Die Griechenland-Pleite aus der Sicht eines Information Professionals.
Heidelberg, 18.05.2015 – Zeus wäre am Boden zerstört. Sein geschätztes Hellas dem Untergang geweiht. Wo nur waren die Argusaugen der griechischen Regierung und der EU all die Jahre vor und nach dem EU-Eintritt von Griechenland herumgewandert? Wer hatte die Eulen in Athen unter den Teppich gekehrt?
Wäre Griechenland ein Unternehmen gewesen, und der Eurobeitritt ein Merger, hätte man jedenfalls nicht von einer Hochzeit im Himmel gesprochen. Man hätte dies mit einem „hmm…“ kommentiert, mit einem „eigentümliches Geschäftsmodell, aber mit 25% Zinsen und Abwertung jedes Jahr geht das irgendwie ja schon ganz okay. Und das Wetter ist dort ja auch so schön.“
Mit Beginn der Krise wurde klar: Hier ist uns ein krasser Sanierungsfall ins Portfolio gerutscht. Mittlerweile kann man nur noch von Insolvenzverschleppung sprechen.
Das ist in Unternehmen jeweils der Augenblick, in dem eine unabhängige Instanz – der Insolvenzverwalter – das Ruder übernimmt und schonungslos und sehr transparent die Fakten offenbart. Darauf warten alle im Falle von Griechenland tagtäglich aufs Neue. Aus der Sicht eines Information Professionals, nicht eines Ökonomie- oder Politikexperten (!), ist folgendes festzuhalten:
Ressourcen
-Lage und Klima (Landwirtschaft und Tourismus)
-Ein paar Rohstoffe (Öl, Erze und Salze)
Geschäftsmodell Griechenland
-Früher eine nennenswerte Baumwoll- und Textilindustrie
(durch die hohen Löhne nach Euro-Einführung vollständig vernichtet)
-Schifffahrt (Reedereien) – per Verfassung steuerbefreit
-Tourismus
-Landwirtschaft
-etwas Industrie
Man nehme nun die drei wichtigsten Wohlstandtreiber, Landwirtschaft, Tourismus und Industrie und betrachte den Stand der Dinge: Die Griechen importieren inzwischen ca. 50% ihrer Agrarprodukte aus der EU. Griechen essen holländische Tomaten! Klingt absurd? Ist aber so, da die griechischen Produkte trotz der Nähe zum Markt einfach zu teuer sind.
Beim Tourismus können wir die These wagen, dass sich Niveau und Anspruch der griechischen Hotels und Ferienorte auf dem Niveau der türkischen bewegen. Auf der Faktenebene jedoch zeigt sich auch: die Türkei ist tatsächlich mindestens 20% günstiger.
Die Industrieproduktion ist seit Beginn der Krise um ca. 25% gesunken.
Beim Geschäftskern ist also schon mal einiges in Unordnung, ist irgendwie der Wurm drin. Wir kommen ins sechste Jahr der Rettung und es hat sich nichts Positives entwickelt. Wir stellen aber fest, dass das Verhältnis von Löhnen und dem dazugehörigen Output ein großen Problem darstellt. Was hat sich da in fünf Jahren „Rettung“ und „Reformen“ getan?
Hier muss man jetzt wieder einen genaueren Blick auf die Fakten werfen. Das Verhältnis von Löhnen und dem dazugehörigen Output wird gemeinhin Produktivität genannt. Vordergründig könnte man jetzt versucht sein, Griechenlands Produktivität anzuschauen. Das ist ein gern gemachter Fehler von Nicht-Ökonomen. Tatsächlich misst die Produktivität aber nur die Produktivität von den Jobs, die es unter den jetzigen Bedingungen noch gibt. Je schwerer die Krise, desto weniger Menschen arbeiten produktiv, aber deren Produktivität ist sehr gut – sonst wären sie ja auch arbeitslos. Man muss also die richtige Kennzahl finden und das ist in diesem Fall der BIP-Deflator. Er mißt das Preisniveau von Volkswirtschaften.
Seit 2000 ist er in Griechenland von 85 auf 118 gestiegen. Eine Goldman-Sachs-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass er um 40 Punkte sinken müsste, damit Griechenland wieder in den grünen Bereich kommt. Was ist in den letzten 6 Jahren passiert. Erstmal 4 Jahre nichts, jetzt hat er sich um 8 Punkte in die richtige Richtung bewegt.
Die Schulden, gemessen als Verhältnis der Staatsschulden zum BIP, werden immer höher. Dabei schauen wir auf ein pro Kopf Einkommen von knapp 22 T US$, was 20% mehr ist, als beispielsweise Polen erzielt. Reden wir bei Polen von Rettung? Was heißt überhaupt Rettung? Das Wort Rettung suggeriert doch bei den meisten, dass man jemanden in akuter Not aus dem Wasser fischt, ihn aufwärmt und wieder absetzt. Kann man Staaten und Menschen quartalsweise retten?
