• 22. Dezember 2024

Besinnungslos: Das kulturelle Erbe der Popkultur wird durch infantile Debatten zerstört

ByJörg

Aug 31, 2024
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Es geschah plötzlich und unerwartet und es ist doch längst so typisch geworden. In all den Foren des Internets herrscht ein Krieg der Meinungen, wobei sich längst – wie in der orchestrierten Politik – eigentlich die meinungspolitischen Lager säuberlich voneinander getrennt haben. Begegnen sich dennoch mal verfeindete Lager, dann kracht es und das Gepöbel geht los, zwischen zwei Schimpfworten vielleicht noch einmal ein Argument. Aber dann schließlich Meldereien und Blockaden. Fazit: Es bringt alles nichts mehr.

Hans S. Mundi

Das Niveau ist im Keller. Die Dialoge verstummen, nur noch Gleichgesinnte überschütten sich gegenseitig mit Daumen hoch oder diversen Smileys. Miteinander reden wird aber selbst dort immer schwieriger, denn der offiziell geduldete – politisch korrekte! – Mainstream-Flur wird immer enger und enger und kleiner. Das kleinste Karo und die einfältigste Meinung haben Hochkonjunktur. Freie Meinung war gestern. Bis in Familien hinein geht die Schlacht der ideologisch vereinnahmten Hypermoralisten gegen alles, was nicht links und woke und „klimaneutral“ und divers ist. Doch neu ist, dass nunmehr auch letzte verbindende Elemente der Popkultur, in der wir alle dereinst mal größere Gemeinsamkeiten hatten, offensichtlich Strahlkraft und ihre früher hohe Bindung verlieren. Und zwar auch jenseits der Frontlinien – in den eigenen Reihen. Früher war es bei Rock und Pop weitgehend egal, wer welche politische Meinung der Fan hatte und wo er auf Stimmzetteln seine Kreuze machte. Verdammt lang her. Es bietet sich nun leider zunehmend ein Bild kultureller Verwüstung, geistiger Verwirrung, bis hin zur finalen Zerstörung gemeinsamer Werte, einst zusammen noch bewunderter Idole und des einfachen guten Gemeinschafts-Gefühls in der Musik. Das ehemalige Zuhause in den Stilen und bei den Bands und Trends, ohne Stress und mit viel Inspiration, scheint verloren zu gehen. Wir hören nur noch heute. Jeder in seiner Nische. Es gibt keine Geschichte. Final Curtain? Bald tote Seelen im Nichts…?!

Ein Beispiel des geistigen Verfalls und für einen selbstzerstörerischen Furor, der am Ende alles auslöschen wird ist aktuell und äußerst bedenklich: Der Anlass für diesen bizarren Streit hätte dabei harmloser nicht sein können. Ausgerechnet aus der eigentlich belanglosen „Yellow Press“ kam eines der üblichen Promi-Statements mit Bild und Text. Die „Bunte“ stellte es ins Netz, darin Alt-Moderator Thomas Gottschalk mit einem Statement: „Die junge Generation weiß überhaupt nicht mehr, wer Jimi Hendrix ist. Das muss man leider so sagen. Bei denen ist Bill Kaulitz populärer als Jimi Hendrix, was bitter ist, aber eine Tatsache.“ In Gruppen und bei musikaffinen Followern auf Facebook wurde das mehrfach übernommen, Promis sind bekanntlich gute Tauschobjekte im Netz. Doch überraschend führte dieser Post auf etlichen Seiten zu teils heftigsten Kontroversen – gefolgt von Gruppenaustritten und dem üblichen Online-Schmäh. An diesen Worten von Gottschalk darf man sich gerne reiben, aber Wort für Wort ist doch wahr. Typische Teenie-Idole wurden schon vor Jahrzehnten belächelt und durch den Kakao gezogen, von den „Anspruchsvollen“ und den „Erwachsenen“. Man kann den Hinweis des alten Musikfreunds Gottschalk aber auch als ein bitteres Resümee so stehen lassen und es bei anderer Ansicht nicht kommentieren. Denn diese wenigen Zeilen bieten normalerweise keinen großen Anlass für eine Kontroverse. Doch dann krachte es. Ein Kommentar lautete in einem Forum: „Wieder dieses über einen Kamm scheren… Ich mag seine Überheblichkeit nicht. Das ist wie, wenn ich ihn diskriminiere und als “alten weißen Mann beschimpfe”.“ Nachgefragt: Das ist dann ja auch wie, wenn ich dich „Nazi“ nennen würde, was ich nicht tue, aber ich erwähne es schon mal, damit du weisst welche Waffen hier bei mir im Schrank liegen. Polternd ins Haus. Vernünftiges Gespräch nicht mehr möglich.

