1. Bestandschutz eingetragener Umwandlungen
In seiner Entscheidung zu 6 Ob 210/19d greift der OGH das Thema des Bestandschutzes von eingetragenen Umwandlungen auf. Unsere Mitarbeiterin Hevidar Mahmud hat den Fall aufgearbeitet.
2. Sachverhalt
Der Ausgangspunkt ist die verschmelzende Umwandlung der M***** GmbH (die „GmbH“) auf ihre Hauptgesellschafterin „W***** AG“. Diese vollzog ihrerseits im Jahr 2010 eine Umwandlung in die nunmehrige Beklagte „S***** GmbH“. In der Generalversammlung der GmbH im Juni 2020 wurde unter anderem der Beschluss gefasst, dass diese gem § 2 UmwG auf ihre Hauptgesellschafterin umgewandelt wird. Diesem Beschluss ging eine im April 2020 beschlossene Erhöhung des Stammkapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts der Klägerin sowie eine Satzungsänderung voran. Die Kapitalerhöhung war Voraussetzung für die Umwandlung.
Die Klägerin „M***** B.V.“, die Minderheitsgesellschafterin der GmbH, begehrte die Feststellung der Nichtigkeit und Rechtsunwirksamkeit, in eventu die Nichtigerklärung eben dieser Generalversammlungsbeschlüsse. Begründend brachte die Klägerin Einberufungsmängel, die unwirksame Vertretung in der Generalversammlung im Juni 2020 sowie eine treuwidrige, rechtsmissbräuchliche und sittenwidrige Vorgehensweise, infolge dieser die gefassten Beschlüsse als absolut nichtige Scheinbeschlüsse zu betrachten seien, vor. Diesfalls wäre ihr das im Gesellschaftsrecht vereinbarte Aufgriffsrecht zugekommen.
Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen und brachte im Wesentlichen vor, dass die Einberufung der Genrealversammlung ordnungsgemäß erfolgt sei, die Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss der Klägerin notwendige Voraussetzung für die nachfolgende verschmelzende Umwandlung gewesen sei und eine wirksame Vertretung der Klägerin in der Generalversammlung im Juni 2020 vorgelegen habe. Zudem sei die Anfechtung nach § 41 GmbHG jedenfalls verfristet, zumal die Anfechtungsklage nicht binnen eines Monats vom Tag der Absendung der Kopie der Beschlüsse erhoben worden sei. Alle Beschlüsse wurden im Jahr 2000, folglich vor Klagserhebung, in das Firmenbuch eingetragen.
3. Verfahrensverlauf
Das Erstgericht wies das auf Feststellung der Nichtigkeit gerichtete Hauptbegehren mit der Begründung ab, dass die vorgebrachten Mängel lediglich eine Anfechtung iSd § 41 GmbHG zur Folge hätten. Selbst im Fall der analogen Anwendung der § 199 AktG auf die GmbH sei die Nichtigkeit der Beschlüsse zu verneinen, zumal die Anerkennung nichtiger Beschlüsse aufgrund einer Analogie zum Aktienrecht zwangsläufig auch die analoge Anwendung der Heilungstatbestände nach sich ziehe. Mithin wäre ein nichtiger Beschluss bei nicht ordnungsgemäßer Beurkundung mit Eintragung, alle sonstigen in § 200 Abs 2 AktG genannten nichtigen Beschlüsse binnen drei Jahren ab Eintragung in das Firmenbuch geheilt. Nachdem vorliegend die Eintragung aller Beschlüsse im Jahr 2000 erfolgte, sei jedenfalls eine Heilung eingetreten. Jedenfalls stehe der Bestandschutz bei Umgründungen sowohl dem Hauptbegehren als auch dem Eventualbegehren auf Nichtigerklärung iSd § 41 GmbHG entgegen.
Die Klägerin legte Berufung gegen das Urteil des Erstgerichts ein. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Begründend führte das Berufungsgericht an, dass der Bestandschutz nicht ausschließlich den Umwandlungsbeschluss erfasse. Aus den allgemeinen Erwägungen und Verkehrsschutzüberlegungen sei vielmehr eine Erstreckung des Bestandschutzes auf alle Beschlüsse, die die Umwandlung ermöglichen, vorbereiten und abwickeln angebracht. Nicht zuletzt liefe ein wiederauflebendes Aufgriffsrecht nach erfolgter Umwandlung dem Wesen dieser zuwider, zumal ein wesentliches Charakteristikum der Umwandlung das Ausscheiden der Minderheitsgesellschafter sei. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, da keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, ob der Bestandschutz des § 2 Abs 3 UmwG iVm § 230 AktG auch für die Umwandlung vorbereitende Beschlüsse gelte.
