Logistik und insbesondere der logistischen Dienstleistung. Nicht nur bei Amazon und Co. bestehen die Dienste oder Services aus einer physischen und einer informationstechnischen Komponente. Das ist nichts anderes als die angesprochene Digitalisierung. Vereinfacht könnte man es heute auf den Nenner bringen: keine App – kein Geschäft!
Treiben wir die Industrie 4.0 voran oder treibt sie uns?
Der Begriff „Industrie 4.0“ stand ursprünglich für die Autonomisierung der Logistik (nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung) im Sinne eines „Internet der Dinge“. Inzwischen ist die vierte industrielle Revolution zum Synonym der allgemeinen Digitalisierung geworden. In diesem Sinne sind wir zu Getriebenen geworden. Wer heute nicht über die Digitalisierung seiner Supply Chain nachdenkt, riskiert seine Existenz. Es werden diejenigen gewinnen, die Apps und neue Geschäftsmodelle entwickeln, deren Kundennutzen sich intuitiv erschließt. Was das „Internet der Dinge“ betrifft, so halten wir alle Technologien in Händen, um die intelligenten Container und autonomen Fahrzeuge Wirklichkeit werden zu lassen. Bei dieser Entwicklung sind wir in Europa und speziell auch in Deutschland noch ganz vorne mit dabei. Ich kann allerdings nur hoffen, dass unsere Technologieunternehmen erkennen, wie schnell sich die Märkte verändern werden. Es zeichnet sich ab, dass der Wandel sich binnen weniger Jahre vollzieht – vielleicht noch schneller als beim E-Commerce-Hype zur Jahrtausendwende. Wir müssen jetzt Soft- und Hardware produzieren wie Autos – sehr schnell, zuverlässig, sicher und nachhaltig.
Welche Cyber-Physischen Systeme brauchen wir wirklich und welche nicht?
Wir brauchen Cyber-Physische Systeme, die sich selbstständig in die vorhandenen Systeme migrieren und anschließend ein Stück weit deren Kontrolle übernehmen. Es gibt ein sehr einfaches Beispiel hierzu: Wenn Sie anfangen, „intelligente Kisten“ wie unsere inBin einzusetzen, so macht es Sinn, auf deren Display zunächst genau den Barcode darzustellen, den die „dumme Kiste“ zuvor auch trug. Damit kann ein inBin in herkömmlicher Weise gescannt und geroutet werden. Dann aber kann er seinen Barcode verändern und das Spiel beginnt. Oder nehmen Sie ein wirklich autonomes fahrerloses Transportfahrzeug, das dem Menschen per Kamera und 3D-Scanner durch die Lagergassen folgt, ohne dass zusätzliche Infrastruktur installiert werden muss. Im Grunde ist es wie mit den Apps: Vieles ist technisch möglich; durchsetzen werden sich die Entwicklungen, die ohne großen Aufwand sich selbst in die Systeme migrieren und einen sofortigen Nutzen bringen.
Die Konferenz EXCHAiNGE – The Supply Chainers“ Conference findet am 25. und 26. Juni 2015 in Frankfurt am Main statt. Alle Informationen zur Konferenz gibt es unter www.exchainge.de.
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