Wer so anmerkt, der will gleich den gesamten Post in die Tonne treten. Hinzugefügt wurde dabei noch: „Ich bin auch nicht mehr ganz jung, möchte aber auch nicht Roy Black oder Jimmy Hendrix hören. Ich mag mir meinen Soundtrack nicht bestimmen lassen…“ Ein typisches Muster etlicher Debatten, wie wir es inzwischen aus der Politik kennen. Ein kritischer, leicht sentimentaler, Gedanke eines verdienstvollen deutschen TV- und Entertainment-Veteranen, wird so dermaßen aus dem Zusammenhang gerissen, dass sich der Vorwurf eines Angriffs auf kulturelle Selbstbestimmung und drohende Geschmacksvorschriften danach locker wie ein Leichentuch über Gottschalk und seine völlig harmlose Bemerkung legen lässt. Die Feststellung dessen, was ist, zählt nicht mehr, sondern darüber stülpt man – frei nach Gutdünken und Lust und schlechter Laune – eigene Überinterpretationen der negativen Art. Denn eine positive Lesart wäre ja durchaus machbar gewesen, die muss man aber auch konstruktiv wollen. Schon vor über zwanzig Jahren forderte und mahnte (vergeblich) Wolf-Dieter Gramatke, einst Chairman & CEO von Universal Music Germany, dass wir ein „popkulturelles Bewusstsein“ dringend benötigen würden. Dieses sollte auch endlich in den Unterricht der Schulen einfliessen um konkrete kulturelle Bildung zu schaffen und jungen Menschen ein inspirierendes Gesamtbild aus zirka 100 Jahren Musikgeschichte zu vermitteln – welche ein einmaliges musikalisches Geschehen der gesamten Menschheitsgeschichte abbildet.

Auch Eltern wären oder sind da gefordert. Ich erinnere, dass ich früher auf dem Land immer meine Söhne und Klassenkameraden mit dem Auto von der Schule abholte. Dazu legte ich seinerzeit (es gab noch CD-Player in den Autos) immer ein Album mit Hits aus den 1920er Jahren und Lieder von den Comedian Harmonists auf. Der absolute Hit bei den Kids war der uralte Gassenhauer „Ich wollt ich wär’ ein Huhn“ – das wollten die Kinder manchmal fünfmal hintereinander hören und wir haben es alle fröhlich lachend zusammen mitgesungen. Die legendären Comedian Harmonists wurden von den Nationalsozialisten wegen dreier Mitglieder jüdischer Herkunft verfolgt, bei ihren Konzerten wurden von der SA Schlägereien im Publikum angezettelt – und am Ende wurde die erste Boygroup der Welt verboten. Sich daran sechzig Jahre später – gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen – zu erinnern ist eine sinnvolle Sache. Pophistorisches Bewusstsein. Ich liebe die Comedian Harmonists noch heute, auch im fortgeschrittenen Alter, „Ein Frreund, ein guter Frrrreund“ geht immer noch, ob mit Kneipe oder ohne.

Nochmal: Gottschalk wollte bestimmt nicht auf Geschmacksvorschriften hinaus, in seinen einstigen Shows, die Einschaltquoten der höchsten Ebenen erreichten, war schließlich alles vertreten, vor allem stets Jung und Alt (!!!): Schlager, Rock, Pop, Chöre, Folklore, Künstler aus aller Welt und auch Newcomer. Wo er recht hat: Man muss die schrillen Kaulitz-Gebrüder nicht kennen, man kann sie mögen, aber so gut wie nichts zu wissen, über wirklich relevante Künstler, die Epochen, Stile und musikalische Techniken prägten, ist bedauerlich. Auch ohne die Gebrüder Kaulitz.

Nochmal Facebook. Nachdem der erste Kübel über Gottschalk ausgekippt worden war, folgten weitere Zeitgenossen mit offensichtlicher Lust auf Verbalrandale. „Gottschalk war mal gut, hat schwer nachgelassen und ich denke es ist die Verbitterung die zur Überheblichkeit führt?“ – würde man sich die verdrehten Argumentationslinien des politisch korrekten Lagers hier zueigen machen, könnte man sagen: Der zarte Hauch einer handfest in den Raum gestellten Option auf das Niedermachen einer missliebigen Person wegen ihres Alters und ihrer Hautfarbe, brach nun durch. Dabei ist der gute Mann längst im Rentenalter und muss sich und uns doch nichts mehr beweisen. Gottschalks Aussage wurde aber zu keinem Zeitpunkt sachlich hinterfragt, der knüppeldicke Kontext zu seiner Ansage, nämlich der sozialen Verwahrlosung und des Absturzes des Bildungslevels an den Schulen im Lande, gar nicht erst in Betracht gezogen. Gegenargumente wurden im Gefolge als „Totschlagsargumente“ weggeschlagen. Motto: Wenn ich Gottschalk mitsamt Jimi Hendrix in die Tonne trete, dann belästigen Sie mich doch bitte nicht. Beleidigungen und das Anspielen aufs Alter ist so dermaßen respektlos, dass alle Kritiker sich hier eiegntlich schämen sollten. Es geht auch komplett am Thema vorbei.