4. Entscheid des Obersten Gerichtshofs
Wie eingangs dargelegt, verneinte der OGH zunächst die Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses und stellte anschließend klar, dass ungeachtet dessen der Bestandschutz bei Umgründungen einschlägig sei und erklärte die Revision des Klägers für unbegründet.
Mit Bezug auf das Gesetz hielt der OGH zunächst fest, dass anders als im AktG das GmbHG nicht ausdrücklich zwischen bloß anfechtbaren und nichtigen Beschlüssen unterscheidet und stütze sich auf die ständige Rechtsprechung sowie den generellen Normzweck der Anfechtungsmöglichkeiten. Obwohl der Wortlaut des § 41 GmbHG dafür spreche, dass sowohl Einberufungs- und Ankündigungs- als auch Inhaltsmängel lediglich anfechtbar sind und auch der Normzweck der Anfechtung in der Beseitigung formell oder materiell mangelhafter Beschlüsse liege, gäbe es Fälle, in denen ein Gesellschafterbeschluss von vornherein keine Wirksamkeit entfalte. Dies sei der Fall, wenn der Beschluss mit derart schwerwiegenden Mängeln behaftet ist, dass von einer rechtlich unbeachtlichen Willensäußerung gesprochen werden müsse. In diesen Fällen fehle es nämlich an den formalen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines wirksamen Beschlusses. Wie bereits in der Vergangenheit mehrmals ausgesprochen, hielt der OGH nochmals klarstellend fest, dass im Fall des Vorliegens eines Scheinbeschlusses die mangelnde Wirksamkeit jederzeit durch Einrede oder Feststellungsklage gemäß § 228 ZPO ohne die Befristung des § 41 Abs 4 GmbHG geltend gemacht werden kann.
Ob die Nichtanwendung der Befristung das Ergebnis einer teleologischen Reduktion des § 41 Abs 4 GmbHG oder schlicht der Subsumtion des Scheinbeschlusses unter den Begriff des Beschlusses nach § 41 Abs 1 GmbHG ist, ließ der OGH unbeantwortet. In 1 Ob 573/85 führte der OGH jedoch eine Entscheidung des dtBGH an, in der dieser im Fall der Teilnahme eines vom Stimmrecht ausgeschlossenen Gesellschafters an der Abstimmung die Geltendmachung der Anfechtungsklage mangels Vorliegens eines Gesellschafterbeschlusses im Sinne des § 47 dGmbHG verneinte. Auf diese Entscheidung wurde in Zusammenhang mit der Anwendbarkeit des § 41 Abs 4 GmbHG auf Scheinbeschlüsse zuletzt in 6 Ob 191/18h verwiesen. Zumal jedoch das dGmbHG keine Bestimmungen über die Nichtigkeit und Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen enthält, stattdessen die Regelungen des dAktG im Wege der Analogie herangezogen werden, scheidet im deutschen GmbH-Recht eine teleologische Reduktion der Anfechtungsbestimmungen allein schon mangels zu reduzierender Normen aus.
Im Anschluss an die Behandlung der Frage, wann ein Scheinbeschluss vorliege, stellte der OGH klar, dass der in § 230 Abs 2 S 1 AktG normierte Bestandschutz bei Umwandlungen unabhängig davon Anwendung findet, ob gegen den mangelhaften Beschluss eine Anfechtungsklage oder Nichtigkeitsklage erhoben worden ist. Das ergibt sich im Wege der systematischen Auslegung bereits aus Abs 2 S 2 AktG, wonach die „auf Anfechtung oder Feststellung der Nichtigkeit“ gerichtete Klage ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 235 ZPO umgestellt werden kann. Offengelassen hat der OGH vorliegend, ob Beschlüsse geschützt sind, die auf einer strafbaren Handlung beruhen. Bezugnehmend auf § 230 Abs 2 S 2 AktG stellte der OGH klar, dass § 230 Abs 2 AktG zwar einen Bestandschutz normiere, nicht jedoch eine Heilung des mangelhaften Beschlusses abgeleitet werden könne, zumal § 230 Abs 2 S 2 AktG implizit das Bestehen eines Schadenersatzanspruches voraussetze. Zu § 230 AktG sprach der OGH erstmals aus, dass der Bestandschutz auch auf Beschlüsse erstreckt wird, die der Umwandlung vorgelagert sind, sofern diese von vorbereitender Natur sind. Obgleich der Gesetzeswortlaut ausschließlich den Verschmelzungsbeschluss anführt, müsse im Lichte des Telos, und zwar der Abwendung der Rückgängigmachung einer wirksam gewordenen Verschmelzung, der Anwendungsbereich weit aufgefasst werden. Ebenso sei aus teleologischen Gründen das im Wege der Anfechtung nachträgliche Wiederaufleben eines Aufgriffsrechtes abzulehnen.
