Man hat sich fast daran gewöhnt: Der moralische Aufschrei in Deutschland kommt nur, wenn es ideologisch passt. Wer auf der „richtigen“ Seite steht – möglichst links, wokenah und auf Antifakurs – darf mit Unterstützung rechnen. Auch wenn er massiver Gewaltverbrechen verdächtigt wird. Wer hingegen auf der falschen Seite steht, zum Beispiel als Kritiker staatlicher Maßnahmen oder gar mit bürgerlichem Hintergrund, wird höchstens zum Studienobjekt der Verfassungsschützer.
Jüngstes Beispiel für diese selektive Empathie: Katrin Göring-Eckardt ist nach Budapest gereist, um dort Maja T. im Gefängnis zu besuchen. Die 24-Jährige sitzt dort in Untersuchungshaft, weil sie laut ungarischer Justiz an brutalen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextreme beteiligt war. Der Vorwurf: Schwere Körperverletzung, Mitgliedschaft in einer gewalttätigen „Hammerbande“. Die Bilder der verletzten Opfer, die im Netz kursieren, sprechen eine eigene Sprache.
Doch bei Göring-Eckardt heißt es: „Katastrophe mitten in Europa“. Maja T., so die frühere Bundestags-Vizepräsidentin („Wir bekommen Menschen geschenkt“), werde in Ungarn unter „unmenschlichen Bedingungen“ gehalten. Man brauche eine schnelle „Rücküberstellung“ nach Deutschland. Begleitet wurde sie von anderen Grünen-Politikern – inklusive Auftritt bei der Pride Parade.
Was wie ein PR-Ausflug fürs linke Gewissen wirkt, ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die ebenfalls unter harten Haftbedingungen litten – nur eben ohne politischen Schutz. Michael Ballweg saß monatelang in Isolationshaft, seine Anwälte sprachen von rechtsstaatswidrigen Zuständen. Die Grünen? Schweigen. Oliver Janich, ähnlich. Corona-kritische Ärzte, teils mit Berufsverboten oder Strafprozessen – keine Reisegruppen aus dem Bundestag.
Doch nicht nur die Politik zeigt hier selektive Empathie. Auch die mediale Begleitung folgt inzwischen oft derselben ideologischen Schieflage – selbst in ehemals bürgerlichen Blättern wie der „Welt“. Dort wurde der Göring-Eckardt-Besuch mit viel Raum begleitet, ihre Vorwürfe weitgehend unkommentiert weitergegeben. Der Artikel wirkte zwar distanzierter als das, was man etwa vom „Spiegel“ kennt, aber wirklich hinterfragt wurde das theatrale Grünen-Getöse auch hier nicht. Stattdessen dominierte: Betroffenheit, Emotionalisierung, Empörung – mit Fokus auf die Politikerin, nicht auf die mutmaßliche Täterin.
Besonders deutlich wird das in den Leserkommentaren. Mehrere Nutzer werfen der Redaktion offen vor, das eigentliche Thema – nämlich die Taten von Maja T. – nahezu auszublenden und sich stattdessen der Empörung von Göring-Eckardt anzuschließen. Ein Kommentar bringt die Absurdität exemplarisch auf den Punkt:
„Der Kontakt von Maja T. zu ihren Freunden sei eingeschränkt, ‚Umarmungen‘ seien selbst mit der eigenen Familie nicht erlaubt, auch die Telefonzeit sei zeitlich beschränkt. Die vegane Küche soll im ungarischen Knast menschenunwürdig sein – nur zwei Gerichte täglich zur Auswahl. Wo ist die GSG 9, wenn Frau Göring-Eckardt sie mal braucht?“
Ob die kulinarische Klage auf Fakten beruht, bleibt unklar. In offiziellen Quellen oder den Leitmedien findet sich dazu kein Nachweis. Umso mehr sagt der Kommentar etwas über die absurde Dramatisierung aus, mit der hier Politik gemacht wird – und darüber, wie bereitwillig Medien diese Emotionalisierung mittragen.
Der eigentliche Skandal liegt aber tiefer: Maja T. wurde ausgeliefert, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies zuvor untersagt hatte – die Entscheidung kam zu spät. Doch auch das ficht die Moralapostel nicht an: Statt sich über diesen massiven Rechtsbruch der eigenen Regierung zu empören, klagt man über das ungarische Rechtssystem.
Unter dem „Welt“-Artikel der sammelten sich Hunderte Kommentare. Viele davon treffen den Punkt besser als mancher Leitartikel:
„Wäre die Person mit dem Hammer auf Grüne losgegangen – hätten Sie sie auch besucht?“ (Dirk M.)
„KGE setzt sich für eine aus, die anderen mit dem Hammer den Schädel eingeschlagen hat. Ballweg in Isolationshaft? Kein Mucks.“ (Tilman K.)
„Der wahre Skandal liegt nicht in Budapest, sondern in Berlin.“ (Oliver T.)
„Wenn Du „Schwachkopf“ twitterst, wollen die Grünen Dich in den Knast stecken. Wenn Du Linksextremist bist, bringen sie Dir Kuchen.“ („Der Unbequeme“)
Wer diese Kommentare liest, merkt: Die Geduld mit der politisierten Justiz und der selektiven Menschenfreundlichkeit vieler Politiker ist am Ende. In einer funktionierenden Demokratie würden sich Mandatsträger für Prinzipien einsetzen, nicht für Parteifreunde. Aber Prinzipien gelten in dieser Republik offenbar nur noch für die einen – und nicht für die, die auf der falschen Seite stehen.
PS: Maja T. war bis vor kurzem Simeon T., bezeichnet sich heute als „nicht-binär“. Auch das gehört zur Geschichte. Ob es mit der Sympathie der Grünen zu tun hat? Fragen darf man ja noch.
PPS: Die „Katastrophe mitten in Europa“ ist vielleicht nicht das Gefängnis in Budapest. Sondern die Tatsache, dass gewählte Volksvertreter Gewalt gegen politische Gegner relativieren – solange sie aus der eigenen Szene kommt.
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