Verschwörungstheorien haben in Zeiten der Corona-Pandemie Hochkonjunktur.
In seinem neuen Buch „Denkanstöße – Acht Fragen unserer Zeit“ behandelt Dr. Thies Claussen in einem der acht Kapitel auch die aktuelle Problematik der Verschwörungstheorien:
Querdenker, Corona-Leugner, Impfgegner und Verschwörungstheoretiker misstrauen Medizinern, Virologen, Politikern, Pharmakonzernen, dem Robert-Koch-Institut oder der Weltgesundheitsorganisation WHO: Das Virus wurde wahlweise künstlich hergestellt oder mit Absicht verbreitet; die Regierungen haben sich gegen ihre Völker verschworen, um sie mit den Einschränkungen besser kontrollieren zu können. Zur Auswahl als Bösewicht steht auch Bill Gates, der das Virus in Umlauf gebracht haben soll, um alle Menschen mithilfe einer Impfung zu chippen und die Weltherrschaft zu erlangen.
Früher glaubten die Menschen an Verschwörungen von Hexen, Außerirdischen oder Freimaurern, manche zweifelten die Mondlandung an und viele glauben noch heute, dass Elvis lebt – irgendwo, entführt von Aliens. Heute sind die Verschwörungstheoretiker sichtbarer: Sie tummeln sich zu Tausenden in sozialen Netzwerken und teilen abstruse Posts, Videos und Bilder. Sie gehen auf die Straße, tragen Aluhüte, schaffen es bis in die Nachrichten.
Die Flut von Verschwörungstheorien ist fast unüberschaubar. Einige Beispiele: Die USA haben die Anschläge des 11. September 2001 selbst durchgeführt; wir werden heimlich von einer Neuen Weltordnung kontrolliert, die uns über Chemtrails und Impfungen gefügig hält; Die Ukrainekrise wurde von der Nato orchestriert; Barack Obama wurde wahlweise nicht in den USA geboren oder er ist – wie Angela Merkel und George W. Bush – Teil einer Elite außerirdischer Reptilien, die sich von unserer negativen Energie ernährt; die Mondlandung hat natürlich nie stattgefunden, sondern wurde von der amerikanischen Regierung in einem Fernsehstudio inszeniert, und John F. Kennedy wurde von der CIA ermordet.
Die Ausgangsthese jeder Verschwörungstheorie ist eine als dubios eingeschätzte Person oder eine Geheimgesellschaft, der man böse Machenschaften und schreckliche Vorhaben unterstellt. Alles, was diese Ausgangsthese stützt, tragen die Autoren der Verschwörungserzählung zusammen. Was ihrer These widerspricht, lassen sie schlicht unter den Tisch fallen. Eine Verschwörungstheorie ist somit eine Mischung aus einigen nachprüfbaren Fakten und vielen erfundenen Behauptungen und Geschichten, aus denen immer neue Sinnzusammenhänge konstruiert werden. Wirkungsvoll ist es, die Wissenschaft oder die Presse („Lügenpresse“) in Frage zu stellen und zu attackieren. Große Wirkung erzielen Verschwörungstheoretiker damit, ihre Gegner zu dämonisieren.
Viele Verschwörungstheorien werden von Menschen erdacht, die wirklich daran glauben. Am Anfang steht ein Verdacht, und die wichtige Frage: Wem nützt es? Es werden Verbindungen hergestellt, ein Verdacht formuliert. Die Gruppe, die verdächtigt wird, wird nur vage beschrieben – die „Mächtigen“, die „Politiker“, der „Feind“. Es bleibt Spielraum für Fantasie.
Ein Motiv für Verschwörungstheorien ist das Streben nach Kontrolle und Sicherheit. Wenn Menschen aufgrund privater Problemlagen oder gesellschaftlicher Krisen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben und sich ohnmächtig fühlen, versuchen sie Strategien zu finden, um damit umzugehen – und Verschwörungserzählungen können so eine Strategie sein. Der Zufall spielt dann weniger eine Rolle, es gibt Muster und die Welt wird begreifbarer. Wenn Menschen in Unsicherheit leben, sind sie empfänglicher für Verschwörungstheorien und meinen eher, dass Strippenzieher im Geheimen das Weltgeschehen lenken. Der Glaube an eine Verschwörung kann also sinnstiftend sein und die Welt ordnen.
