• 24. August 2025
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Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

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Groß war die Freude, als Frauke Brosius-Gersdorf den Rückzug von ihrer Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht verkündete – nicht bei allen, linke Kreise übten sich erwartungsgemäß in der hohen Kunst des Schäumens, Wütens und nicht zuletzt der Verdrehung von Tatsachen, weil man es gewagt hatte, ihnen einen Wunsch nicht etwa eilfertig zu erfüllen, sondern ihn sogar zu unterlaufen und am Ende zu vereiteln.

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Doch die Freude war voreilig. Nicht nur, weil die zweite Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold noch immer im Rennen und nicht minder bedenklich ist als Brosius-Gersdorf. Nicht nur, weil die SPD laut Aussage ihres charismatischen Fraktionschefs Matthias Miersch über einen neuen Kandidaten verfügt, der offenbar derart vorzeigbar ist, dass Miersch den Mann oder die Frau oder den Hydranten nicht etwa aus dem Hut zaubert, sondern im Hut versteckt hält, damit keiner über die Kandidatur diskutieren kann.

SEDO

Es gibt andere, schwerwiegende Gründe für allgemeines Misstrauen. Denn das Bundesverfassungsgericht ist keineswegs die alles entscheidende rechtliche Instanz für unsere Belange. Oft wird übersehen, dass es auch eine europäische Gerichtsbarkeit gibt, die bedauerlicherweise über beträchtlichen Einfluss verfügt. Eines dieser Gerichte ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, abgekürzt EGMR. Vor Kurzem hat er eine Entscheidung getroffen, die in Deutschland nicht allzu viel Resonanz fand, weil sie sich auf einen Fall aus Österreich bezog.

Worum ging es? Im Juli fand in Österreich erstmals nach 15 Jahren wieder eine Abschiebung nach Syrien statt. Das ist immerhin etwas, denn in Deutschland geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Syrer in ein Abschiebeflugzeug. Doch nun wollte man einen zweiten nachfolgen lassen und stieß auf den Widerstand des EGMR, der so etwas überhaupt nicht mochte und eine einstweilige Verfügung erließ. Bei dem Betroffenen handelte es sich zwar „um einen mehrfach vorbestraften und verurteilten Straftäter“, doch das hielt den EGMR nicht davon ab, vom zuständigen österreichischen Ministerium eine ausführliche Stellungnahme einzufordern. Denn wie man hört, „bestehen Zweifel, ob die neue syrische Islamistenregierung die Menschenrechtsstandards, an die sich Österreich gebunden hat, einhält“. Mit diesem Argument dürfte man nicht einmal einer Abschiebung in den Vatikanstaat zustimmen, denn der ist niemals der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten.

Man hat somit in Österreich einem Syrer Schutz gewährt, der sich dann aber an die Standards, „an die sich Österreich gebunden hat“, seinerseits keineswegs gebunden fühlte, denn sonst wäre er nicht zum mehrfach vorbestraften und verurteilten Straftäter geworden – man darf wohl davon ausgehen, dass es sich bei den Straftaten nicht um Steuervergehen im Rahmen von 19,53 Eurogehandelt hat, für die man in Deutschland bei williger Staatsanwaltschaft monatelang in Untersuchungshaft gehalten wird, sondern um eher handfeste Taten. Die Rechte, die Menschenrechte der Opfer interessieren den EGMR aber nicht im Geringsten, er ist nur besorgt um die Rechte der Täter.

