Ein verspäteter Zug ist ein Problem. Ein ausgefallener Zug ist eine Lösung. Und ein gestrichener Zug ist – statistisch gesehen – gar nicht existent. Willkommen in der Kafka-Welt der Deutschen Bahn, wo die Realität nicht mehr auf den Gleisen stattfindet, sondern in den Rechenzentren der Kommunikationsabteilungen.
Wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet, zieht die Bahn offenbar systematisch verspätete Verbindungen aus dem Verkehr – oder genauer gesagt aus der Statistik, um ihre offizielle Pünktlichkeitsquote zu schönen. Besonders perfide: Ein Zug, der zu spät kommt, taucht in der Statistik auf. Ein Zug, der gar nicht fährt, nicht. Und so wird aus einem Ärgernis für Kunden ein glänzender Wert für die Boni der Vorstände.
Der Verdacht ist nicht neu, aber jetzt wird es konkret. Laut Spiegel wurde der ICE 616 von München nach Hamburg am 16. September gestrichen. Offiziell wegen „kurzfristigen Personalausfalls“. Interne Chatnachrichten legen jedoch nahe: Der Zug war so verspätet, dass seine Ankunft die Statistik ruiniert hätte. Also ließ man ihn lieber gar nicht erst fahren. Ein Problem weniger – zumindest auf dem Papier.
Wer jetzt denkt, das sei ein Einzelfall, sollte sich die Zahlen anschauen. Laut Bundesnetzagentur sind 2023 über zehn Prozent aller Züge ganz oder teilweise ausgefallen. Zehn Prozent. In einem Land, das sich immer noch für eine Verkehrsnation hält. Für ein Land der Ingenieure. Das früher einmal stolz war auf seine Bahn, deren Pünktlichkeit weltweit als sprichwörtlich galt – auch wenn Jüngere sich das kaum noch vorstellen können.
Doch auch die beste Lok bringt nichts, wenn sie gar nicht erst losfahren darf – weil sie andernfalls als Makel in einer Excel-Tabelle auftaucht. Inzwischen werden sogar Haltestellen einfach ausgelassen, wenn man ohnehin schon zu spät ist. Motto: Lieber das Ende streichen als die Statistik versauen.
Und wofür das alles? Für Zahlen, die am Ende in den Bonusberechnungen der Vorstandsetagen landen. Der Bundesrechnungshof hat genau das schon vor Jahren kritisiert: Die Pünktlichkeitsquote ist ein Kriterium für die Ausschüttung von Extra-Zahlungen. Wie viel sie wiegt, verrät natürlich niemand. Transparenz ist in diesem System so selten wie ein pünktlicher ICE in Stuttgart.
Währenddessen steigen die staatlichen Zuschüsse weiter. 107 Milliarden Euro will die Bundesregierung bis 2029 investieren. Allein 22 Milliarden Euro noch dieses Jahr. Wer glaubt, dass davon wenigstens ein paar Minuten mehr Pünktlichkeit abfallen – irrt. Laut Bundesrechnungshof verpuffen die Milliarden, ohne dass sich die Zuverlässigkeit messbar verbessert.
Stattdessen spricht der Direktor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Gernot Liedtke, von einem „Systemzusammenbruch“. Die Bundesnetzagentur nennt als Hauptursache für Verspätungen nicht etwa kaputte Gleise, sondern „nicht bereitgestellte Zugkompositionen“. Im Klartext: Züge, die gar nicht erst da sind.
Doch statt am System etwas zu ändern, betreibt man Schönfärberei. Nicht die Realität wird verbessert – sondern die Zahl, die sie ersetzen soll. Wer auf der Strecke bleibt, ist nicht der Vorstand. Sondern der Fahrgast.
