ARAG Rechtsexperte Tobias Klingelhöfer zur Lärmbelästigung unter Nachbarn
Der Mensch ist unentwegt tausenden Geräuschen ausgesetzt und das 24 Stunden am Tag. Zu Zeiten der Fußball-EM wird es nicht ruhiger. Wer will es den Nachbarn auch verdenken, wenn sie lauthals mitfiebern, Tore bejubeln und Siege feiern. Dass der Einzelne da das Bedürfnis verspürt, einmal abzuschalten ist nicht nur verständlich, sondern dient auch der Gesundheit. Dauerhafte Beschallung macht krank. Daher ist es besonders ärgerlich, wenn der Lärm nicht einmal vor dem eigenen Zuhause halt macht. ARAG Rechtsexperte Tobias Klingelhöfer beantwortet wichtige Fragen dazu, was an Krach zumutbar ist und wo der Spaß aufhört.
Herr Klingelhöfer, welche Regeln herrschen in Mehrfamilienhäusern?
RA Tobias Klingelhöfer: Generell sollte für ein gepflegtes Miteinander gerade in Mehrfamilienhäusern darauf geachtet werden, dass zwischen 22 Uhr und 6 oder 7 Uhr sowie mittags zwischen 13 und 15 Uhr Zimmerlautstärke herrscht. Das bedeutet, dass Geräusche außerhalb der Wohnung nicht mehr wahrnehmbar sein sollten. Diese Lautstärke kann demnach je nach Wohnsituation, Bodenbelag oder Dämmung individuell variieren, ist aber trotzdem gut einschätzbar. Zudem dürfen Geräte wie Rasenmäher oder Heckenscheren an Sonn- und Feiertagen gar nicht und an den restlichen – je nach Gerätetyp – nur von 7 bis 20 Uhr in Betrieb genommen werden.
Bedeutet das, man muss seinem Hund beibringen, nur werktags zwischen 7 und 22 Uhr zu bellen?
RA Tobias Klingelhöfer: Das wäre ratsam. Zum Beispiel urteilte das Landgericht Mainz (Az.: 6 S 87/94), dass ein Hundehalter sicherzustellen hat, dass die Nachbarn zwischen 22 Uhr abends und sieben Uhr morgens sowie zwischen 13 und 15 Uhr nicht durch übermäßiges Hundegebell gestört werden. Die Frage, wie Hundehalter ihren vierbeinigen Lieblingen die Uhr beibringen, ließen die Richter allerdings offen. Aber im Ernst: Dauerkläffer in der Nachbarwohnung sind unter Umständen eine solche Belastung, dass die Amtsgerichte Rheine (Az.: 14 C 731/97), Hamburg (Az.: 49 C 165/05) und Potsdam (Az.: 26 C 76/00) unisono entschieden haben, in besonders schlimmen Fällen sei sogar eine Mietminderung wegen Hundegebell aus der Nachbarwohnung vertretbar. Aber auch die Vermieter sind den Unruhestiftern nicht schutzlos ausgeliefert. Ist der Hundehalter uneinsichtig oder gelingt es ihm nicht, seinem Vierbeiner Manieren beizubringen, hat der Vermieter die Möglichkeit, den Kläffer samt Herrchen kurzfristig vor die Tür zu setzen.
Gilt das für alle Haustiere? Das Gepiepse eines Wellensittichs entspricht doch Zimmerlautstärke, oder?
RA Tobias Klingelhöfer: Das mag für Wellensittiche gelten. Die größeren Verwandten machen hingegen mit einer Pfeif-Lautstärke von 100 Dezibel (db) fast genauso einen Lärm wie ein Presslufthammer (110 db) oder ein Düsenflugzeug (130 db). Im konkreten Fall war der Stein des Anstoßes ein 19 Jahre alter Graupapagei, der seit 18 Jahren in einer reinen Wohngegend gehalten wurde. Jedes Mal, wenn sein Frauchen die Wohnung verließ, stimmte das Tier ein schrilles Pfeifkonzert an, teilweise über einen Zeitraum von zwei Stunden. Die Nachbarin bekam regelmäßig Kopfschmerzen von dem unangenehmen Vogelgesang und klagte. Die Richter attestierten dem gefiederten Schreihals einen Verstoß gegen das nordrhein-westfälische Immissionsschutzgesetz (LImSchG NRW) und fällten das Urteil: Der Papagei muss, jedenfalls in dieser Wohnung, den Schnabel halten. Entweder Frauchen nimmt ihn mit oder er muss mitsamt seinem Vogelkäfig ganz umziehen (OLG Düsseldorf, Az.: 5Ss 476/89 – 198/99).
Was ist mit Klavier, Geige und Co?
RA Tobias Klingelhöfer: Die verschiedenen Musikinstrumente haben unterschiedliche Lärmpegel! Das findet in der Rechtsprechung seinen Niederschlag, besonders in den zugestandenen Übungszeiten. So musste ein jugendlicher Schlagzeuger – dessen Schlagzeug die Zimmerlautstärke deutlich überschritt – seine Übungspraktiken ändern, als ein Physiotherapeut neu ins Haus einzog. Der neue Nachbar setzte gerichtlich durch, dass er künftig nur noch 30 Minuten täglich und nur noch von montags bis samstags zwischen 16.00 und 19.00 Uhr üben durfte (LG München I, Az. 15 S 76/29/13). Auch bei Klavierspielern urteilten die Gerichte unterschiedlich. Das Bayerische Oberlandesgericht erklärte drei Stunden Übungszeit am Tag für angemessen (Az. 2 ZBR 55/95), während das Oberlandesgericht Frankfurt zwei zusammen wohnende Klavierspieler zwang, sich eine tägliche Übungszeit von zwei Stunden zu teilen (Az. 20 W190/84). Die Richter am Landgericht Frankfurt/Oder hingegen billigten wiederum einer Musikerin drei Stunden Klavierspielen pro Tag zu, an Feiertagen sogar fünf Stunden (Az. 2/25 O 359/89).