Und der Plural ist angebracht, denn im Zuge seiner einstweiligen Anordnung hat der Gerichtshof dem Ministerium auferlegt, „Fragen zu klären – sie betreffen auch das Schicksal jenes abgeschobenen Mannes, der seit der Übergabe an die syrischen Behörden Anfang Juli als vermisst gilt.“ Das war der erste Abgeschobene, „ein IS-Propagandist, ein Gefährder, nach Antiterrorgesetzen verurteilt, fast sieben Jahre in Haft. Nach dem Sturz des Assad-Regimes gab es keinen Grund, ihn weiter zu dulden“. Der wurde ordnungsgemäß in Istanbul den türkischen Behörden zum weiteren Transport übergeben und gilt nun also seit der Übergabe an die syrischen Behörden als vermisst. Es geht ja auch niemanden an, wo er ist, schon gar keinen europäischen Richter. Immerhin war er IS-Propagandist, da ist kaum zu erwarten, dass er von dem neuen Regime in Damaskus Schwierigkeiten erfahren sollte. Vielleicht ist er noch in Damaskus und hat sich einfach nicht bei der österreichischen Botschaft dort gemeldet, was daran liegen könnte, dass sie derzeit geschlossen ist und ein Ausweichquartier in Beirut bezogen hat. Vielleicht ist er zu seiner Mutter irgendwo in der syrischen Wüste gefahren und hat vergessen, in Wien Bescheid zu sagen. Vielleicht ist er aber auch schon längst auf dem Rückweg nach Europa mit dem Ziel, sich diesmal erst gar nicht in Österreich aufzuhalten, sondern gleich nach Deutschland zu wandern, denn dort ist er vor Abschiebungen sicher. Aber der EGMR in seiner juristischen Weisheit verlangt von Österreich, den derzeitigen Aufenthaltsort eines abgeschobenen IS-Propagandisten herauszufinden, um eine endgültige Entscheidung über die Abschiebung des zweiten Kandidaten treffen zu können.

Sicher, in Zukunft ließe sich das machen. Schließlich gibt es hinreichend viele NGOs, denen das Schicksal von abzuschiebenden Terroristen und sonstigen Straffälligen ganz besonders am Herzen liegt, und denen sich hier eine großartige Chance auftut, sich konkret einzubringen. Man muss nur bei jeder Abschiebung jedem Kandidaten einen Angerhörigen einer NGO zur Seite stellen, der ihn bis nach Syrien oder wohin auch immer begleitet und sicherstellt, dass er ständig für die österreichischen Stellen oder besser gleich für den EGMR erreichbar ist. So hätten die NGOs etwas zu tun und der EGMR seinen Willen. Ob sich genügend Freiwillige finden, darf bezweifelt werden.

Der Gerichtshof verknüpft also die Möglichkeit von Abschiebungen nach Syrien mit unmöglichen Voraussetzungen – es ist nachvollziehbar, dass der österreichische Innenminister dieses Ansinnen „abgehoben und weltfremd“ nennt, aber wen sollen diese Eigenschaften bei einer europäischen Institution schon überraschen? Bis zum 8. September soll die einstweilige Verfügung gelten, danach, irgendwann danach wird der EGMR entscheiden. Und da natürlich der Verbleib des ersten Abgeschobenen kaum geklärt sein wird, darf man fröhlich raten, wie wohl diese Entscheidung ausfallen wird.

Es ist also hoch wahrscheinlich, dass Abschiebungen nach Syrien auf europäischer Ebene unmöglich gemacht werden, egal ob es sich um Terroristen, gewöhnliche Verbrecher oder Kindergärtner handelt – wieder einmal ein schönes Beispiel für die segensreichen Wirkungen des organisierten europäischen Wirkens. Und organisiert ist dieses Wirken, man könnte es sogar orchestriert nennen, wenn man einen Blick auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, abgekürzt EuGH, wirft. Eine Pressemitteilung vom 1. August 2025 hilft uns da weiter. Zwei Asylbewerbern, so liest man da, sei in Irland keine Unterkunft von den Behörden zur Verfügung gestellt worden, „was sie damit begründeten, dass die hierfür vorgesehenen Aufnahmezentren ungeachtet der Verfügbarkeit vorübergehender individueller Unterkünfte in Irland belegt seien. Mangels Unterbringung in einem solchen Aufnahmezentrum hatten die beiden Antragsteller keinen Anspruch auf die im irischen Recht vorgesehenen Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs“. Einzelgutscheine über 25 Euro habe es gegeben, mehr aber nicht.

