Ein Artikel von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Berlin und Essen, zum Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 11.5.2015, Aktenzeichen 235 C 133/13.
Schlagzeile „Mietspiegel gekippt“ – Vorbemerkung:
Man konnte am Montag nach dem Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg in den Schlagzeilen lesen, das Gericht habe den Mitspiegel gekippt. Dazu muss man zunächst folgendes anmerken: das kann das Amtsgericht Charlottenburg gar nicht tun. Entschieden hat nur eine Abteilung des Amtsgerichts, eine andere kam schon zu einem anderen Urteil. Andere Gerichte sind an das Urteil nicht gebunden, zudem ist dieses berufungsfähig. Somit kann man die gewählte Schlagzeile als übertrieben ansehen. Dennoch geht sie meiner Meinung nach in Ordnung, weil sie – so hoffe ich zumindest – auf ein relevantes Problem hinweist: es ist durchaus problematisch, dass der Gesetzgeber z.B. bei der gesetzlichen Wiederholungsmöglichkeit oder zuletzt bei der Mietpreisbremse an den Mietspiegel anknüpft. Ob er damit den explodieren Mietpreisen, die durch Spekulationen am Immobilienmarkt angetrieben werden, wirksam entgegenwirkt, ist äußerst zweifelhaft. Zur Begründung gehe ich in der Folge auf das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg ein.
Lediglich widerlegbare Vermutung der Wiedergabe einer ortüblichen Vergleichsmiete durch qualifizierten Mietspiegel begründet
Die Gerichte haben den Berliner Mietspiegel bisher in der Regel als qualifizierten Mietspiegel angesehen und somit seine Eignung zur Wiedergabe der ortüblichen Miete bestätigt.
Die ortübliche Vergleichsmieter ergibt sich nach §558 Abs. 2 Satz 1 BGB aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind. Nicht berücksichtigt werden Erhöhungen aufgrund von gestiegenen Betriebskosten.
Ein qualifizierter Mietspiegel ist nach § 558 d Abs. 1 BGB ein solcher, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und Mieter anerkannt worden ist.
§ 558 d Abs. 3 BGB enthält eine (widerlegbare) gesetzliche Vermutung, nach der ein mindestens zwei Jahre alter oder rechtzeitig angepasster qualifizierter Mietspiegel mit den in ihm angegebenen Entgelten die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergibt.
Amtsgericht Charlottenburg: Berliner Mietspiegel 2013 kein qualifizierter Mietspiegel
Das Amtsgericht Charlottenburg kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass der Berliner Mietspiegel 2013 (und zunächst nur dieser) nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden ist und damit kein qualifizierter Mietspiegel ist. Dementsprechend begründet dieser Mietspiegel nach Ansicht des Amtsgerichts Charlottenburg auch nicht die Vermutung der er ortsüblichen Vergleichsmiete.
Wesentliche Mängel des Berliner Mietspiegels 2013 aus Sicht des Amtsgerichts Charlottenburg
Das Amtsgericht Charlottenburg beruft sich auf ein Sachverständigengutachten, wonach der Berliner Mietspiegel nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sei. Das Gericht kommt dabei zu der Überzeugung, dass die von den Erstellern des Berliner Mietspiegels 2013 vorgenommene Extremwertbereinigung nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgt ist und somit bereits die Datenerhebung zu Unrecht bestimmte (Vermieter günstige) Daten nicht berücksichtigt. Insbesondere ein automatischer und nach feststehenden Werten vorgenommener Ausschluss bestimmter Daten zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt von Wuchermieten oder Gefälligkeitsmieten entspreche nicht anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen. Insofern seien Mietdaten, die an sich zu berücksichtigen wären, nicht in die Erstellung des Mietspiegels eingeflossen, das Ergebnis damit verzerrt.
Auch die Einordnung der Wohnlagen in die Kategorien einfach, mittel und gut entspreche nicht anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen. Die Kategorien vereinen zu unterschiedliche Wohnungen und seien damit zu undifferenziert.