Ein anderes Motiv, warum Menschen an Verschwörungstheorien glauben, kann auch das Streben nach einer positiven Selbstwahrnehmung sein. Die „Wahrheit“ zu sehen, kann nicht nur Kontrolle erzeugen, sondern auch das Gefühl verstärken, „Unwissenden“ etwas voraus zu haben, besonders zu sein. Damit wird der eigene Selbstwert erhöht. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass insbesondere Menschen, die ein starkes Bedürfnis danach haben, sich einzigartig zu fühlen, an Verschwörungstheorien glauben. Man selbst ist in diesem Weltbild automatisch der Wissende und Gute, während die anderen entweder als Teil der Verschwörung gesehen oder als „Schlafschafe“ diffamiert werden, die angeblich der Regierung, den Medien oder dem etablierten Gesundheitswesen blind hinterherlaufen. Menschen glauben also auch deswegen an Verschwörungen, weil sie sich dadurch besser fühlen können.
Verschwörungstheorien können insbesondere dann gefährlich sein, wenn sie bestimmte Menschengruppen, etwa Juden oder Migranten stigmatisieren. Das traurigste Kapitel ist die millionenfache Ermordung von Juden durch das NS-Regime. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde zwar der Antisemitismus in nahezu allen westlichen Gesellschaften mehrheitlich geächtet. Jedoch hat der Antisemitismus – vor allem im Netz in Verbindung zu Verschwörungstheorien – in den vergangenen Jahren wieder stark zugenommen.
Auch die Verschwörungstheorien der sogenannten „Reichsbürger“, die aus unterschiedlichsten Motiven die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen, hat nicht nur zu verbalen oder körperlichen Bedrohungen geführt, sondern bereits zu Todesfällen. „Reichsbürger“ begreifen sich als die „wahren Bürger“ des deutschen Staats, während die demokratisch gewählten Repräsentanten wie auch das Rechtssystem als illegitim angesehen werden. Probleme bereiten sie, indem sie die Zahlung von Steuern oder Bußgeldern verweigern, sich illegal Waffen beschaffen, eigene Dokumente wie einen „Reichspersonalausweis“ erstellen oder sich gegen Vertreter von Staat und Justiz auflehnen.
Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen stehen auf den Plakaten Sätze wie „Gib Gates keine Chance“, „Corona, die Jahrhundertlüge“, „Viren bringen keine Krankheit“ oder „Gegen die Corona-Diktatur“. Es ist offensichtlich: Verschwörungstheorien sind auf der Straße angekommen.
Angesichts zunehmender Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Vernunft in der politischen Debatte aufgerufen. Den kritischen Austausch müsse es geben, sagte er im Mai 2020 bei der Besichtigung eines neuen Reservekrankenhauses auf dem Berliner Messegelände. Die Demokratie zeichne sich durch das Vorhandensein einer kritischen Öffentlichkeit aus.
„Ja, solche Kritik, nachfragende Kritik muss es immer geben“, betonte er. „Politik muss sich rechtfertigen, das tut sie auch. Wir diskutieren immer wieder neu, welche Maßnahmen noch aufrechtzuerhalten sind, wo gelockert werden darf.“ Er hoffe jedoch, dass „nicht diejenigen die Debatte bestimmen, die mit realitätsfremden Thesen im Augenblick an die Öffentlichkeit treten“. Er hoffe darüber hinaus, dass „Tatsachen und Fakten nicht ignoriert werden, und dass wir uns mit Vernunft aus der gegenwärtigen Situation befreien“. Er sei selbst medizinischer Laie. „Trotzdem traue ich mich zu behaupten, dass unter den Gesichtspunkten des Virusschutzes der vielleicht manchmal unbequeme und lästige Mundschutz empfehlenswerter ist als der Aluhut.“
Von Dr. Thies Claussen sind die Bücher „Denkanstöße – Acht Fragen unserer Zeit“ (2021), „Unsere Zukunft nach Corona“ (2020), „Ludwig Erhard. Wegbereiter unseres Wohlstands“ (2019), „Zukunft beginnt heute“ (2018) und „Unsere Zukunft“ (2017) erschienen.
Der Autor war Ministerialdirigent im Bayerischen Wirtschaftsministerium und zuletzt Vizechef der LfA Förderbank Bayern. Berufliche Erfahrungen sammelte er auch bei der Wacker Chemie AG, der Flughafen München GmbH und im Bayerischen Landtag.
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