Dieser US-Wahlkampf war nicht nur ein Wettstreit um das Präsidentenamt, sondern auch ein Kampf der Persönlichkeiten
Wahnsinn, dieser US-Wahlkampf! Ich war abartig genervt, kein Tag ohne neue, durchgeknallte Kommentare von Donald Trump. Herausforderer Joe Biden brachte mich hingegen zum Gähnen und hat mich persönlich nicht vom Hocker gerissen. Und dann diese ewig lange Auszählung. Aber gerade, weil beide Kandidaten so gegensätzlich waren, lohnt es sich unter dem Aspekt „Personality first“ mal genauer hinzusehen.
Donald Trump hat uns jede Menge eindrücklicher Zitate hinterlassen, die man von einer Persönlichkeit, die so sehr in der Öffentlichkeit steht, wohl noch nie gehört hat. „Ich bin irre erfolgreich!“, „Ich könnte auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen und würde keine Wähler verlieren.“ oder wie auf der Pressekonferenz am 28. Juli 2020: „Niemand mag mich, das muss an meiner Persönlichkeit liegen.“ Und das ist nur eine kleine Auswahl.
Joe Biden lieferte ebenfalls einige wirre Worte und Momente ab, wenn auch weniger spannend als Trump. So verwechselte er einmal sogar das Präsidentenamt, für das er kandidierte, mit dem Senat: „Mein Name ist Joe Biden, ich bin der Kandidat der Demokraten für den Senat der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Ein andermal verwechselte er am Grab seines verstorbenen Sohnes, seine neben ihm stehende Enkelin mit seinem toten Sohn. Trump nannte ihn wegen dieser und anderer Vorfälle „senil“ und „dement“. Polit-Experten beschreiben Joe Biden nach einer TV-Debatte vor den Wahlen als: „Immer wie mit angezogener Handbremse unterwegs, solide, wenig risikobereit“, sozusagen das genaue Gegenteil zu Trump.
Als extrem unterschiedlich empfand ich, und sicher die meisten Menschen ebenfalls, die beiden Kandidaten in ihrer Außenwirkung. Obwohl sie nur wenige Jahre trennen – Trump ist 74 Jahre alt, Biden 77 – wirkt Biden viel älter, richtig großväterlich und man muss es einfach sagen: langweilig und eingeschlafen.
Trump dagegen erscheint dynamisch, bullig, viel jünger als er ist und kraftvoller als Biden. Aber bei Trump sind diese Eigenschaften so ausgeprägt, dass sie ins Gegenteil umschlagen. Das bestätigt auch die französische Bestsellerautorin und Psychoanalytikerin Marie-France Hirigoyen in ihrem neuen Buch: „Auch jemand, der kein Psychologe und Psychiater ist, merkt sofort, dass mit Donald Trump etwas nicht stimmt. Denen, die nicht wissen, was unter „pathologischem Narzissmus“ genau zu verstehen ist, liefert der Präsident der Vereinigten Staaten mit seiner Prahlerei, seinem extravertierten Verhalten, seiner absoluten Hemmungs- und Empathielosigkeit ein karikatureskes Beispiel“, schreibt Hirigoyen in ihrem neuen Werk „Die toxische Macht der Narzissten.“
Doch was bedeutet diese teilweise extreme öffentliche Darstellung der beiden Politiker im Personal Branding? Über ihr Kopf-an-Kopf-Rennen entschied am Ende das Vertrauen des Wählers. Wie die beiden Politiker sich präsentiert haben, wie sie nach außen wirkten, um Vertrauen geworben haben und was wir im Bereich Personal Branding da rausziehen können, wollen wir uns genauer anschauen.
Personal Branding ist Identität
Im Personal Branding wird der Mensch in Szene gesetzt – kein Produkt! Wichtig dabei ist, dass daraus keine Inszenierung entsteht. Die Selbstvermarktung muss wie eine zweite Haut sein, ganz dicht dran an der Person. Jeder Mensch trägt etwas in sich: Werte, Identität, eine Mission. Das Ziel des Personal Brandings ist es, dieses „gewisse Etwas“ sichtbar werden zu lassen und zum Strahlen zu bringen.
