Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Im Sommer 1940 wurde Franklin D. Roosevelt zum dritten Mal als Kandidat für die amerikanische Präsidentschaftswahl nominiert – das war ungewöhnlich, zu dieser Zeit aber noch gesetzeskonform; das Verbot einer dritten Amtszeit wurde erst 1951 eingeführt. Seine Kandidatur war bekanntlich erfolgreich, am 5. November 1940 siegte er mit deutlicher Mehrheit.
Selbstverständlich fand zwischen der Nominierung und der Wahl der übliche Wahlkampf statt. Während dieser Zeit versuchte sich die deutsche Wehrmacht an der Luftschlacht um England und gerade im Oktober 1940 „wurden die Luftangriffe auf das mittelenglische Industriegebiet ausgeweitet“. Nun sollte man sich einmal vorstellen, Roosevelt hätte bei einem öffentlichen Auftritt oder im Verlauf eines Radiointerviews die folgenden staatsmännischen Worte von sich gegeben: „Wir erleben, dass der deutsche Reichskanzler keine Rücksicht darauf nimmt, dass wir gerade im Wahlkampf sind und eine Präsidentschaftswahl haben, sondern er bombardiert so heftig und so brutal, gerade Infrastruktur, das heißt, man hat keinen Strom mehr, keine Wärme mehr.“ Um an einer späteren Stelle weiter auszuführen, dass Großbritannien ja auch die amerikanische Sicherheit mitverteidige, denn „wir wissen nicht, wenn die Truppen weiter vormarschieren – jeder, der auf die Landkarte schaut, da ist dann der Atlantik – und nach dem Atlantik kommen auch die Vereinigten Staaten.“
Natürlich hat er das nicht gesagt. Natürlich kam Roosevelt nicht eine Sekunde lang auf die Idee, Hitler hätte im Verlauf seiner Kriegsführung Rücksicht auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen und den zugehörigen Wahlkampf genommen, denn wer derart rücksichtsvoll ist, würde wohl auch so viel Rücksicht an den Tag legen, erst gar keinen Krieg anzufangen. Und Roosevelt hätte den Amerikanern auch wohl kaum erzählt, dass man, wenn man von Großbritannien aus den Atlantik überquert, unter Umständen die USA erreicht, ob mit Truppen oder ohne.
Nein, solche Äußerungen hat Franklin D. Roosevelt nie getan. Annalena Baerbock schon. In der Sendung „Caren Miosga“ meinte die stets treff- und ausdruckssichere Außenministerin der Herzen (etwa ab Minute 13:15): „Wir erleben, dass der russische Präsident keine Rücksicht darauf nimmt, dass wir gerade im Wahlkampf sind und eine vorgezogene Neuwahl haben, sondern er bombardiert so heftig und so brutal, gerade Infrastruktur, das heißt, man hat keinen Strom mehr, keine Wärme mehr,“ um dann gleich darauf auszuführen, dass in der Ukraine auch unsere Sicherheit mitverteidigt werde, denn „wir wissen nicht, wenn die Truppen weiter vormarschieren – jeder, der auf die Landkarte schaut, da ist dann das Baltikum, dann ist da Polen – und nach Polen kommt auch Deutschland“.
Man kann Putin ohne Frage viel vorwerfen, aber der Vorwurf, er nehme keine Rücksicht auf den deutschen Wahlkampf, hat unter allen möglichen Vorwürfen doch eher eine geringe Priorität. Und dass man auf dem Weg nach Westen irgendwann Deutschland erreicht, ist auch keine umstürzende Erkenntnis, doch immerhin konnte Baerbock zeigen, dass sie noch ein paar andere europäische Staaten und ihre geographische Lage kennt. Auf dem Weg nach Norden erreicht man übrigens irgendwann den Nordpol, wenn man nur lange genug überlebt.
Diese Frau leitet die deutsche Außenpolitik. Diese Frau spricht mit internationalen Kollegen, die vermutlich vor solchen Terminen eine Stunde lang meditieren müssen, um während des Termins die Beherrschung zu bewahren. Diese Frau möchte ihr Amt auch in der nächsten Regierung ausüben.
Hercule Poirot, der berühmte Privatdetektiv aus der Feder von Agatha Christie, wurde bei seinen Fällen in Büchern und in Filmen oft von Captain Arthur Hastings begleitet – ein freundlicher Mensch, der zu allem etwas zu sagen wusste, doch selten etwas allzu Kluges. „Lassen Sie die kleinen grauen Zellen arbeiten, Captain Hastings“, forderte Poirot ihn auf, ein Hinweis, den man auch gerne dem deutschen Bundeskabinett geben würde. Minister ist Hastings nie geworden, es hätte ihn wohl auch keiner je danach gefragt.
Im heutigen Bundeskabinett wäre das kein Problem. Die nehmen jeden.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: paparazzza / Shutterstock
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