Autor: RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht
in der Kanzlei Bell & Windirsch, Düsseldorf
Ist bei einer Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin aufgrund von ihr vorgetragenen Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach § 22 AGG zu vermuten und gelingt es dem Arbeitgeber nicht, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Juli 2015 – 6 AZR 457/14 –
(Pressemitteilung Nr. 37/15)
Die im Januar 1950 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit Dezember 1991 als Arzthelferin beschäftigt. In der Praxis waren im Jahr 2013 noch vier jüngere Arbeitnehmerinnen tätig. Die Klägerin war zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Die Gesellschafter der Beklagten kündigten ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Mai 2013 zum 31. Dezember 2013 wegen Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei führten sie an, die Klägerin sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht gekündigt. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten. Nach Darstellung der Beklagten sollte die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70% bis 80% der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Kündigung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zusteht, kann noch nicht festgestellt werden. Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
§ 1 AGG (Ziel des Gesetzes)
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Fazit:
Mit dieser Entscheidung stärkt das Bundesarbeitsgericht (BAG) sowohl die Rechte älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (AN) als auch solcher in Kleinbetrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) wegen zu geringer Beschäftigtenzahlen nicht zur Anwendung kommt.
Gleichzeitig bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung, wonach das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch bei Kündigungen zur Anwendung kommen kann, und zwar sowohl in Kleinbetrieben als auch in Betrieben unter der Geltung des KSchG. Wir verweisen insoweit auch auf unsere Mandanteninfos September 2014 und März 2013.
Bei allen Kündigungen sind deshalb mögliche Verstöße des Arbeitgebers gegen das AGG zu prüfen. Ist der (die) gekündigte AN der älteste? Der einzige mit Migrationshintergrund („ethnische Herkunft“) oder der einzige Moslem (oder Anhänger einer anderen Religion) („Religion“) oder als einziger offen homosexuell ist („sexuelle Identität“). Bei allen Kündigungen sollte deshalb automatisch neben den üblichen Frage (Kündigungsgrund, Sozialauswahl usw.) auch ein möglicher Verstoß gegen das AGG geprüft werden.
Autor und zuständig für Rückfragen: RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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