Ein guter Freund von mir, ein Handwerker, sagt mir immer wieder, dass er Angst hat, dass Hunderttausende oder sogar Millionen AfD-Stimmen im Papierkorb landen. Ich maße mir nicht an, darüber zu urteilen, ob seine Befürchtung zutrifft. Ich muss nur nüchtern konstatieren: Beweise dafür, dass sein Verdacht zutrifft, gibt es nicht. Punkt. Aber für eines habe ich einen unumstößlichen Beweis: Dass Millionen Stimmen bei der Bundestagswahl regelmäßig im Papierkorb landen – im übertragenen Sinne. Dank der undemokratischen Fünf-Prozent-Hürde.
Diese Regelung, einst eingeführt, um das Parlament nicht zu zersplittern, hat sich längst zu einem undemokratischen Machtinstrument der großen Parteien entwickelt. Sie führt dazu, dass Millionen Wählerstimmen einfach verfallen, wenn ihre Partei unter dieser Hürde bleibt. In einer Demokratie sollte jede Stimme gleich viel wert sein. Doch durch diese Klausel passiert das Gegenteil: Stimmen für kleinere Parteien zählen gar nicht, während die Stimmen für große Parteien dadurch indirekt stärker werden. Das ist keine demokratische Wahl mehr, sondern eine Verzerrung des Wählerwillens.
Es hängt heute quasi vom Zufall ab, im krassesten Fall von ein paar Stimmen, ob BSW, Linke und FDP in den Bundestag einziehen oder nicht – und davon wiederum hängen die möglichen Koalitionen ab. Eine Lotterie entscheidet also darüber, wer Deutschland regiert. Nicht der Wählerwille. Millionen Stimmen werden einfach entsorgt, während die verbleibenden umso mehr Gewicht erhalten. Das ist eine fundamentale Pervertierung der Demokratie.
Mehr noch: Die Fünf-Prozent-Hürde wirkt bereits im Vorfeld massiv manipulativ. Millionen Menschen schrecken davor zurück, eine Partei zu wählen, die knapp an dieser Hürde scheitern könnte. Sie geben ihre Stimme stattdessen taktisch ab, um ein „Verlorengehen“ zu vermeiden. Auch das ist eine Verzerrung des eigentlichen Wählerwillens. Eine echte Demokratie müsste dieses Problem anerkennen und lösen – doch stattdessen verteidigen die etablierten Parteien diese Regel mit Klauen und Zähnen, denn sie sichert ihnen den Machterhalt.
Natürlich gibt es Gegenargumente. Laut der Tagesschau soll die Fünf-Prozent-Hürde verhindern, dass das Parlament durch zu viele Kleinstparteien handlungsunfähig wird. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll klingen. Doch längst zeigt sich, dass diese Begründung nicht trägt. In vielen anderen Ländern gibt es niedrigere oder gar keine Sperrklauseln – und trotzdem sind sie stabil regierbar. Zudem ist es nicht Aufgabe der Politik, darüber zu bestimmen, welche Parteien „zu klein“ sind, sondern das muss einzig und allein der Wähler entscheiden. Demokratie bedeutet Vielfalt und die Abbildung des echten Wählerwillens, nicht das Erzwingen einer bestimmten Mehrheitsstruktur durch künstliche Hürden.
Es ist ein Treppenwitz, dass ausgerechnet die Parteien, die sonst bei jeder Gelegenheit vermeintliche Vielfalt und Buntheit predigen, alles tun, um echte Vielfalt und Buntheit zu vermeiden, wenn es nicht mehr um Sonntagsreden, sondern um ihren Machtanspruch geht: im Parlament.
Besonders absurd wird es, wenn die gleichen rot-grünen Politiker, die sich als Weltmeister der Demokratie feiern, sich dann hinstellen und meinen, Deutschland müsse weltweit als Vorbild dienen. Dabei ist unser Wahlsystem in entscheidenden Punkten so undemokratisch, dass es bei anderen Ländern längst als Demokratiedefizit angeprangert würde.
Warum die Bundestagswahl noch aus vielen weiteren Gründen nicht fair und damit nicht demokratisch ist, können Sie in meinem gleichnamigen Artikel hier lesen.
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