Horst Mahler ist tot. Und damit auch eine Idee einer Mahler-Biografie inklusive Befragung von Mahler selbst. Einmal hatte ich die Idee in den Knast geschickt, wo Mahler mal wieder einsaß, handschriftlich, aber keine Antwort bekommen. Auch mit dem Sohn hatte ich gesprochen, aber es kam nie dazu, mit dem Schreiben wirklich zu beginnen.
Boris Becker hat eine Biografie, Dieter Bohlen auch, aber Horst Mahler nicht. Weil sich niemand traut? Mahler war RAF-Gründer, aber der Weg dahin führte einmal quer durch eine junge Bundesrepublik, die es Radikalen wohl besonders leicht machte, gegen die bestehenden Verhältnisse aufzubegehren. Dieser Mythos des Widerstands gegen ein „Schweinesystem“ hält sich hartnäckig und mündete noch 2025 und fünfzig Jahre später in einem Knastbesuch der grünen Katrin Göring-Eckardt in Ungarn bei einer linksextremistischen Gewalttäterin der Hammerbande.
Der Zeremonienmeister der RAF war der Journalist Stefan Aust, der mit den RAF-Leuten persönlich bekannt war. Und der mit dem Bestseller „Baader-Meinhof-Komplex“ die Bibel für weitere RAF-Generationen schrieb und damit die Empörung gegen das „Schweinesystem“ am Brennen hielt.
In führenden Positionen beim Spiegel und später Springer achtete Aust immer eifersüchtig darauf, dass die Deutungshoheit über die RAF bei ihm blieb. Etwa die von Aust beschriebene Szene der in der Neonlicht-grellen, fensterlosen Zelle Zug fahrenden Ulrike Meinhof, die in den Selbstmord getrieben wurde, erregte viele junge Leser bis hin zur späteren Radikalisierung, kein Buch mag hier wirkmächtiger gewesen sein als dieses.
Das blieb auch so, obwohl Aust später mit Filmemacher Bernd Eichinger einen natürlich entmystifizierenden, aber letztlich doch platten deutschen Kriminalfilm aus der Buchvorlage machte.
Ich selbst telefonierte in Sachen Mahler-Biografie mal länger mit Aust. Aber auch mit Anwalt Michel Friedman, der stand in Verbindung mit einem von Mahlers Gefängnisaufenthalten, als Friedman Mahler im Knast besuchte und von diesem mit „Heil Hitler, Herr Friedman“ begrüßt wurde, als bitte er förmlich darum, noch ein paar Jahre obendrauf zu bekommen.
Horst Mahler ist in der deutschen Nachkriegsgeschichte immer dort zur Stelle, wo es düster wird. Man weiß gar nicht, wo man anfangen und wo enden soll.
Versuchen wir es kühn und beschreiben den größten Erfolg des linksradikalen Rechtsanwalts, RAF-Gründers, späteren Rechtsradikalen und selbsterklärten Antisemiten Horst Mahler: Sein Sieg über die Bundesrepublik, anwaltlich über einen Duzfreund, den damaligen Bundesinnenminister und Ex-RAF-Anwalt Otto Schily im NPD-Verbotsverfahren.
Seit August 2000 war der damals 64-jährige Mahler Mitglied eines NPD-Ortsvereins und er vertrat die Partei im Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Als Innenminister war Schily federführend bei der Begründung des NPD-Verbotsantrags. Otto Schily soll es auch gewesen sein, der Mahler die Werke Hegels zur Lektüre ins Gefängnis brachte, die Mahler dann so las, dass er daraus seinen späteren Antisemitismus ableitete.
Auch mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder duzte sich Mahler, Schröder war sein Anwalt und erreichte Anfang der 1980er Jahre eine vorzeitige Haftentlassung und ebenso, dass Mahler ab 1987 wieder als Anwalt tätig sein konnte.
Bemerkenswert auch der Film „Die Anwälte – eine deutsche Geschichte“ von Birgit Schulz. Ausgangspunkt zum Film war ein „dpa“-Pressefoto von 1973, das drei Anwälte in einem Berliner Gerichtssaal zeigt; Horst Mahler sitzt auf der Anklagebank, Otto Schily und Christian Ströbele sind seine Verteidiger. Die Regisseurin brachte für den Film alle drei Anwälte im selben Gerichtssaal noch einmal zusammen. Aber nur nacheinander – die RAF-Anwälte wollen nicht zusammen auftreten bzw. nicht zusammen mit Horst Mahler.
Das fatale und verstörende Ergebnis: Mahler wirkt im Film mit Abstand am fittesten, aufgeräumt, frisch und erzählbereit, während Schily und Ströbele maskenhaft und inhaltsleer wirken. Horst Mahler saß immer wieder viele Jahre lang in Gefängnissen. Und zuletzt nicht mehr für Straftaten wie Bankraub oder Terrorismus, sondern für Äußerungsdelikte wie die Holcaustleugnung. So bekam er zwölf Jahre Gefängnis, Totschläger bekommen weniger, dafür.
2014 schrieb ich für „The European“, das Medium gehört heute Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, empört und verwundert https://www.theeuropean.de/politik/der-fall-horst-mahler:
„Wie kann es so weit gekommen sein, dass wir es in Deutschland wieder für nötig erachten, einen alten Mann länger als ein Jahrzehnt wegzusperren, nur dafür, dass er etwas äußert, das wir für menschenverachtenden Schwachsinn halten, während das Internet mit exakt derselben Scheiße randvollgestopft ist, ohne dass wir wirklich etwas dagegen tun könnten? Wie viel Angst zeigen wir eigentlich damit vor solchen Geisteshaltungen? Was fürchten wir? Fürchten wir am Ende, dass das, was der alte Mann äußert, tatsächlich die Kraft und das Potenzial hätte, unsere Jugend oder sogar uns selbst zu vergiften?“
Wahr ist auch: Die anwaltlichen Leistungen von Horst Mahler haben die Selbstauffassung des gesamten Anwaltstandes über Jahrzehnte hinaus nachhaltig geprägt. Der Mann hat sich also tatsächlich einmal für die freiheitliche Grundordnung verdient gemacht. Da steht er mindestens in einer Reihe mit Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Klaus Croissant. Anwälte wie der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder waren sicher auch deshalb mit Horst Mahler per Du.
