§ 129 BetrVG – Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie
(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen.
(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.
(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.
(4) Die Sonderregelungen nach den Absätzen 1 bis 3 treten mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.
(Hervorhebung vom Verfasser)
Anmerkungen
– Die Regelung ist vom 1.3.2020 (Rückwirkung) bis zum 31.12.2020 befristet. Entscheidend für den zeitlichen Anwendungsbereich der Bestimmung ist der Sitzungszeitpunkt, nicht der Zeitpunkt der Einladung.
– Nicht ausdrücklich erwähnt sind Ausschusssitzungen. § 129 Abs. 2 und 3 betrifft die Einigungsstelle und Wirtschaftsausschuss, deshalb muss das auch für andere Ausschüsse gelten.
– Betriebsratssitzungen können auch weiterhin in der bisherigen Form als „Anwesenheitssitzung“ durchgeführt werden (§ 129 Abs. 1 S.1: „…können … erfolgen…“). Das entscheidet die (der) Betriebsratsvorsitzende. Denkbar sind auch Betriebsratssitzungen, bei denen ein Teil der Betriebsratsmitglieder vor Ort anwesend und ein anderer Teil „zugeschaltet“ ist, insbesondere weil eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln angesichts der Infektionsgefahren mit dem Corona-Virus nicht zumutbar ist. Auch eine solche Sitzung ist eine Sitzung „im Rahmen“ einer Telefon- oder Videokonferenz. Dies ergibt sich ausdrücklich aus der Gesetzesbegründung.
– Sitzungen und Beschlussfassungen der betriebsverfassungsrechtlichen Gremien dürfen nur dann mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Das darf nicht zu eng ausgelegt werden, weil Video-Chat-Programme (wie jede andere Software auch) „gehackt“ werden können. Die bloße Möglichkeit des Mithörens Dritter schließt eine Sitzung in Telefon- oder Videokonferenz nicht aus. Es reicht deshalb aus, wenn Betriebsratsvorsitzende(r) und Betriebsratsmitglieder alle ihnen zur Verfügung stehenden technischen und organisatorischen Möglichkeiten nutzen, damit Dritte von einer Sitzung – von einem Missbrauch abgesehen – keine Kenntnis nehmen können. Eine Telefon- oder Videokonferenz darf daher zum einen nur unter Verwendung von geprüften Programmen, die den allgemein anerkannten Sicherheitsstandards entsprechen, durchgeführt werden. Darüber hinaus dürfen die teilnehmenden Betriebsratsmitglieder die Durchführung der Telefon- oder Videokonferenz nur in „gesicherter“ Umgebung (ohne potentielle Zuhörer) abhalten und müssen auf Nachfrage der anderen Betriebsratsmitglieder zur Anwesenheit betriebsratsfremder Personen wahrheitsgemäß antworten. Es empfiehlt sich, mit der Teilnahme zugleich bestätigen zu lassen, dass während der Durchführung der Sitzung keine unberechtigten Personen im Raum waren.
– Nach § 34 Abs. 1 S.3 ist dem Sitzungsprotokoll (der Betriebsratssitzung) eine Anwesenheitsliste beizufügen, in die sich jeder Teilnehmer eigenhändig einzutragen hat. Da dies im Rahmen von Telefon- und Videokonferenzen nicht möglich ist, ist die Anwesenheit nach § 129 Abs. 1 S. 3 gegenüber der (dem) Betriebsratsvorsitzenden in Textform zu bestätigen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auf „Schriftform“ verzichtet, die Bestätigung kann also auch per E-Mail oder WhatsApp oder SMS erfolgen.
– Eine ausführliche Kommentierung des § 129 BetrVG bietet der Bund Verlag zum Download an: https://www.bund-verlag.de/dossiers/betrvg129-covid-19#
– Der Bundesrat wird erst am 15.05.2020 über die Änderung des BetrVG durch den neuen § 129 entscheiden. Abweichungen vom vorliegenden Text sind nicht zu erwarten. Infolge der Rückwirkung zum 01.03.2020 dürften für einen BR keine Probleme auftauchen. Vorsichtshalber könnten Betriebsräte mit dem Arbeitgeber eine Regelung vereinbaren, wonach dieser sich verpflichtet, BR-Beschlüsse in den Zeiten der Coronakrise nicht wegen möglicher Unwirksamkeit anzufechten.
Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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