Verfasserin: Rechtsanwältin Ingrid Heinlein, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf
Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf
§ 3 ArbZG gilt auch bei Betriebsratstätigkeit
1.Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG.
2.Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2
BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung
3.Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist regelmäßig anzunehmen, wenn ansonsten bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werden würde.
LAG Niedersachsen, Beschluss vom 20.04.2015 – 12 TaBV 76/14
In dem Betrieb wird in Schichtarbeit gearbeitet. Es gibt zwei Frühschichten und eine Spätschicht, die um 11:05 Uhr beginnt und um 20:15 Uhr endet. Der Betriebsrat führt regelmäßig donnerstags von 8:00 bis 15:00 Uhr seine Sitzungen durch. Ursprünglich gewährte der Arbeitgeber den für die Spätschicht eingeteilten Betriebsratsmitgliedern Freizeitausgleich (FZA) für die Teilnahme an der Betriebsratssitzung am selben Tag.
Anfang 2014 kündigte die Betriebsleiterin an, diese Praxis ändern zu wollen. Entsprechend verfuhr sie am 27.08.2014, einem Tag, an dem vormittags ab 8:00 Uhr eine Betriebsratssitzung stattfand. Im Schichtplan für diesen Tag war ein Betriebsratsmitglied für die Spätschicht eingeteilt. Hinzugefügt war ein Vermerk: „kein FZA am selben Tag!“. Das Betriebsratsmitglied, das an der Betriebsratssitzung teilnahm, nahm weisungsgemäß nach dem Ende der Sitzung die Arbeit auf, arbeitete allerdings nur bis 17:36 Uhr. In einem daraufhin vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren machte dieser geltend, Zeiten der Betriebsratssitzung und der am selben Tag erfolgten Arbeitsleistung müssten bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG zusammengerechnet werden.
Der Antrag hatte vor dem Arbeitsgericht und dem LAG keinen Erfolg. Ausschlaggebend für die Zurückweisung der Beschwerde des Betriebsrats durch das LAG war, dass dieses für den Regelfall zwar davon ausgeht, dass Zeiten der Betriebsratstätigkeit und Arbeitsleistung zusammenzurechnen sind, nach seiner Auffassung aber auch Fallgestaltungen möglich sind, in denen etwas anderes gelten kann (Stichwort: unbegründeter Globalantrag). Der Betriebsrat hat gegen den Beschluss Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt.
Wenn Zeiten der Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG sind, müssen diese Zeiten im Rahmen der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes berücksichtigt werden. Die Frage stellt sich – wie im Ausgangsfall – vor allem, wenn Betriebsratsmitglieder außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit durchführen. Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 und 2 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich von Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts, wobei betriebsbedingte Gründe auch vorliegen, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen unterschiedlicher Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann.
Das LAG Niedersachsen ist der Meinung, dass Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG ist und schließt dies zum einen daraus, dass die Mitglieder des Betriebsrats nach § 37 Abs. 1 BetrVG ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt führen, und zum anderen müsse der Arbeitgeber dann auch die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes gegenüber dem Betriebsrat durchsetzen. Damit würde er aber in die Unabhängigkeit des Betriebsrats bei seiner Amtsführung eingreifen. Vorzugswürdig sei daher eine mittelbare Geltung der Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes im Rahmen der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung des Betriebsratsratsmitglieds nach § 37 Abs. 2 BetrVG.
Das Betriebsratsmitglied müsse freigestellt werden, wenn ihm eine Arbeitsleistung unzumutbar sei. Im Regelfall sei dies der Fall, wenn bei Zusammenrechnung der Zeit der Betriebsratstätigkeit und der persönlichen Arbeitszeit die Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werde. Es seien aber auch Situationen denkbar, in denen eine kurzfristige Überschreitung der Höchstarbeitszeit zumutbar sei, z.B. bei geringer Intensität der Betriebsratsarbeit oder wenn ein Personalengpass aufgrund eines unerwartet hohen Krankenstandes vorliege.
Fazit:
Die Entscheidung ist nicht frei von Unstimmigkeiten und Widersprüchen. Es trifft zwar zu, dass das Betriebsratsamt nach § 37 Abs. 1 BetrVG ein Ehrenamt ist. Daraus folgt jedoch lediglich, dass Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne der Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes ist. Eine Aussage darüber, ob die Schutzvorschriften des Arbeitszeitzeitgesetzes auf Betriebsratsarbeit Anwendung finden, enthält § 37 BetrVG nicht. Die auch vom LAG Niedersachsen befürwortete Berücksichtigung von Betriebsratstätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Höchstarbeitszeit beruht – zu Recht – darauf, dass Betriebsratstätigkeit Arbeit ist und auch die Gesundheit von Betriebsratsmitgliedern durch Höchstarbeitszeiten geschützt werden muss. Warum das LAG dann aber – anders als bei Arbeitnehmern, die nicht Betriebsratsmitglieder sind – bei Betriebsratsmitgliedern Ausnahmen gestattet, leuchtet nicht ein. Problematisch ist auch, wie das Betriebsratsmitglied seinen Freistellungsanspruch durchsetzen kann, wenn die Arbeitsleistung unzumutbar ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Arbeitnehmer die Arbeit verweigern darf, wenn die gesetzliche Höchstarbeitszeit überschritten wird. Ob sich das Betriebsratsmitglied selbst Freizeitausgleich bei Überschreitung der Höchstarbeitszeit nehmen darf, ist in der Rechtsprechung ungeklärt. In der vom LAG angeführten Entscheidung vom 07.06.1989 hat das BAG die „eigenmächtige“ Freizeitnahme des Betriebsratsmitglieds lediglich in einem Sonderfall gebilligt, in dem alle anderen Arbeitnehmer ihre schichtfreien Tage nach Belieben nehmen konnten. Ein effektiver Schutz des Betriebsratsmitglieds vor gesundheitlicher Überlastung kann jedenfalls nur gewährleistet werden, wenn ihm auch ein Recht auf Arbeitsverweigerung bei Überschreitung der Höchstarbeitszeit zugebilligt wird.
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