Warum wir eine neue Agenda 2010 brauchen
Von Ansgar Lange +++ „Noch geht es unserer Wirtschaft gut. Dies ist die Folge fleißiger deutscher Arbeitnehmer und innovativer Unternehmen. Doch wir laufen Gefahr, als Wirtschaftsstandort zurückzufallen, wenn der Staat nicht bald die Maßstäbe zurecht rückt und mehr in Zukunft und Infrastruktur investiert. Während der Bundesfinanzminister die schwarze Null zum Fetisch erhoben hat, werden den Kommunen immer mehr Aufgaben von Land und Bund übertragen, für deren Finanzierung sie dann zuständig sind. Dies trifft insbesondere für den Sozialbereich zu. Kann es langfristig gut gehen, wenn eine Großstadt fast 40 Prozent ihrer Ausgaben für Soziales verwenden muss, weil es sich um Pflichtaufgaben handelt? Um diese Lasten zu schultern, werden die Steuern und Sozialabgaben zahlenden Bürger und Unternehmen immer stärker zur Kasse gebeten“, sagt der Wirtschaftsexperte Michael Zondler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens centomo http://www.centomo.de mit Firmensitzen in London und Ludwigsburg.
Vor Ort werden die Probleme am sichtbarsten. Dort sind sie nicht abstrakt. Während die Politelite in Berlin und Brüssel über das x-te Rettungspaket für Griechenland diskutiert, stehen Millionen Pendler täglich im Stau, Schulen und Schwimmbäder verrotten, kulturelle Einrichtungen müssen schließen etc.
Mehr Optimismus wagen
Die Kommunen stöhnen schon lange unter ihrer Belastung, doch der Bund trägt die schwarze Null wie eine Monstranz vor sich her – die sich ringsum auftürmenden Probleme einfach ignorierend. „Wir haben eine Schieflage in Richtung der sozialen Themen“, beklagte jüngst der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, im Gespräch mit dem Bonner General-Anzeiger. „Wir beschäftigen uns auf allen politischen Ebenen fast ausschließlich mit sozialer Gerechtigkeit und schaffen eine riesige Bürokratie. Das wichtige Thema Infrastruktur spielt in den Sonntagsreden eine Rolle, aber im tatsächlichen politischen Handeln immer weniger.“ Laut einer Studie beträgt der Innovationsstau der Kommunen mittlerweile 132 Milliarden Euro.
Doch Trübsal blasen und in Weltuntergangsgefühlen zu schwelgen kann keine Lösung sein, sagt Zondler. Die Politik habe es doch gerade jetzt in der Hand, beherzt zu handeln: „Wenn, wenn nicht jetzt, könnten die Weichen gestellt werden für einen Wechsel weg vom Verfrühstücken der eigenen Zukunft hin zu einer Politik über den Tag hinaus? Wozu braucht man eine Große Koalition im Bund, wenn sie nicht die großen Fragen angeht?“ Anhand der derzeitigen außenpolitischen Herausforderungen (Griechenland, Ukraine, internationaler Terrorismus etc.) blieben leider manchmal die innenpolitischen und wirtschaftlichen Themen auf der Strecke. „Wir brauchen wieder so ein bisschen Aufbruchstimmung wie damals bei der Agenda 2010 von Kanzler Schröder“, fordert der centomo-Chef.
Kinder sind unsere Zukunft
Doch auch die Wirtschaft müsse sich teilweise noch positiver dem Thema Zukunft stellen. „Damit unsere Unternehmen weiter Weltspitze bleiben und die Menschen in Lohn und Brot sind, ist Bildung das A und O“, so Zondler. „Unser System ist langfristig darauf ausgerichtet, dass beide Partner arbeiten. Die klassische Ein-Verdiener-Ehe ist irgendwann in der Ära von Helmut Kohl auf der Strecke geblieben. Doch gerade Unternehmen tun hier noch zu wenig. Nur rund 1,2 Prozent aller Kindergärten sind Betriebskitas. Wer morgen gute Fachkräfte haben will, muss sich heute für Kinderbetreuung in Unternehmen stark machen. Und auch 24-Stunden-Kitas, die es ja teilweise schon gibt, dürfen kein Tabu sein. Wie soll denn sonst die allein erziehende Krankenschwester im Schichtdienst ihr Kind betreuen?“ Eltern wie Unternehmen sähen beim Thema frühkindliche Bildung aber immer noch in erster Linie „Vater Staat“ in der Pflicht.
Doch statt sich mit der Frage zu beschäftigen, wie die Arbeit von morgen aussehen könne, konzentriere sich die bienenfleißige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) darauf, wie man Arbeit staatlich regulieren könne. „Ob es um abschließbare Kleiderschränke am Arbeitsplatz oder die Betriebssicherheit von Paternostern geht – Andrea Nahles kümmert sich darum“, lästert Die Welt.
Die Menschen bräuchten wieder mehr Freiräume, um ihr eigenes (Arbeits-)Leben zu gestalten, so Zondler. Wer immer nur kontrolliere und reguliere, misstraue den eigenen Bürgern und töte Optimismus und Innovationsfreude ab. Aber genau diese Tugenden bräuchten wir, um auch in Zukunft in der ersten Liga mitzuspielen.
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