Jimi Hendrix war wohlgemerkt ein absoluter Ausnahmegitarrist, der klanglich und spieltechnisch für Generationen von Gitarristen neue Ideen und Räume schuf, der ein virtuoses Genie an der Gitarre war und herausragende Klangereignisse schuf, mit damals recht bescheidenen technischen Mitteln, welche heutige Laptop-Musiker und mit Zubehör vollgestopfte Gitarristen in dieser Klasse nur selten hinbekommen. Denn Jimi Hendrix spielte mit Seele – die Technik war nur sein Knecht. Doch wenn die deutsche Gemeinde der Neider und Nörgler, der Spiesser und Schlaumeier erstmal so richtig am Schlechte-Laune-Mief dran ist, dann muss ja noch Gestank nachgelegt werden. Nun kamen weitere Hinweise eines erweiterten Personenkreises. Auch der „Kommerz“ gelangte zur anwachsenden Generalanklage hinzu, die alte These von der bösen, bösen Industrie, welche Kindern den Musikgeschmack verordnet, musste auch wiederbelebt werden. Es ging jedenfalls immer breiter immer so weiter. Ein weiterer Zeitgenosse musste nun unbedingt auch noch seinen Senf dazu geben, quasi im Vorbeiscrollen auf dem Bildschirm einen virtuellen Furz ablassen – um danach dann auf anderen Seiten weiter zu stänkern: „Jimi Hendrix-Musik – so stell ich mir die Hölle vor.“

Es ist ein Tiefpunkt vorm Endpunkt. Zu keinem Zeitpunkt ging es darum, Musikgeschmack zu forcieren oder gar zu verordnen. Wer Hendrix als „die Hölle“ empfindet, muss dieses schwere Leiden mit sich selber ausmachen. Für die Aussage von Gottschalk war Hendrix ja auch gar nicht der Punkt, man hätte hier auch hundert weitere Namen nennen können, wie B.B. King, Louis Armstrong, Dave Brubeck, Duane Eddy, Frank Zappa, David Bowie, Frank Sinatra, Elvis Presley, Tina Turner oder Joe Cocker, auch Chuck Berry oder Marlene Dietrich – aber wenn sich die Meute (ausgerechnet) an Jimi Hendrix festbeisst, wie der Mastino am Kauknochen, dann ist irgendwie eh alles zu spät. Es herrscht Tristesse. In den Köpfen. Wutwirrwarr. Es wird zappenduster im Gelände. Wenn es bei solchen Nichtigkeiten nun schon dermaßen kracht, wenn allein der Hinweis auf Historie schön beargwöhnt wird, dann ist es wohl bald still. Dann brauchen wir uns über nichts mehr unterhalten. Und dann ist der Weg ins kulturelle Nichts offen. Das ist wiederum ein politisches Ziel gewisser Kreise.

Letzte Worte zu der Gottschalk-Debatte auf Facebook. Diese geht vermutlich inzwischen quer durchs Netz. Auch woanders wird der „Bunte“-Gottschalk gepostet und teils weiter verrissen – neben eher schwach vertretener Zustimmung. Von vielen „Experten“, lach, kommt dann auch noch ein „Herr Lehrer, ich weiss was“, also alles nervtötend. Ein Highlight bei dieser Massenpöbelei waren dann noch Statements aus der notorischen Rechthaber-Ecke, mit einer Streiterei am Rande, mit der Frage, ob die Wurzeln der Musik denn nun in der „schwarzafrikanischen Musik“ oder im „weissen Europa“ lägen. Tja. So ist es eben. Der Jazz kam aus Europa, neben teils auch irischer Folklore, Blues und Gospel und Soul entwickelten sich auf US-amerikanischem Boden durch die Sklaven und deren Nachfahren aus afrikanischen Ländern. Deshalb auch die Rede vom Meltung Pot. Kein Wunder, dass das offenbar auch heute keiner mehr weiß. Denn wer von kultureller Aneignung quakt, der weiß eben nichts von der Geschichte der Popularmusik seit einem Zeitraum von über einhundert Jahren. Wenn man sich dann noch für Klassik interessiert könnte man als gebildet gelten. Dann bräuchte man sich nicht so dermaßen unsinnig streiten.

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Author: Rasender Reporter
Journalistenwatch

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