Folgen der Ansicht des Amtsgerichts Charlottenburg: Bestimmung der ortsüblichen Miete durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens
Da das Gericht also die Vermutungswirkung des Berliner Mietspiegels als nicht gegeben ansah, holte es Sachverständigengutachten über die ortsübliche Miete ein. Der Sachverständige kam dann zu einer höheren ortsübliche Vergleichsmiete als der Mietspiegel 2013, entsprechend obsiegte der Vermieter mit seiner Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung.
Kritikpunkte am Vorgehen des Amtsgerichts Charlottenburg
In den Medien ist sofort kritisiert worden, dass das vom Gericht eingeholte private Sachverständigengutachten, welches letztlich nur zehn Vergleichsobjekte zugrunde legt, ungeeigneter für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete sei, als der Berliner Mietspiegel. Das sehe ich ähnlich.
Phänomene beim Erlebnis von Sachverständigengutachten vor Gericht
Leider erlebe ich in Mietsachen immer wieder, dass die Auswahl des Sachverständigen vom Gericht schon eine Entscheidung über das zu erwartende Ergebnis darstellt. Man muss dazu wissen, dass im Bau und Mietbereich die überwiegende Zahl der Gutachten von Vermietern, Bauherrn usw. in Auftrag gegeben wird. Es ist also nur ganz menschlich, wenn sich der Blick der Gutachter im Laufe ihres Lebens auf eine entsprechende Vermieter/Eigentümerperspektive verengt. Es ist also äußerst fraglich ob ein Sachverständigengutachten letztendlich wirklich ein besseres Ergebnis liefert als ein in Teilen fragwürdiger Mietspiegel.
Folgen für die Zukunft der Rechtsprechung
Zunächst einmal wird das Urteil die Berufung beim Landgericht Berlin überstehen müssen. Das halte ich aus den oben aufgeführten Gründen keineswegs für selbstverständlich. Des weiteren wären selbst durch das Urteil einer Kammer des Landgerichts Berlin andere Gerichte nicht gebunden. Ob sich der Bundesgerichtshof letztlich wirklich vertieft mit den Details der Erstellung des Berliner Mietspiegel 2013 befassen will, steht ebenfalls noch nicht fest. Voraussetzungen für die erfolgreiche Angriffsmöglichkeit gegen einen qualifizierten Mietspiegel hat der Bundesgerichtshof bereits aufgestellt:
Von der Partei, die das Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels in Abrede stellt, ist allerdings zu verlangen, dass sie im Rahmen des Möglichen substantiierte Angriffe gegen den Mietspiegel vorbringt. Sie muss sich mit dem Inhalt … substantiiert auseinandersetzen, soweit dies ohne Fachkenntnisse – etwa auf dem Gebiet der Statistik – möglich ist (BGH, Urteil vom 06. November 2013 – VIII ZR 346/12 -, juris).
Das Urteil macht allerdings auf einen erheblichen Missstand aufmerksam.
Wesentliches Problem bei der Anknüpfung an ortsübliche Vergleichsmiete
Soweit der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Mitwirkungsmöglichkeiten immer wieder an die ortsübliche Vergleichsmiete anknüpft, übersieht er folgendes großes Problem: eine Vielzahl der Mieterhöhungen ist von vornherein unwirksam. Mieter stimmen solchen Mieterhöhungen aus unterschiedlichen Gründen trotzdem zu. Ich nenne einige:
Angst vor Kosten in einem Zustimmungsprozess
Stimmt der Mieter nicht zu, muss ihn der Vermieter auf Zustimmung zur Mieterhöhung verklagen. Dies wird in jedem Mieterhöhungsverlangen auch angedroht. Mieter fürchten sich vor den enormen Kosten. Die Streitwerte sind nicht das Problem. Diese sind begrenzt auf die Jahres Mieterhöhung, also sehr niedrig. Das Problem sind die Sachverständigenkosten. Dieses Problem wird sich nunmehr verstärken, da Vermieter nun mehr als zuvor die wissenschaftliche Erstellung der Mietspiegel anzweifeln und hierfür Sachverständigenbeweis anbieten werden. Die Sachverständigenkosten werden dann nach dem Verhältnis des Obsiegens/Unterliegens auf die Parteien aufgeteilt.