Wenn die Identität eines Menschen erkennbar werden soll, muss er auch mit allen Ecken und Kanten erlebbar sein. Das gelingt aber nicht als „Everybody“s darling“. Das und diese sichtbaren Ecken und Kanten schaffen Aufmerksamkeit. Donald Trump handelt nach diesem Prinzip, denn ob sympathisch oder nicht, Aufmerksamkeit war ihm immer sicher.
Trumps Lebensgeschichte – auch, was er als junger Mann erlebt hat – wurde uns immer wieder von ihm aufgetischt. Und er nutzte jede Chance, persönliche Verärgerung per Twitter publik zu machen. Im Gegensatz zu Trump blieb es um Joe Biden eher ruhig, wie Evan Osnos, Journalist und Buchautor eines Porträts über Biden, feststellt. Über ihn, der in seinem Leben einige persönliche Schicksalsschläge hinnehmen musste, sagt Osnos: „Sein persönliches Leiden macht ihn besonders empfänglich für die Schmerzen, die die Amerikaner gerade durchmachen. Diese Schmerzen zu lindern, das ist die gewaltige Aufgabe, die sich Joe Biden vorgenommen hat.“ Vermutlich hat Biden durch seine Biografie die Fähigkeit erlangt, Empathie aufzubringen und so vertrauenerweckend auf die US-Bürger gewirkt.
Personal Branding schafft Vertrauen
Warum entscheiden sich die US-Bürger für den einen oder den anderen Kandidaten? Aus dem gleichen Grund, warum man sich für den einen oder anderen Handwerker, Steuerberater oder Friseur entscheidet: Aus Vertrauen. Eine Human Branding Strategie hat das Ziel Vertrauen aufzubauen. Identität muss authentisch, nahbar und eine echte persönliche Marke darstellen. Nur so können Menschen anderen Menschen vertrauen.
Dr. Wolfram Schön, Organisations- und Wirtschaftspsychologe, sagt über das Vertrauen im US-Wahlkampf: „Beim Vertrauen geht es um das gemeinsame Interesse zwischen Wählern und Politikern sowie um die Berechenbarkeit, dass Politiker ihre Versprechen einhalten. Projiziert auf die US-Wahl haben Trump und Biden ihre jeweiligen Lager hier gut bedient. Trumps Berechenbarkeit ist dabei seine Unberechenbarkeit, die seine eingefleischten Anhänger lieben. Was wir Deutsche und Europäer bei Trump als trennend, spaltend und als Geringschätzung gegenüber Frauen, Schwarzen und Immigranten wahrnehmen, ist für seine Anhänger das Verbindende. Daher fährt er ein gutes Ergebnis ein. Anhänger haben ihm vertraut. Vertrauen ist keine absolute Größe, sondern wird stark durch das wahrgenommene gemeinsame Interesse gestimmt, es ist individuell und personenbezogen.“
Aber was ist mit Trumps extremen Äußerungen, mit denen er eben Spaltung hervorruft? Und Joe Biden, hält er das Land zusammen? Spaltet er nicht?
Personal Branding polarisiert
Im Personal Branding ist das Polarisieren ein wichtiger Bestandteil. Dem Polarisieren haftet ein sehr negatives Bild an. Zu Unrecht, denn es ist im Grunde nichts Schlechtes. Dahinter steht einfach ein klares Standing, eine feste, persönliche Haltung. Und, dass man zu dem, was man sagt, auch steht. Das ist aber immer seltener zu finden, besonders in der Politik.
