• 14. November 2024

Die AfD spricht Scholz das Vertrauen aus – und dann?

ByJörg

Nov 13, 2024

Wie sieht‘s aus in Brüssel?

Ich schaue gerade aus meinem Büro und quasi direkt von Brüssel nach Berlin.

Sie wollten sagen, Sie stehen da vor einer großen Nebelwand?

(Lacht) Ich habe tatsächlich einen wunderbaren Ausblick von meinem Büro hier auf eine wunderschöne Großstadtumgebung der Rue Belliard entlang. Es sind schöne Büros, die wir hier haben, und ich fühle ich mich hier sehr wohl. Alles schaut sehr modern aus, eben gerade so, wie man sich das für eine Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Belgiens vorstellt.

Wissen Sie, welcher Abgeordnete vorher in ihrem Büro saß?

Nein, davon weiß ich nichts. Das könnte vorher auch ein Abstellraum gewesen sein (lacht). Aber ich habe ein sehr schönes Eckbüro. Das geht vielleicht ein bisschen zu Lasten der Größe, aber ich mag so etwas gerne. Vor allem mit einem schönen Ausblick auf die Rue Belliard.

Besteht die Gefahr, dass Sie morgen mal aufräumen müssen, weil Frau Wagenknecht zur Kontrolle vorbeikommt?

Aufräumen muss ich nicht. Ich bin sehr minimalistisch. Allerdings schaut es aktuell auf meinem Schreibtisch ein bisschen übel aus. Ein Kaffee steht dort und dann habe ich mir zuvor einen Eiweiß-Shake gemacht, weil ich noch zum Sport möchte. Aber bevor ich das Büro verlasse, bringe ich alles wieder in Ordnung. Ich achte darauf, dass das Büro nicht unordentlich oder so voll ist. Sonst lenkt mich das nur ab. Daher mag ich die Büroräume lieber leerer.

Lieber Herr Dr. Pürner, eine interessante Antwort. Aber die Frage zielte schon in eine andere Richtung …

(Lacht) Ehrlich? Das wäre mir jetzt gar nicht aufgefallen.

Wie schaut Brüssel auf das aktuelle Machtvakuum in Deutschland? Gibt es überhaupt eine Kommunikation über die Ländergrenzen der Abgeordneten hinaus? Haben Sie da ein Stimmungsbild aus dem Parlament? Oder fehlt dafür noch die Vernetzung mit den nichtdeutschen Kollegen?

Doch, doch, ich kann mich hier immer wieder mit Abgeordneten auch aus anderen Ländern unterhalten. Natürlich auch mit deutschen Kollegen. Die aktuelle politische Situation wird als Machtvakuum wahrgenommen. Das Scheitern der Ampelkoalition wird im EU-Parlament einerseits mit Interesse und anderseits mit Sorge betrachtet. Das hat vielerlei Gründe. Da ist eine spürbare Sorge um Stabilität, denn Deutschland ist einer der größten und einflussreichsten Mitgliedsstaaten der EU. Da schauen die Kollegen mit Sorge nach Berlin.

Haben Sie eine Idee, woran es liegen könnte, dass sich Teile der Bundesregierung noch so an die Macht klammern?

Ehrlich gesagt, nein. Ich müsste jetzt spekulieren und Spekulationen für den öffentlichen Raum gehören sich einfach nicht. Es gibt tatsächlich ganz viele Gründe, die man jetzt überlegen müsste, aber die sind nicht für die Öffentlichkeit, die man einfach so raushaut.

Spekulationen machen angreifbar. Man eröffnet sofort einen Raum für eine ganze andere Diskussion. Es geht dann gar nicht mehr um die Sache. Vielleicht mal ganz brutal gesagt: Es ist einfach unter aller Sau, wie es gerade läuft. Aber gesprochen wird leider vielfach nur über Spekulationen, die jeder einzelne mitbringt.

Wir können es vielleicht auf eine Metaebene heben. Es geht um Macht. Mein Großvater hat immer gesagt, Politik sei ein schmutziges Geschäft. Ist das so?

Da bin ich noch zu wenig lange dabei, um sagen zu können, ob Politik wirklich schmutzig ist. Mit solchen Sprüchen kann ich auch ganz, ganz wenig anfangen. Ganz sicher geht es in der Politik nicht so freundschaftlich, solidarisch und hilfsbereit zu, wie man das vielleicht gerne hätte. Da wird immer mit harten Bandagen und Ellenbogen gekämpft.

