Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl hat Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron den ehemaligen EU-Kommissar Michel Barnier zum Premierminister ernannt. Barniers Auftrag lautet laut Élyséepalast, eine Regierung des Zusammenschlusses zu bilden. Kann dem Profi-Diplomaten der Coup trotz verzwickter Mehrheitsverhältnisse gelingen?
Frankreich bekommt seinen ältesten Premier
Barnier gilt als ruhiger Mann mit klaren Ansagen und als ein einflussreicher Kopf bei Frankreichs konservativen Républicains. Dank seiner jahrzehntelangen politischen Karriere, in der er bereits unter François Mitterrand, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy Ministerämter innehatte, ist ihm Respekt über die Parteiengrenzen hinweg sicher. Der Wirtschaftsexperte war mehrfach EU-Kommissar sowie auch Brexit-Chefunterhändler der Europäischen Union, eine Rolle, in der er sich selbst als verlässlichen, nüchternen, staatsmännischen Verhandlungsführer sah.
Macron, der vor allem nach einem Regierungschef suchte, der keine Mehrheit gegen sich aufbringt und schon kurz nach seiner Ernennung im Parlament durch ein Misstrauensvotum gestürzt wird, scheint nach dem bisherigen Premierminister und Jungspund Gabriel Attal auf Erfahrung zu setzen. Kein französischer Premier war in den vergangenen Jahrzehnten beim Amtsantritt so alt wie der 73-jährige Barnier.
Schon länger war klar, dass dieser in seiner Heimat mit Größerem liebäugelt. Bei der Präsidentschaftswahl 2022 wollte Barnier für seine Konservativen antreten, schied aber im parteiinternen Auswahlverfahren aus. Nun soll der Vater dreier Kinder nicht mehr nach dem Topjob im Land streben, wohl ein Argument für seine Nominierung zum Premier.
Mehrheitsfindung weiterhin schwierig
Ob der gebürtige Ostfranzose aber tatsächlich eine mehrheitsfähige Regierung aufstellen kann, bleibt abzuwarten. Seine Konservativen hatten zwar noch vor wenigen Tagen betont, nicht Teil einer Regierung sein zu wollen, Barnier dürften sie aber zumindest dulden. Auch Macrons Mitte-Lager wird dem neuen Regierungschef wohl folgen.
Für eine Mehrheit bräuchte Barnier aber auch Stimmen aus dem linken Lager oder vom rechten Rand. Die Rechtsnationalen um Marine Le Pen, die zuvor bei etlichen möglichen Premiers die Keule des Misstrauensvotums schwangen, möchten erst einmal die Regierungserklärung des Neuen abwarten. Möglich, dass auch sie Barnier am Ende stützen. Zumindest seine restriktiven Positionen im Bereich Migrationspolitik und seine durchaus kritische Haltung zu EU-Vorschriften verfingen bei ihnen.
Das linke Lager aber, das bei der Wahl vorne landete und deren Wunschkandidatin für den Premier-Posten Macron wegen der fehlenden Mehrheit eine Absage erteilt hatte, reagierte erbost auf die Ernennung. Die Sozialisten sprachen von einer «Verweigerung der Demokratie», Grünenvorsitzende Marine Tondelier fühlte sich veräppelt und Kommunisten-Chef Fabien Roussel verglich die Personalie mit der beleidigenden Geste des erhobenen Unterarms – vergleichbar mit dem gestreckten Mittelfinger in Deutschland. Unterstützung von links wird es für den Unternehmersohn Barnier wohl kaum geben.
Politisches Kräftemessen im Parlament steht bevor
Den neuen französischen Premier erwarten nicht nur wegen der Lagerkämpfe im Parlament große Herausforderungen. Zu einem ersten Kraftakt dürfte die Verabschiedung des nächsten Haushalts werden, denn Frankreich steht wegen einer zu hohen Neuverschuldung ein EU-Defizitverfahren ins Haus. Um einen strikten und unpopulären Sparkurs dürfte die künftige Regierung unter Barnier kaum herumkommen.
Die linken Wahlgewinner könnten dennoch auf die im Wahlkampf versprochene Anhebung des Mindestlohns pochen sowie einer Aufweichung der von Macron durchgepeitschten Rentenreform. All dies verspricht ein politisches Kräftemessen und Proteste auf der Straße, die noch nicht absehen lassen, wie lange eine Regierung Barnier durchhält.
Spannend wir auch, wie sich das Verhältnis zwischen Staatschef Macron und Premier Barnier gestaltet. Macron dürfte seine Linie zwar nicht einfach fortführen können, doch weil seine Liberalen wohl Teil der Regierung seien werden, muss sich zeigen, wie viel Spielraum Barnier ihm zugesteht. Zumindest in der Außenpolitik behält Macron die Oberhand. Für Brüssel und Berlin verspricht das einen recht verlässlichen französischen Kurs.
Zur Quelle wechseln
Author: [email protected]