Aus Sicht eines Information Professionals ist die Griechenlandproblematik ein ganz und gar verantwortungsloser Umgang mit Information und Fakten.
Immer wieder werden Vergleiche, Bilder und Äquivalenzen eingeführt und damit die Faktenlage diffus gehalten. Beispiele gefällig? Rettung, hatten wir schon. Krise, ist ein akuter Notfall. Eine Dauerkrise ist eine zweckdienliche Wortschöpfung. Ansteckungsgefahr, als ob man das Bankensystem mit Bürgernasen vergleichen könnte. Wobei letztere sich wahrscheinlich schon an selbiger herumgeführt fühlen. „Pleite-Griechen“ – die Griechen sind nicht pleite. Die Griechen haben ein höheres Einkommen als die Polen und der Medianhaushalt in Griechenland hat mehr Vermögen als sein Pendant in Deutschland. Der griechische Staat allerdings, der sehr viele Schuldpapiere an südeuropäische Banken ausgegeben hat, der ist pleite, wenn auch noch nicht insolvent.
Was sind die Klarheit schaffenden Fakten im Zuge der Beurteilung der griechischen Lage und wie muss man diese bewerten?
Geschäftsmodell? Zu teuer, Entwicklung der letzten Jahre: Keine nennenswerte Verbesserung.
Wirtschaftskraft? Hat seit Beginn der „Rettung“ stark nachgelassen. War nicht so schlecht. Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe ist seit Beginn der Krise um ca. 25% gesunken!
Vermögen? Gar nicht so schlecht im EU-Vergleich. Aber es gibt keine Administration, die Steuern eintreiben könnte, es gibt also keinen Zugriff auf das durchaus vorhandene Vermögen in Griechenland. Stabilität? Inzwischen sehr instabil, aber alte Kader der Kleptokratie sind zur Zeit von ihren Pfründen abgeschnitten. Hier könnte sich etwas bewegen.
Fähigkeit zum Schuldendienst? Eine Frage, die Herrn Schäuble interessieren sollte? Völlig ausgeschlossen, dass Griechenland seine Schulden zurückzahlt. Wenn die Zinsen nicht so niedrig wären, wie sie es gerade sind, wäre schon alles vorbei. Wie erwähnt, es fehlen 32 Punkte beim BIP-Deflator.
Alles was an sonstigen Meldungen kommt, kann man mithilfe dieser Kriterien abwägen und analysieren. So kommt man – professionell im Umgang mit Informationen und Fakten, wenn vielleicht auch bei nur teils vollständiger Datenlagen – zu fundierten Urteilen und guten Entscheidungen.
Der entscheidende Punkt ist: In der Regel sind Menschen und Institutionen nicht blöd. Wenn also die Verhaltensweisen von Akteuren irrational erscheinen, muss man sich ernsthaft fragen, ob man nicht etwas übersehen hat.
Spieltheoretiker Varoufakis
Nehmen wir Herrn Varoufakis: Ein Spieltheoretiker, aber keinesfalls ein Idiot. Spieltheoretiker beschäftigen sich mit Aktion und Gegenreaktion in Geschäften und Verhandlungen, allgemein bei Transaktionen. Im Gegensatz zu vielen Bereichen der Ökonomie sind ihre mathematischen Grundlagen hart und valide und beziehen eben auch viele Ebenen dessen ein, was sonst den Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm und dem wirklichen Leben ausmacht. Sieht man seine Aktionen vor diesem Hintergrund, ist er sehr viel weniger Elefant im Porzellanladen als kühler Stratege. Er muss nicht so sehr Geld besorgen, wie uns immer wieder glauben gemacht wird, und wo wir uns dann wundern, warum er die Leute, von denen er Geld will, so vergrätzt. Aus meiner Sicht ist ihm klar, dass Griechenland einen Schuldenschnitt braucht und dass eine wirtschaftliche Entwicklung im Korsett des Euro nicht zu erreichen ist. Was immer er tut, er braucht kein Geld, denn an eine Rettung im Euro glaubt er nicht. Er will gar nicht im Euro bleiben, aber er kann auch den Euro nicht einfach aufgeben. Also muss er sich von Amts wegen in eine Situation manövrieren, wo er erhobenen Hauptes oder mit Unschuldsmiene die Aufgabe des Euro verkünden kann. Als Information Professional konstatiere ich: Er arbeitet ganz vorzüglich an diesen Zielen.
Meiner Ansicht nach werden die Griechen (und Griechinnen) noch viel Freude mit ihm haben – wohlgemerkt: die Griechen, nicht wir, der Rest von Europa.
Tim Brouwer, Vorstand
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