Schläuche gehörten bislang zum Fahrrad, wie Lenker, Sattel oder Kettenöl. Auch das Flicken hat jeder gelernt, der schon mal kilometerweit nach Hause schieben musste. Doch das alles ist im Begriff, sich grundlegend zu ändern: Tubeless heißt die Technologie, die komplett auf den Schlauch im Reifen (engl. „inner tube“) verzichtet. Am Mountainbike längst etabliert, springt der Funke nun aufs Rennrad über und könnte bald auch am Alltagsrad für Leichtlauf und Pannenschutz sorgen. Der pressedienst-fahrrad führt in die Schlauchlostechnik ein.
[pd-f/ht] Es ist der Wunsch vieler Radfahrer: Nie wieder einen Fahrradschlauch wechseln oder flicken. Schlauchlos fahren, nur mit dem Reifen auf der Felge, ist für Kraftfahrer längst Standard, für Radler dagegen noch eher die Ausnahme. Lediglich Radsportler profitieren schon von der Technik. „Tubeless-Reifen können mit geringerem Druck gefahren werden, da die Gefahr eines Durchschlags mit anschließendem Plattfuß deutlich geringer ist“, kommentiert Stefan Scheitz, dessen Firma Sport Import Schlauchlosfelgen und Zubehör der US-Marke Stan“s No Tubes vertreibt. Zur Erinnerung: Von einem Durchschlag sprechen Biker, wenn der Reifen beim Überfahren eines Hindernisses durch (zu) geringen Luftdruck kurzfristig so stark komprimiert wird, dass die Reifenflanken zwischen Untergrund und Felgenkante eingeklemmt werden. Oft wird dabei der Schlauch beschädigt, erkennbar an zwei symmetrisch angeordneten Löchern („Snakebite“). „Weniger Luftdruck im Reifen bringt spürbare Vorteile im Komfort, aber auch deutlich mehr Traktion und Kontrolle auf schlechten Strecken, weswegen sich Tubeless beim Mountainbike bereits auf breiter Front durchgesetzt hat“, so Scheitz.
Sicherheit als Nebeneffekt
„Die größere Pannensicherheit ist sicher einer der großen Vorteile von Tubeless-Systemen“, erklärt Markus Hachmeyer vom Reifenhersteller Schwalbe. „Zwar kann auch ein Schlauchlosreifen punktiert werden, doch eine Dichtflüssigkeit wie unser ,DocBlue“ (ab 7,90 Euro/60 ml), die zum System dazugehört, dichtet Löcher bis zu einer bestimmten Größe binnen Zehntelsekunden wieder ab.“ Und wenn die Luft doch entweicht, dann nicht schlagartig wie bei einem geplatzten Schlauch, sondern langsam. „Handelt es sich um einen größeren Riss, geht man wie bei einem normalen Reifen vor: einfach den Tubeless-Ventileinsatz rausschrauben und einen Schlauch einziehen.“
Doch im Grunde sei der Pannenschutz nur ein Nebeneffekt, so der Reifenexperte: „Durch den Verzicht auf den Schlauch ist beim Rennrad der Rollwiderstand äußerst gering, sogar noch niedriger als bei superleichten Wettkampfreifen, während sich beim Mountainbike durch einen niedrigeren Reifendruck der Grip verbessern lässt.“
Vom Gelände auf die Straße
Während Mountainbike-Reifen wegen des ruppigen Untergrundes öfter mal einen Defekt erleiden, müssen Rennradfahrer seltener zum Ersatzschlauch greifen. Dennoch wird in diesem Segment ebenfalls zunehmend auf den Schlauch verzichtet, wie Hachmeyer berichtet: „Auch auf der Straße bietet Tubeless-Bereifung klare Vorteile hinsichtlich Schnelligkeit, Komfort, Grip und Pannensicherheit. Letzteres gab übrigens erst den Anlass für die Adaption der Technik auf die Straßenbereifung.“ Gerade bei langen Abfahrten im Gebirge habe es laut Hachmeyer in den letzten Jahren vermehrt Reifenplatzer gegeben. Das Problem: Die modernen, leichten Carbonfelgen weisen eine schlechtere Wärmeabfuhr auf als Aluminiumfelgen. Wenn ein vorsichtiger Abfahrer dann die Bremse schleifen lässt, kann die entstehende Reibungshitze nicht nur die Felge beschädigen, sondern auch den Schlauch zum Platzen bringen.
Das Ergebnis der langen Entwicklungsarbeit des Fahrradreifenherstellers ist der Schwalbe „One Tubeless“ (64,90 Euro). Sein Gewicht ist zwar minimal höher als das einer hochwertigen Reifen-Schlauch-Kombination, der geringere Rollwiderstand sowie der Sicherheitsgewinn machen dieses Manko laut Hachmeyer jedoch mehr als wett. „Auch ein plötzlicher Ventilabriss, wie er vor allem bei schlecht aufgeklebten, ,wandernden“ Schlauchreifen vorkommen kann, ist bei Tubeless-Systemen ausgeschlossen“, ergänzt Experte Scheitz.