Angst vor Streit in einem Dauerschuldverhältnis
In der Praxis kommt es häufig vor, dass Vermieter, die mit Mieterhöhungsverlangen nicht durchdringen, andere Wege suchen, um Mieter aus (günstigen) Wohnungsmietverhältnis zu drängen. Hier bietet sich eine breite Palette, da Gesetzgeber und Rechtsprechung Mieter nur unzureichend vor Eigenbedarfskündigungen oder Kündigungen wegen (geringfügiger) Verstöße gegen die Pflichten aus dem Mietverhältnis schützt. Dazu hatte ich bereits des Öfteren ausführlich Stellung genommen. Vor diesem Hintergrund muss auch ich Mietern durchaus gelegentlich raten, klein beizugeben, da das Mietobjekt ansonsten Anlass für Begehrlichkeiten erweckt. In diesem Zusammenhang eine Offenlegung: ich vertrete Mieter und Vermieter und zwar in einem ausgewogenen Verhältnis. Ich bilde mir daher ein, hier nicht im Sinne einer mieterfreundlichen oder vermieterfreundlichen Ansicht „gefangen“ zu sein, sondern von einem echten Problem zu berichten. Das deutsche Mietrecht hält den Folgen der internationalen Spekulationen am Berliner Wohnungsmarkt nicht statt. Wir werden bei ungeschütztem Fortgang der Entwicklung in den begehrten Innenstadtlagen bald nur noch wenig Mieter haben, stattdessen selbstnutzende Eigentümer, ausländische Kapitalanleger, die die Wohnungen teilweise leer stehen lassen, Ferienwohnungen und Gewerberäume. Das kann man gut oder schlecht finden, sollte aber nicht die Augen davor verschließen.
Mietspiegel als Instrument zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete, nicht aber als Instrument zur Dämmung der Preisanstiege
Aus den genannten Gründen ist der Mietspiegel sicher immer noch das Beste Instrument zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Gleichwohl taugt er immer weniger zur Eindämmung des Mietpreisanstiegs. Es fließen nämlich zu viele Mieten ein, die ohne Berücksichtigung des Mietspiegels erhöht wurden. Dazu kommt die oben zitierte Rechtsprechung, die noch mehr Mieter von einer Gegenwehr Abstand nehmen lassen wird. Alle Instrumente wie zum Beispiel die Mietpreisbremse, die an den Mietspiegel anknüpfen, sind daher ebenfalls eingeschränkt tauglich, die Preisentwicklung zu beeinflussen.
Folgen für die Zukunft, zum Beispiel die Mietpreisbremse
Das Urteil macht auf die geschilderten Missstände aufmerksam. Die Rechtsunsicherheit wird durch dieses Urteil weiter wachsen. Wesentliche Instrumente zur Begrenzung von Mieterhöhungen wie z.B. die Mietpreisbremse werden fragwürdig. Insbesondere Mieter ohne Rechtschutzversicherung werden es sich nicht leisten können oder wollen einen Prozess zu führen, in dem mit Sachverständigengutachten gekämpft wird. Das Kostenrisiko ist schlichtweg zu hoch. Vermieter großer Einheiten werden so lange suchen, bis sie einen privaten Sachverständigen gefunden haben, der ein von Ihnen gewünschtes Ergebnis errechnet. Der Sachverständige, der dann im Prozess vom Gericht beauftragt wird, wird selten zu einem völlig abweichenden Ergebnis kommen. Fazit: die Mieten steigen weiter, ebenso wie die Werte im Mietspiegel.
Alternativen
Bei der Frage der Alternativen stimme ich eher mit den Vermietern überein. Letztlich ist nur der Wohnungsbau ein nachhaltiges Instrument zur Eindämmung von Wohnungsknappheit. Wichtig ist aber auch, dass die Politik erkennt, dass Gesetze und Verordnungen, die in der Praxis nicht tauglich sind oder deren Einhaltung nicht kontrolliert wird (zum Beispiel die Zweckentfremdungsverbotsverordnung in Berlin), nicht geeignet sind, das Problem nachhaltig zu lösen. Die Augenwischerei muss aufhören, um den Weg für eine Diskussion über effektive Maßnahmen freimachen.
12.5.2015
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