Angesichts des russischen Angriffskrieges hat das Parlament der Ukraine den moskautreuen Ableger der orthodoxen Kirche im Land verboten. Der Gesetzentwurf, der tief in Kirche und Gesellschaft eingreift, war umstritten und wurde lange in der Rada in Kiew beraten. In zweiter und letzter Lesung fand er aber eine breite Mehrheit. Von 322 anwesenden Abgeordneten stimmten 265 für das Gesetz.
Begründet wird das Verbot mit der Unterstützung des Moskauer Patriarchats für den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dem Ableger dieser Kirche in der Ukraine wird vorgeworfen, die Verbrechen gegen das eigene Volk zu rechtfertigen oder sogar mit dem Feind zu paktieren. Offiziell dient das Gesetz dem Schutz der nationalen Sicherheit und der Religionsfreiheit. Präsident Wolodymyr Selenskyj muss das Gesetz gegenzeichnen. Weil sein Präsidialamt das Verbot aber vorangetrieben hat, gilt es als unwahrscheinlich, dass Kritikpunkte noch aufgenommen werden.
Gemeinden müssen sich entscheiden
Das Gesetz trete einen Monat nach Veröffentlichung in Kraft, teilte der ukrainische Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak mit. Danach hätten die einzelnen Gemeinden neun Monate Zeit, sich von der Moskauer Kirche loszusagen. In der zersplitterten ukrainischen Kirchenlandschaft rechnen sich weniger als 10 000 Gemeinden noch zur moskautreuen Kirche. Das sind mehr Gemeinden, als die nationale Orthodoxe Kirche der Ukraine zählt. Diese hat aber mehr Gläubige.
Moskau bleibt bei der Haltung, dass die Ukraine auch kirchlich zu Russland gehört, und entsprechend äußerte sich die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa zu dem Verbot: «Das Ziel ist, die zutiefst kanonische, wahre Orthodoxie zu vernichten», sagte sie. Der ukrainische Staat verletze das Recht seiner Bürger auf Religionsfreiheit, sagte die Chefin des Ausschusses für Kirchenfragen im russischen Parlament, Olga Timofejewa.
Kirche als «Agentennetz des Kremls»
«Wir haben heute den unvermeidlichen Weg eingeschlagen, das Agentennetz des Kremls, das sich seit Jahrzehnten hinter der Maske einer religiösen Organisation versteckt, von innen heraus zu säubern», schrieb hingegen der ukrainische Abgeordnete Roman Losynskyj auf Facebook.
Während das Gesetz beraten wurde, warnten aber westliche Partner die Ukraine, die religiöse Spaltung im Land nicht durch das Verbot noch zu vertiefen. «Mit dem Gesetz wird eine Stimmung gefördert, die sich gegen eine große Gruppe in der Gesellschaft richtet», sagte die Theologin Regina Elsner aus Münster der Deutschen Presse-Agentur. Es könnte sein, dass orthodoxe Gläubige, die ihrer Kirche nicht abschwören wollen, in den Untergrund gehen oder sich nur noch in Privatwohnungen treffen.
«Das Recht der Ukraine ist unbenommen, für ihre Sicherheit zu sorgen», sagte die Professorin für Ostkirchenkunde. Es gebe klare Fälle der Kollaboration mit Russland unter den Bischöfen und Priestern der Moskauer Kirche. Dagegen gehe die Ukraine bereits jetzt strafrechtlich vor. Doch einfache Gläubigen sollten nicht gezwungen werden, sich für oder gegen eine Kirche zu entscheiden.
Der Kirchenstreit in der Ukraine zeigt sich schon seit Jahren an den wichtigen Klöstern des Landes. Das moskautreue Höhlenkloster in Kiew gilt als architektonisches Gesamtdenkmal. Der Staat versucht, den Mönchen und Pilgern Gebäude um Gebäude wegzunehmen. Solche Schritte werden durch das neue Gesetz erleichtert. Auch im großen Mariä-Entschlafens-Kloster Potschajiw in der Westukraine, dem westlichsten Vorposten der russischen Orthodoxie, deutet sich eine Enteignung an.
Langer Prozess der Ablösung von Moskau
Russland und weite Teile der Ukraine bildeten über Jahrhunderte einen einheitlichen Kirchenraum, der zum Moskauer Patriarchat gehörte. Seit der staatlichen Unabhängigkeit versuchte die Ukraine aber auch ihre kirchliche Unabhängigkeit zu erlangen.
2018 erkannte Weltpatriarch Bartholomäus in Konstantinopel eine Orthodoxe Kirche der Ukraine an, die nicht mehr Moskau untersteht. Die moskautreue Kirche in der Ukraine erklärte im Mai 2022 nach dem russischen Einmarsch ihre formale Loslösung von Russland. Der Staat glaubt ihr dies nicht – daher das Verbot. Tatsächlich stünden viele der vermeintlich moskautreuen Gemeinden und deren Gläubige sehr loyal zur Ukraine und hätten sich von Russland gelöst, berichtet Elsner von ihren Erfahrungen. Das neue Gesetz schere aber alle über einen Kamm.
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