Ganz viele – auch Abgeordnete der Parteien – kleben an ihren Sesseln. Sie müssen sich vorstellen, wenn wirklich Neuwahlen kommen würden, dann kann es sein, dass der eine oder andere sein Abgeordnetenmandat verliert. Daran hängt dessen Zukunft. Die finanzielle Versorgung für den betroffenen Abgeordneten und eventuell noch für dessen Familie.

Das hängt auch ein ganzes Büro mit dran …

Genau, da hängen Mitarbeiter mit dran. Natürlich macht man sich dann Sorgen. Und sicher gibt es auch soziale Menschen, die sich Sorgen um ihre Mitarbeiter machen. Aber auch um das eigene angenehme Leben. Es wäre einfach gelogen, wenn man sagen würde, als Abgeordneter hat man kein angenehmes Leben.

Ja, man hat ein sehr angenehmes Leben. Das jetzt einfach wegzugeben, das wird schwierig werden. Auch deshalb ist die Motivation wahrscheinlich gar nicht so stark, hier schnellstens zu Neuwahlen zu kommen.

Nochmal, ich glaube tatsächlich, dass viele Politiker einfach vergessen haben, worum es in der Politik geht. Man muss dem Volk dienen – der Bevölkerung – und für den Menschen da sein. Dazu gehört auch, dass man ab einem gewissen Punkt seine eigenen Befindlichkeiten zurückstellt und für das Wohl der Bevölkerung, des Volkes, des Landes, sein Amt aufgibt.

Man kann stringent seiner Haltung folgen. Man kann natürlich auch dem Volk aufs Maul schauen und seine Haltung jederzeit anpassen, nur um an der Macht zu bleiben …

Auch das ist natürlich möglich. Deshalb bin ich für eine Begrenzung von Amtszeiten. Egal ob es jetzt Abgeordnetenamtszeit ist oder die von Ministerämtern. Amtszeiten müssten knallhart reguliert beziehungsweise zeitlich begrenzt werden. Ich plädiere dafür, dass man maximal zwei Legislaturen macht. Egal, was dann passiert: Wer schon mal Abgeordneter war, der darf es ganz einfach nicht mehr werden, dann sind andere dran.

Zum Ausgleich, weil man ja doch schönes Geld bekommen und auch bestimmte Vorteile genossen hat, finde ich, gehört anschließend dazu, dass der Abgeordnete dann beispielsweise noch eine halbe Legislatur in irgendeiner Art und Weise für die Bevölkerung weiter tätig ist, vielleicht als Berater im Bundestag oder im europäischen Parlament. Für diese Tätigkeit sollte er nichts mehr bekommen.

Sie sitzen im Warmen, ich sitze im Warmen, aber im Donbass wird aktuell weiter in elender Kälte elendig verreckt. Brüssel ist ein Stück weit entfernt von Berlin. Aber wie nah ist eigentlich Kiew gerückt angesichts der politischen Statements von Scholz, Habeck und Merz, die offensichtlich das Schicksal unseres Landes mit diesem großen Verrecken im Schützengraben immer enger verbunden haben. Und das auf eine Art und Weise, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte …

Hier wird wirklich der Eindruck erweckt, dass ein militärischer Sieg der Ukraine direkt mit dem Schicksal von Deutschland verbunden ist. Dem ist jedoch nicht so. Das ist blanker Unsinn. Denn Fakt ist – und soweit lehne ich mich aus dem Fenster: Die Ukraine wird diesen Krieg nicht gewinnen. Das können sich die vorgenannten Parteienvertreter und Herr Selenskyj noch so sehr wünschen. Für mich zeigt sich hier ein gewaltiger Realitätsverlust. Für diesen Realitätsverlust bluten und sterben unschuldige Menschen. Das finde ich als Mensch, als Arzt und als Politiker furchtbar.

So sehr wir den Realitätsverlust von Herrn Selenskyj betonen, so realpolitisch hat er bereits auf Trump reagiert. Vor wenigen Wochen bot der ukrainische Präsident überraschend an, dass die Ukraine die Aufgaben der USA in Europa übernehmen könnten, quasi als militärische Schutzmacht. Das möchte Herr Selenskyj jetzt bei Trump wieder in die Waagschale werfen. Da haben sich aktuell offenbar viele Unbekannte aufgetürmt, auch vor allen Dingen, was die Rolle von Trump angeht und seine Europapolitik …

Nicht nur aktuell, sondern schon vor der Wahl Trumps und auch schon in den letzten Jahren. Es gibt tatsächlich viele Unbekannte. Deshalb sind auch bestimmte Prognosen oder Vorhersagen gar nicht möglich, weil wir manche Dinge nicht wissen. Deshalb kann man es nicht einschätzen. Aber ein klarer Blick auf die Dinge in der Ukraine wäre angebracht. Die Ukraine wird diesen Krieg so nicht gewinnen können. Jeder weitere Tag wird auf grausame Weise Menschenleben kosten. Daran werden Waffen und Geld auch weiterhin nichts ändern.