Das konnte der EuGH nicht durchgehen lassen. Die Mitgliedsstaaten, so meinte er, seien verpflichtet, „Antragstellern auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen zu gewähren, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, sei es in Form von Unterkunft, Geldleistungen, Gutscheinen oder einer Kombination davon. Diese Leistungen müssen die Grundbedürfnisse, einschließlich einer angemessenen Unterbringung, der betroffenen Personen decken und deren physische und psychische Gesundheit schützen“. Alles andere sei ein „Verstoß gegen das Unionsrecht“. Und selbst wenn es keine Unterkunft gegeben haben sollte, dann hätte Irland seine Pflicht dadurch erfüllen können, „dass es den Antragstellern eine Unterkunft außerhalb des üblicherweise für ihre Unterbringung vorgesehenen Systems zur Verfügung stellt – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme – oder ihnen Geldleistungen oder Gutscheine gewährt“.

Sämtliche „Grundbedürfnisse“ muss der aufnehmende Staat, der sich, wenn man von Deutschland absieht, vermutlich in den seltensten Fällen um die Besucher gerissen hat, decken, einen angemessenen Lebensstandard muss er gewähren, koste es, was es wolle. Sind die Unterkünfte voll, dann muss man eben neue auftreiben, und findet man keine, dann hat man den „Antragstellern“ mehr Geld oder höher dotierte Gutscheine auszuhändigen, weil in Irland bekanntlich die Kühe so glücklich sind, dass sie beim Wiederkäuen Geld ausspucken.

Ein anderer Gerichtshof, doch die gleiche Art von Richtern. Von Bedeutung sind stets nur die Bedürfnisse der sogenannten „Antragsteller“; ob ein Staat, und damit seine Bürger, durch die überbordenden Ansprüche in den Ruin getrieben wird – wer will das wissen? Geld haben wir offenbar alle in Hülle und Fülle, und ist mal keines da, nehmen wir eben einen Billionenkredit auf oder drucken es gleich selbst.

Nun muss man nur noch die beiden Urteile als Einheit betrachten, um sich an der Zukunft Europas zu erfreuen. Abschiebungen nach Syrien sollen ins Land der Unmöglichkeit verwiesen werden, weil man sich selbst bei Terroristen und sonstigen Straftätern vorrangig um die Rechte der Täter kümmern muss statt um die der Opfer. Und das gilt natürlich nicht nur für Syrien, sondern für jedes Land, in dem man mit etwas unangenehmen Verhältnissen rechnen muss – aus genau solchen Ländern pflegen die „Antragsteller“ zu kommen; man hat noch selten von Bewerbern monegassischer Staatsangehörigkeit gehört. Sind sie aber erst einmal im Land, so hat man sich ohne Rücksicht auf Verluste, auf den eigenen Ruin oder auf die Bedürfnisse der Bevölkerung vorrangig um ihren „angemessenen Lebensstandard“ zu kümmern. Kürzer gesagt: Jeder darf kommen, jeder darf bleiben und alle müssen von uns bestens versorgt werden. Basierend auf Entscheidungen des EGMR und des EuGH. Wer solche Gerichte hat, braucht keine äußeren Feinde mehr.

Im ersten Teil von Goethes „Faust“ lässt der Autor einen etwas unbedarften Jüngling in Fausts Haus erscheinen und um die Aufnahme als Schüler bitten. Bedauerlicherweise trifft er auf den Teufel, auf Mephistopheles, den er für den Hausherrn hält und der ihm einiges über die möglichen Fächer und Disziplinen mitteilt. Als der angehende Schüler meint: „Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen“, antwortet Mephistopheles:

„Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz‘ und Rechte

Wie eine ew’ge Krankheit, fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
Weh dir, dass du ein Enkel bist!

Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.“

Das europäische Recht erbt sich tatsächlich wie eine Krankheit fort: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.“

Seit den Zeiten des Dr. Heinrich Faust hat sich wohl nicht viel geändert.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Screenshot Tiktok

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