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Christian Ströbele, der eine Karriere bei den Grünen machte, die ihn bis in den Bundestag führte, starb bereits 2022, jetzt folgte Mahler, Otto Schily ist 93 Jahre alt. Über den Tod von Ströbele führte ich ein Interview mit Rainer Langhans, der ehemalige Kommunarde und eine der wichtigen Figuren der 68er-Bewegung war mit ihnen allen bekannt bzw. befreundet, er hat intime Kenntnisse der Vita dieser Männer. Über Ströbele sagte Langhans:
„Ich habe mehr mit Horst als mit Christian zu tun gehabt. Mit Horst war ich sehr eng befreundet und habe das sehr lange versucht, noch aufrechtzuerhalten. Hat er aber dann irgendwann leider abgebrochen. Ich habe auch versucht, ihn im Gefängnis zu besuchen. Aber es hat leider nicht geklappt. Er hat mir über seine Tochter ausrichten lassen, dass er nicht will.“
Heute habe ich wieder mit Rainer Langhans telefoniert, wir wollen am Nachmittag über Horst Mahler sprechen. In einem unserer vielen Interviews erwähnte Langhans, dass er sogar noch einen Schlüssel zu Mahlers kleinem Häuschen in Berlin-Kleinmachnow habe, den er einmal verwalten sollte, als Mahler wieder mal ins Gefängnis ging, der aber nie zurückgefordert wurde.
Die letzten Bilder, die sich von Horst Mahler ins Gedächtnis eingegraben haben, sind jene, als er nach Amputation an den Beinen im Rollstuhl nach Ungarn flüchten wollte, um einer erneuten Inhaftierung wegen Äußerungsdelikten zu entgehen, aber von Ungarn kein Asyl bekam und ausgeliefert wurde.
Eine düstere wie mysteriöse Biografie am Rande der Gesellschaft und doch eine zentrale Figur der deutschen Nachkriegsgeschichte, die bis heute in vielen Köpfen nachwirkt und ihr Unwesen treiben mag.
Ein bekannter Journalist war zuletzt noch einmal bei Mahler zu Besuch, es gab Kaffee und Kuchen, die Begegnung soll auch hier von einem charmanten und wachen Mahler bestimmt gewesen sein. Die totale Düsternis war also eingepackt in einem mit dem Außen durchaus wohlwollend kooperierenden Menschen. Jedenfalls solange, bis Mahler nach dem Zuckerkuchen erneut seiner antisemitischen Wahnsinnserzählung freien Lauf ließ – auch diese Begegnung endete letztlich im Dissens, wie man hörte.
Nach den Ursachen forschen, kann man nicht mit ein paar Zeilen. Vielleicht zwei – klar ungenügende – Annäherungsversuche: Die langen Jahre in Haft müssen bei einem so freiheitsliebenden Menschen eine Wirkung zeigen. Und offenbar scheint bei Mahler auch die vollkommene Abwesenheit der Akzeptanz irgendwelcher gesellschaftlich akzeptierter Tabus bestanden zu haben. Mehr als nur ein rigoroser Charakter.
Die Mutter von Andreas Baader antwortete einmal gegenüber den Biografen ihres Sohnes auf die Frage, warum sie glaube, dass Andreas so geworden wäre, in etwa: Er hatte immer einen so übertriebenen Gerechtigkeitssinn. Litt Horst Mahler ebenfalls daran? Wurde aus Unrecht ein noch viel größeres Unrecht geboren? Das können wohl nicht einmal Psychologen ergründen.
Jetzt ist Horst Mahler im hohen Alter von 89 Jahren gestorben. Ganze zwei Jahrzehnte davon saß Mahler in verschiedenen Gefängnissen ein. Ein Jahrzehnt als Terrorist, eines für reine Äußerungsdelikte. Deutsche Geschichte extrem.
Horst Mahler war als Anwalt bei der Obduktion dabei, als man dem Demonstranten Benno Ohnesorg die Polizeikugel aus der Hirnschwarte grub. Das Geräusch des Klickens der Kugel in der Nierenschale verfolgte Mahler lange, wie der Anwalt einmal gegenüber der ARD erzählte.
Ein alter Mann im Rollstuhl, mit dem Mitleid zu empfinden nicht schwerfällt.
Jedenfalls dann, wenn man es bei diesen letzten Bildern belässt und bloß nicht versucht, sich entlang seiner verbotenen Veröffentlichungen in den Kosmos eines intellektualisierten Wahnsinns hineinzugraben.
Radikalisierte Anwälte sind auch während des Corona-Regimes zu bedeutenden Sprachrohren ihrer Zeit geworden. Aber niemand ging so weit wie Mahler. Niemand wurde vom Staat so bekämpft. Und niemand hat sich bisher so furchtbar verlaufen in seiner Tabulosigkeit und dem baader’schen Gerechtigkeitswahn. Horst Mahler soll ein brillanter Anwalt gewesen sein. Aber dieser Satz darf wohl niemals ganz für sich allein stehen.
Ein Interview mit Rainer Langhans, dem Mahler-Freund aus alten Tagen, folgt am späten Nachmittag.
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Author:
Alexander Wallasch