Ich bin Jahrgang 1964 und in Westdeutschland sozialisiert. Ich hätte das niemals für möglich gehalten, dass so etwas noch einmal passiert, dass Menschen sich in Europa nach zwei Weltkriegen so brutal bekriegen …

Es ist menschlich und auch intellektuell eine Katastrophe. Und es ist eine diplomatische Katastrophe. Es können ganz viele Katastrophen darin gesehen werden. Man hat versäumt, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Das Wesentliche in so einem Konflikt ist Diplomatie und Gespräche. Wenn man jemanden so laut und direkt diabolisiert, dann ist das nicht diplomatisch und wird es schwer, mit jemandem Gespräche zu suchen, an Gespräche anzuknüpfen oder sich auf Augenhöhe auszutauschen. Es sieht leider danach auch, dass man bezogen auf die Ukraine gar kein Interesse hatte, sofort eine Friedenslösung zu finden. Man wollte Stärke demonstrieren und Russland einfach schlagen. Das war höchst undiplomatisch. Das war ein Fehler.

Sie hatten per X gefragt, was wäre, wenn die Mehrheit der Abgeordneten dem Bundeskanzler ihr Vertrauen ausspricht. Wie kommen Sie überhaupt darauf und was glauben Sie, was passiert?

Es ist doch so: Ständig gibt es neue Informationen und jeder spricht darüber. Aktuell über Neuwahlen, wann die Vertrauensfrage gestellt wird usw. Dann sagt die Bundeswahlleiterin, das gehe jetzt gar nicht so einfach, da fehle Papier.

Aber was ist denn, wenn Kanzler Scholz tatsächlich diese Vertrauensfrage gewinnt? Er kann sie ja nur gewinnen, wenn ihm die Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen ausspricht. Dafür braucht es auch die Grünen und theoretisch auch das Vertrauen der AfD-Abgeordneten.

Was glauben Sie, was passiert, wenn Scholz mit Hilfe der AfD die Vertrauensfrage gewinnt? Wird er es dann annehmen? Schämt er sich dann? Fällt die Brandmauer dann komplett, wenn die AfD ihm hilft, Kanzler zu bleiben? Das muss man einfach mal zu Ende denken. Was passiert, wenn die FDP sich doch wieder an Scholz annähert? All das überlegt man nicht. Ich halte das gar nicht für so unrealistisch. Hier ist noch viel Musik drin.

Verfassungsrechtler Dr. Voschgerau wunderte sich zuletzt, dass der Bundeskanzler noch nicht einmal die Vertrauensfrage gestellt hat, aber die SPD und die Union knobeln schon den Termin für die nächste Bundestagswahl aus. Das wäre ja im Prinzip eine Fortsetzung ihres Planspiels…

Das ist wirklich verrückt, was da gerade passiert: Die Vertrauensfrage wird öffentlich ausgehandelt und im Fernsehen diskutiert. Es stimmt hinten und vorn nicht mehr. Man dreht das Unten nach oben und umgekehrt. Spannende Zeiten. Auch deshalb habe ich mich auf X dazu hinreißen lassen, wenigstens die Frage danach zu stellen. Denn ich habe sie bislang noch bei keinem gesehen. Alle gehen davon aus, dass es so nicht kommen wird.

Wie hoch ist denn die Brandmauer zwischen AfD und BSW aus ihrer Sicht?

Da kommt es wahrscheinlich darauf an, wen Sie fragen …

… ich frage Sie.

Bei mir gibt es überhaupt gar keine Brandmauer. Null! Ich spreche auch hier im Parlament mit AfD-Mitgliedern. Ein paar sind wirklich sehr sympathisch, fachlich gut aufgestellt, anständig und wohlerzogen. Ich glaube, da kommt es wirklich immer drauf an, wen Sie fragen. Auch dem BSW würde das wirklich gut anstehen, wenn es bei uns tatsächlich keine Brandmauer gibt. Man kann in der Sache diskutieren und man kann auch anderer Meinung sein. Gespräche grundsätzlich abzulehnen oder einfach für irgendwas nicht zustimmen, weil es der andere macht, sowas halte ich einfach für absolut kindisch.

Danke für das Gespräch!

Zur Quelle wechseln
Author:
Alexander Wallasch

Teile den Beitrag mit Freunden