5. Kritische Würdigung
Eingangs ist festzuhalten, dass durch Art 7 des GesRÄG 2007 das UmwG geändert und unter anderem der in § 2 Abs 1 UmwG geregelte persönliche Anwendungsbereich dahingehend neu gefasst worden ist, dass die verschmelzende Umwandlung auf Kapitalgesellschaften nicht mehr zulässig ist. Im vorliegenden Fall ist nach § 6 Abs 3 UmwG der geänderte Anwendungsbereich noch nicht zu berücksichtigen, weshalb der OGH sich legitimerweise mangels Entscheidungserheblichkeit nicht mit der geänderten Rechtslage auseinandergesetzt hat.
Insbesondere im Hinblick auf zukünftige im wesentlichen gleichgelagerte Fälle ist jedoch die Möglichkeit eines anderen Ausgangs des Rechtsstreits zu berücksichtigen. Ein unkomplizierter Weg, die Beschränkung nach § 2 Abs 1 UmwG zu vermeiden, ist die Zwischenschaltung einer KG. Diesfalls würde aufgrund des Verweises nach § 2 Abs 3 UmwG der Bestandschutz nach § 230 AktG Anwendung finden und im Ergebnis die Ausführungen des OGH greifen. Eine andere Spielart wäre der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern nach dem GesAusG. In diesem Fall weicht, trotz gleicher Interessenslage der unmittelbar Beteiligten und ähnlicher Wesensmerkmale, die rechtliche Beurteilung von jener nach dem UmwG entscheidend ab. Diese findet insbesondere bei den Urteilswirkungen Niederschlag: Die Rückwirkung der erfolgreichen Anfechtung des Ausschlussbeschlusses hat auch den rückwirkenden Entfall des Anteilsübergangs zur Folge, sodass die Anteile ex lege an die ausgeschlossenen Gesellschafter zurückfallen. Aus dieser differenzierten Behandlung mangelhafter Beschlüsse im Rahmen eines „squeeze out“ lässt sich eine Wertung des Gesetzgebers ableiten, die in der vorliegenden Entscheidung zwar nicht explizit aufgegriffen wird, aber unzweifelhaft entscheidungserheblich ist. Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern stellt zwar einen Eingriff in deren verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Unversehrtheit des Eigentums dar, diesen lässt der Gesetzgeber jedoch – wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung – zu. Miteinander gemein haben der „squeeze out“ nach dem GesAusG und der faktische Gesellschafterausschluss nach § 2 UmwG, dass die Interessenabwägung des Gesetzgebers zulasten des Minderheitsgesellschafters ausfällt. Deutlich hervor geht die Wertung aus den Gesetzesmaterialien zum ÜbRÄG 2006, wonach das Eigentumsrecht des Minderheitsgesellschafters dem Interesse des Hauptgesellschafters sowie dem öffentlichen Interesse an der Schaffung wettbewerbsfähiger und reaktionsschneller Unternehmens- und Kontrollstrukturen weiche. Bei der Urteilswirkung der Anfechtungsklagen gegen Umgründungsbeschlüsse tritt ein weiteres Argument hinzu, das den Eigentumsschutz des Minderheitsgesellschafters im Rahmen einer Interessenabwägung aushebelt: Der Vertrauensschutz der Gläubiger der an einem Umgründungsvorgang beteiligten Gesellschaften sowie der generelle Schutz des Rechtsverkehrs.