Beweis auf rauem Untergrund
Dass sich Schlauchlosreifen am Rennrad gerade bei extremen Einsatzbedingen bewähren, weiß der Radsportjournalist Caspar Gebel von seinen Ausflügen aufs berüchtigte Kopfsteinpflaster von Paris-Roubaix. „Im ersten Jahr fuhren alle aus unserer Gruppe Rennräder, die vom Hersteller mit Tubelessreifen ausgestattet waren“, erinnert sich Gebel. Bei über 20 Leuten und 150 km Strecke sei ein einziger Defekt zu verzeichnen gewesen – ein Seitenwandschaden durch einen kantigen Pflasterstein, so der Rennradexperte. „Im nächsten Jahr wollte der Hersteller den Montageaufwand gering halten, und alle fuhren normale 25er-Faltreifen. Am Ende gab es in der Gruppe über 15 Plattfüße; ein Fahrer hatte alleine vier Defekte und musste fremde Radsportler um Schläuche anschnorren.“
Unkomplizierte Umrüstung
Auch vor diesem Hintergrund klingt die Schlauchlostechnologie vielversprechend – und der Aufwand, Tubeless auszuprobieren, ist gar nicht mal so groß. „Zwar bieten inzwischen etliche Laufradhersteller Tubeless-ready-Laufradsätze an, doch mit den ,Conversion kits“ von Stan“s No Tubes (ab 69,95 Euro) ist das Umrüsten preiswerter und einfacher“, so Stefan Scheitz von Sport Import. Lehrvideos im Internet erklären die nötigen Arbeitsschritte genau. Allerdings sollte man die Freigabe für die Tubeless-Konversion beim Felgenhersteller erfragen, empfiehlt Schwalbe-Techniker Markus Hachmeyer.
Die Montage des Reifens unterscheidet sich kaum von der gewöhnlicher Reifen: „Der Tubeless-Reifen muss luftdicht auf der Felge sitzen, also recht stramm. Bei der Montage kommt daher eine Spezialflüssigkeit zum Einsatz, die den Pneu übers Felgenhorn gleiten lässt“, erklärt Hachmeyer. Nachdem man den Reifen ein erstes Mal aufgepumpt hat, so dass er fest in der Felge einrastet, wird die Luft wieder abgelassen und übers Ventil etwas Dichtmilch in den Reifen gegeben. Danach kann man ihn bis zum gewünschten Druck mit Luft befüllen. Das Aufpumpen gestaltet sich unter Umständen etwas schwieriger bzw. erfordert das richtige Equipment: „Unserer Erfahrung nach empfiehlt es sich, Schlauchlosreifen schlagartig mit Luft zu befüllen“, erklärt Dieter Schreiber vom Radsportgroßhandel Grofa. Am besten ginge das mit einem Kompressor oder aber mit einer Standpumpe, so Schreiber: „Diese sollte mit jedem Hub eine große Luftmenge bewegen.“ Geeignet ist etwa die Blackburn „AirTower 4“ (74,95 Euro) mit einem Hubvolumen von 355 cm³.
Procore: Das Beste zweier Welten
Beim Mountainbike geht der Trend zu immer breiteren Reifen mit immer weniger Druck, doch mit normalen Pneus sind dieser Entwicklung Grenzen gesetzt, denn die Defektgefahr steigt mit sinkendem Luftdruck. In Kooperation mit dem Komponenten- und Laufradhersteller Syntace hat Schwalbe ein wegweisendes Prinzip entwickelt, das einen Ausweg aus dieser Problematik bietet: Beim „Procore“-Doppelkammersystem (179 Euro/Set) wird in einen beliebigen Tubeless-Reifen (nur bestimmte Abmessungen von Reifen und Felge müssen beachtet werden) ein schmaler Hochdruck-Innenreifen mit Spezialschlauch eingelegt. Dieser wird mit vier bis sechs bar befüllt und schützt die Felge vor Durchschlägen; die große äußere Kammer wiederum kann mit einem Minimaldruck von 0,8 bar gefahren werden, was Grip und Traktion auf einem bislang ungeahnten Niveau bringt.
Eines der Highlights von Procore ist das Spezialventil, mit dem sich beide Kammern befüllen lassen. Per „Selektor“ kann man auswählen, ob man Luft in die Hochdruckkammer oder in die Außenkammer pumpen will.
Empfehlung für den Alltag
Bei Mountainbike und Rennrad ist die Sache also klar – doch wie steht“s mit dem Alltagsrad? „Unseren dank Motorrad-Technologie extrem rollwiderstandsarmen ,Marathon Almotion“ bieten wir auch in einer Tubeless-Variante (69,90 Euro) an“, sagt Markus Hachmeyer von Schwalbe. Das Handling bei der Montage mit Dichtmilch und Standpumpe sowie das regelmäßige Erneuern der Flüssigkeit ist noch nicht jedermanns Sache. „Doch was Mountainbiker gelernt haben, lernen Alltagsradler auch irgendwann“, gibt Hachmeyer augenzwinkernd zu Protokoll. Und überhaupt – seine Kollegen Carsten Zahn vom Marketing und Produktmanager Peter Krischio haben die Schwalbe One-Rennradreifen einem ultimativen Härtetest unterzogen. „Sie fuhren 2.000 Kilometer von Kayseri in der Türkei bis nach Teheran, jeden Tag fast 200 Kilometer. Mit bis zu 100 Kilo auf dem Rad. Durch die Berge mit Pässen bis 2.800 Meter, vielen Abfahrten, tiefen Schlaglöchern und teils wirklich miesen Straßen. All das haben die Reifen – die ja eigentlich Wettkampfreifen sind – ohne Panne und in gutem Zustand überstanden.“ Wenn das keine Empfehlung für die Alltagsnutzung der Tubeless-Technologie ist …
Der pressedienst-fahrrad hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem guten Fahrrad und dessen Anwendung mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Denn wir sind der Meinung, dass Radfahren nicht nur Spaß macht und fit hält, sondern noch mehr ist: Radfahren ist aktive, lustvolle Mobilität für Körper und Geist. Kurz: Radfahren ist Lebensqualität, Radfahren ist clever und Radfahren macht Lust auf mehr…
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