Und wenn Haushaltsgeräte Krach machen?
RA Tobias Klingelhöfer: Geräusche von Haushaltsgeräten, wie Staubsauger oder Wasch- und Spülmaschinen, die ein Mitmieter „unter Berücksichtigung der gebotenen Rücksichtnahme“ nutzt, stellen keinen Mietmangel dar und müssen von den Nachbarn hingenommen werden (AG Mönchengladbach-Rheydt, Az.: 20 C 363/93). „Unter Berücksichtigung der gebotenen Rücksichtnahme“ heißt in diesem Fall klar, vor 22 Uhr. Danach gelten wiederum andere Regeln.
Aber einmal im Jahr hat jeder Mieter doch das Recht auf eine ausgelassene Party?
RA Tobias Klingelhöfer: Das sind Stammtischweisheiten! Gleiche Aussagen gibt es mit: dreimal pro Jahr oder gar einmal im Monat. Alles falsch: Partys dürfen theoretisch so oft gefeiert werden wie gewünscht, jedoch unter Einhaltung der Zimmerlautstärke ab 22 Uhr. Das bedeutet Stereoanlage leiser drehen, Stimmen dämpfen und am besten Fenster schließen. Möchte man einmal über die Stränge schlagen, sollten die Nachbarn dieser Feier zustimmen oder direkt mitfeiern.
Gibt es keine Ausnahmen?
RA Tobias Klingelhöfer: Eine Art Ausnahme von dieser Regel gibt es natürlich auch, selbst wenn sie gesetzlich nicht fixiert ist: Silvester. In dieser Nacht wird davon ausgegangen, dass nahezu jeder noch nach 22 Uhr wach ist.
Bedeutet das für Fußballfans, dass die EM-Final-Party im Garten auch um 22 Uhr enden muss?
RA Tobias Klingelhöfer: Streng genommen ja! Das bekamen auch Fußballfans in Berlin bei der letzten Weltmeisterschaft 2014 zu spüren, die jedes Spiel der deutschen Nationalelf auf Balkon und Terrasse lautstark begleiteten. Um das Fußball-Gegröle nach 22.00 Uhr zu verhindern, erwirkte eine Nachbarin per Einstweiliger Verfügung im Eilverfahren die Vorgabe, dass die Ruhestörer künftig mit Beginn der Nachtruhe nur noch bei geschlossenen Fenstern und Terrassentüren die Spiele verfolgen durften. Bei Zuwiderhandlungen drohte das Amtsgericht Neukölln ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro oder Ordnungshaft an (AG Neukölln, Az.: 17 C 1004/14).
Aber was ist, wenn Nachbarn besonders geräuschempfindlich sind und schon das Duschen am Abend oder die nächtliche Toilettenspülung sie stört?
RA Tobias Klingelhöfer: Das sind Geräuschquellen, die Nachbarn regelmäßig aneinander geraten lassen. Wer sich von so etwas belästigt fühlt, sollte sich aber ein dickeres Fell zulegen. Denn diese Art von Lärm gehört zum Leben dazu und ist hinzunehmen. Wenn sich eine Mietpartei jedoch arg dadurch gestört fühlt, sollte sie den Kontakt zum Vermieter suchen. Gegebenenfalls lässt sich am Schallschutz etwas ändern. Ebenso verhält es sich bei sehr lauten Gehgeräuschen. Erst wenn die Trittschallwerte aus der DIN-Norm 4109 überschritten werden, kann gegen Stampfen aus der Nachbarwohnung vorgegangen werden. Oder, wenn es wirklich unverhältnismäßig ist: So gaben Hamburger Richter einer Dame Recht, die sich durch ihre High-Heels tragende Nachbarin gestört fühlte (LG Hamburg, Az.: 316 S 14/09). Es sei zumutbar, solche Schuhe an der Wohnungstür auszuziehen, da weder Fliesen noch Laminat deren Tritte ausreichend dämpften.
Und wenn alles nicht hilft, bleibt nur noch mit dem Besenstiel gegen die Decke zu klopfen?
RA Tobias Klingelhöfer: Das ist nach wie vor ein beliebtes Mittel. Rechtlich einwandfrei ist das allerdings nicht: Dem Betroffenen einer Lärmstörung steht kein Recht auf eine eigene Lärmstörung zu. Verbotener Eigenmacht dürfe nicht mit verbotener Eigenmacht begegnet werden, fanden darum auch die Richter in einem beispielhaften Fall (AG Hamburg, Az.: 47 C 1789/95).
Wenn die Nachbarn laut sind und bleiben, hilft also nur eine Mietminderung?
RA Tobias Klingelhöfer: Im Sinne des häuslichen Friedens ist es sicherlich angebracht, den Unruhestifter zunächst freundlich auf sein Fehlverhalten hinzuweisen, bevor rechtliche Mittel zum Zuge kommen. Tritt jedoch keine Besserung ein, ist es möglich, die Miete zu mindern. Ich rate jedoch davon ab, dies ohne vorherige Rechtsberatung zu tun. Denn nur Fachleute können beurteilen, ob überhaupt und in welcher Höhe Geld einbehalten werden kann. Voraussetzung zur Mietminderung ist zudem ein Lärmprotokoll. Dies sollte über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen geführt sein, bevor die Miete gemindert wird und vor allem auch in Zeiten der Minderung weitergeführt werden. Nur so ist die weiterhin stattfindende Belästigung auch nachweisbar und die Kürzung rechtens.
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