Fraglich ist jedoch ob diese Wertung des Gesetzgebers absolut wirkt. Der OGH lässt im vorliegenden Fall ausdrücklich offen, ob der Bestandschutz auch dann greift, wenn der Umgründungsbeschluss auf einer strafbaren Handlung beruht. Ob die Einschränkung des Bestandschutzes auch auf andere Fälle anzuwenden ist, bei denen besonders gravierende Mängel vorliegen, ist nicht geklärt. Insbesondere unklar ist, ob der Bestandschutz sich, wie von einem Teil der Lehre vertreten, auch auf eine verbotene Einlagenrückgewähr erstreckt. Gegen die Einschränkung des Bestandschutzes spricht die praktische Durchführung der Rückgängigmachung einer Umgründung – gleich ob im Wege einer Spaltung oder als ex nunc Entschmelzung. Zum einen würde sich die Rückübertragung der Vermögensgegenstände in praxi schwer gestalten zum anderen hätte die Entschmelzung jedenfalls einen negativen Einfluss auf den Rechtsverkehr, der durch den Bestandschutz gerade geschützt werden soll. Um den Zweck des Bestandschutzes nicht zu konterkarieren, erscheint daher eine möglichst restriktive Handhabung der Ausnahmefälle überzeugend. Im Hinblick auf den Telos ist auch die vom OGH vorgenommene über den Wortlaut des § 230 AktG hinausgehende Anwendung des Bestandschutzes konsequent. Es wäre nicht überzeugend, wenn zwar die Anfechtung des Umgründungsbeschlusses den Rechtsverkehr nicht tangiere, jedoch die eines vorgelagerten Beschlusses, der für die Vorbereitung der Umgründung wesentlich ist, zu einer Rückgängigmachung der Umgründung und in weiterer Folge zu Rechtsunsicherheit führen würde.
Nicht vom OGH in der Entscheidung behandelt wird, dass trotz des Bestandschutzes im Gesetz ebenso Instrumente zum Schutz des Minderheitsgesellschafters geregelt sind. Diese sind jedoch zeitlich vorgelagert und greifen in der Zeit, in der das schutzwürdige Vertrauen des Rechtverkehrs auf eine im Firmenbuch eingetragene Umgründung noch nicht entstanden ist. So ist Firmenbuch aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes verpflichtet, vor Eintragung der Verschmelzung die Eintragungsvoraussetzungen sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht zu prüfen. Darüber hinaus spricht der OGH ausdrücklich aus, dass aus § 230 Abs 2 AktG keine Heilung der Beschlussmängel abgeleitet werden könne, vielmehr seien diese im Wege des Schadenersatzrechtes geltendzumachen. An dieser Stelle versucht der Gesetzgeber den Eigentumseingriff durch ein prozessrechtliches Zugeständnis abzumildern. So gestattet § 230 Abs 2 S 2 AktG dem ausgeschlossenen Gesellschafter das auf Anfechtung oder Feststellung der Nichtigkeit des Verschmelzungsbeschlusses gerichtete Begehren auf Schadenersatz umzustellen oder auf Ersatz der Prozesskosten einzuschränken ohne die grundsätzlich nach § 235 ZPO vorgesehene Zustimmung des Gegners. Hinter dieser erleichterten Klagsänderung steht der Gedanke, dass vorliegend – abweichend vom üblichen Anwendungsfall des § 235 ZPO – eine verstärkte Schutzwürdigkeit des Klägers gegeben ist, die diese systematische Erleichterung rechtfertigt. In der Natur der Sache liegt auch, dass obgleich nicht ausdrücklich vom OGH ausgesprochen, im Fall der Geltendmachung des Schadenersatzanspruches eine Naturalrestitution ausgeschlossen ist, zumal diese unzweifelhaft dem Telos des § 230 Abs 2 AktG zuwiderlaufen würde.
6. Rechtspolitische Perspektive
In der vorliegenden Entscheidung setzte sich der OGH erstmals mit dem Bestandschutz bei Umwandlungen auseinander und erhöhte durch seine Ausführungen einerseits die Rechtssicherheit. Andererseits wurde durch die Ausweitung des Bestandschutzes auf vorbereitende Beschlüsse sowie mit Nichtigkeit behaftete Beschlüsse eine praxisfreundliche Ausgestaltung des Bestandschutzrechtes geschaffen. Im Hinblick auf die in der Literatur bestehende Uneinigkeit darüber, ob und falls ja, welche Ausnahmen vom Bestandschutz existieren, konnte der OGH jedoch keine Abhilfe schaffen.
7. Über die Autoren
Obgenannte Glosse stammt aus der Feder von Hevidar Mahmud, einer juristischen Mitarbeiterin der Schmelz Rechtsanwälte OG. Die vorgenannte Sozietät begleitet Unternehmer von der Gesellschaftsgründung über die Errichtung von Vertragswerken, arbeitsrechtlichen und urheberrechtlichen Beratung bis hin zur Vertretung vor Zivil- oder Strafgerichten.
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