Was hier sichtbar wird, ist nicht nur ein Verkehrsproblem. Es ist ein (neu-)deutsches Prinzip: Schein statt Sein. Eine Infrastruktur, die nicht mehr funktioniert, wird mit Milliarden zugeschüttet – und danach statistisch geschönt. Statt echter Lösungen: Beruhigungspillen aus dem Statistik-Labor. Statt Reform: kosmetische Manipulation. Potemkinsche Gleise für ein Land, das sich belügt, um nicht umzubauen.
Und wenn das Schule macht?
Dann könnte ein Krankenhaus seine Sterblichkeitsrate senken, indem es alle kritischen Patienten vor der Aufnahme wieder entlässt.
Dann könnte das Bildungssystem seine Notenstatistik verbessern, indem man die Schüler mit den schlechtesten Leistungen einfach gar nicht erst mitschreiben lässt.
Dann könnte die Polizei ihre Aufklärungsquote steigern, indem man besonders schwierige Fälle gar nicht erst aufnimmt.
Oder ein Arbeitsamt könnte die Zahl der Langzeitarbeitslosen senken, indem man sie aus der Statistik streicht.
Falls Ihnen beim Lesen ein ungutes Déjà-vu gekommen ist: Kein Wunder.
Denn manche dieser Beispiele sind längst keine Satire mehr – sondern Realität in Reinform.
Die Schulen senken seit Jahren die Maßstäbe, damit das Leistungsniveau offiziell nicht sinkt.
Die Polizei sorgt mit allerlei Tricks dafür, dass weniger angezeigt wird – etwa, weil viele Menschen ohnehin nicht mehr mit einer Verfolgung rechnen. Das habe ich selbst erlebt – bei einem Fahrraddiebstahl in Berlin.
Und die Bundesagentur für Arbeit betreibt längst ein ganzes Arsenal an Maßnahmetricks, um Erwerbslose aus der Statistik zu zaubern – von Ein-Euro-Jobs über Weiterbildungen bis zu stillschweigenden Umklassifizierungen.
Was offiziell nach Fortschritt aussieht, ist in Wahrheit oft nur die Kunst, das Scheitern unsichtbar zu machen.
Die Bahn ist nur das jüngste Symptom eines Landes, das sich systematisch belügt – und seine Statistik-Attrappen für Fortschritt hält.
Die Bahn zeigt nur, wie’s geht. Der Trick: Nicht besser werden. Sondern das Schlechte einfach verschwinden lassen. Auf dem Papier ist Deutschland dann wieder Weltmeister – im Selbstbetrug.
Diese Art der Selbsttäuschung hat Tradition – und trägt sozialistische Züge: Der Schein zählt mehr als der Dienst am Bürger. Die Zahlen sind wichtiger als das Erlebnis. Und der Glaube an die Unfehlbarkeit der Institution schlägt jede Realität auf dem Bahnsteig. Nicht der Kunde hat recht – sondern die Zentrale.
Und am Ende bleibt die Pointe: In einem Land, in dem die Bahn für die angebliche „grüne Wende“, für die Verkehrswende und überhaupt für alles stehen soll, was vermeintlich gut und grün ist, ist ausgerechnet das Ausfallen zur Lösung geworden. Ein schlechter Witz? Nein – ein Geschäftsmodell. Nur eben auf Kosten von Zeit, Vertrauen und Milliarden.
Und während der ICE verschwindet, taucht sein Schatten in keinem Bericht auf. Die Bahn darf sich offiziell als weniger unpünktlich ausgeben, als sie ist – der Kunde bleibt stehen. Und der Vorstand fährt Bonus.
Ein Land, das sich selbst so systematisch belügt, verliert irgendwann den Unterschied zwischen Realität und Simulation.
Und wer sich ständig Fortschritt einredet, wo in Wahrheit nur Stillstand und Verfall unter Schminke begraben werden – der steht am Ende auf dem Bahnsteig.
Allein. Mit seinem Ticket. Und wartet auf einen Zug, der längst aus der Statistik verschwunden ist.
Und zwar nicht nur bei der Bahn.
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