Es muss klar sein, zeige ich mein Gesicht, meine Marke, wird das immer polarisieren. Verbiegt man sich zum Beispiel, um allen Wählern zu gefallen, geht das schief, wie uns das TV-Duell am 22. Oktober 2020 gezeigt hat. Hier war Donald Trump „betont höflicher und präsidialer.“ Nicola Ashfeld, Journalistin aus Nashville analysierte das Verhalten der beiden in der letzte TV-Debatte folgendermaßen: „Der US-Präsident zeigt ein komplett anderes Bild von sich, zieht seine nüchterne Strategie 90 Minuten lang durch! Trump beleidigt seinen Gegner Joe Biden nicht ein einziges Mal. Auch der Demokrat hält sich mit Spitznamen wie „Clown“ diesmal zurück. Doch Biden ist es, der aggressiv beginnt und auf den Mann spielt. Trump indes bleibt höflich, schafft aber trotzdem immer wieder den Sprung in die Offensive. Der US-Präsident wirft Fragen über Bidens politische Vergangenheit auf, streut Zweifel über seinen Leistungsausweis.“
So haben beide versucht, sich anders zu präsentieren, sie waren nicht authentisch, nicht bei sich. Daher sind beide auch wieder zurückgerudert und haben ihr Verhalten im Nachgang angepasst.
Warum haben sie das gemacht? Weil sie bemerkt haben, dass ihre gekünstelte Haltung nicht ankommt. Sie haben beide Kernwähler verloren, weil sie nicht mehr authentisch waren. Und auch die Gegenseite konnten sie mit ihrem angepassten Verhalten nicht überzeugen, weil die Menschen eben schnell merkten, dass diese Haltungen nicht echt waren. Die Psychologie sagt hierzu: Eine überzeugende politische Inszenierung ist wie eine glanzvolle schauspielerische Darbietung. Inhalt, Konsistenz der Botschaften und Klarheit im Ausdruck sind wichtig. Doch nichts ist bedeutsamer als der Faktor Authentizität. Denn Authentizität zeigt sich in der Übereinstimmung verbaler und nonverbaler Kommunikation. Menschen haben seit Urzeiten ein Gefühl für das Echte. Wir sind nun einmal Schwingungswesen.
Der US-Wahlkampf – ein Kampf der Persönlichkeiten
Donald Trump hat das knappe Rennen um die Vorherrschaft in den USA verloren – das Vertrauen der meisten Wähler lag bei Joe Biden. Und in diesem Wahlkampf war die Selbstvermarktung der Kandidaten, ihr Personal Branding, ein Beispiel dafür, wie wichtig auch das Polarisieren, die eigene Haltung sein kann, auch wenn es nicht jedem gefällt. Denn es bleiben immer nur zwei Lager: Die, die einen hassen und die, die einen lieben. Zeigt man Haltung und Einstellung, polarisiert man, kreiert aber zugleich eine erfolgreiche und starke Eigenmarke.
Zu Ende ist der „Kampf der Persönlichkeiten“ wohl immer noch nicht: Interessanterweise versucht Donald Trump mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, die Übergabe des Weißen Hauses zu verhindern. So ist er eben, er kann nicht verlieren – auch das ist Teil seiner Persönlichkeit. Joe Biden, der bisher eher blasse Gegner gewinnt durch dieses Verhalten jedoch weiter an Größe, Kraft und verschafft sich Respekt. Er sieht in der mangelnden Anerkennung seines Wahlsieges kein Hindernis, sondern zeigt Größe: „Ich denke nur, offen gesagt, dass es beschämend ist“, sagte Biden nun bei einer Pressekonferenz in Wilmington (North Carolina) über Trumps Verhalten und weiter: „Wie kann ich das taktvoll sagen? Ich denke, es wird dem Vermächtnis des Präsidenten nicht helfen.“ Es scheint, als würde er zunehmend sichtbarer werden, Ecken und Kanten zeigen.
Ich bin gespannt, wie dieses „Affentheater“ weitergeht, wohin sich diese beiden Charaktere entwickeln. Also behalten wir Twitter im Auge, ob der „Brüllaffe“ dort weiter grölt. Und auch auf „Sleepy Joe“ sollten wir ein Auge haben. Wacht er jetzt auf und startet durch oder tingelt er mit angezogener Handbremse durch seine Präsidentschaft?!
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