Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Alle schreiben sie das Gleiche, weil man in der deutschen Presse lieber Meldungen von dpa übernimmt anstatt selbst einmal nachzusehen oder wenigstens nachzulesen.
So beispielsweise die Süddeutsche Zeitung: „Merz sagt Nein zu Steuererhöhungen für Mittelstand“ kann man als Überschrift lesen, und das Gleiche ziert die Seiten des Handelsblatts, des Qualitätsblatts Stern oder auch des Mindener Tagblatts. Damit aber auch keiner auf die Idee kommt, man könnte von der gewünschten Hauptlinie abweichen, ist dann auch der anschließende Text einheitlich gestaltet, das macht die Lektüre und die Meinungsvielfalt leichter. In Osnabrück war es, während des Parteitags der CDU Niedersachsen, als Merz die bedeutenden Worte aussprach: „Mit dieser Bundesregierung unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommenssteuer für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht geben.“
Und gesagt hat er das wirklich, wie man auch auf seinem X-Account sehen kann:
Da weiß man doch gleich, woran man ist. Schließlich hat Merz noch nie in seinem politischen Leben eine einmal gegebene Zusage gebrochen, man konnte sich schon immer auf ihn verlassen – zumindest dann, wenn es darum ging, so schnell wie möglich zurückzurudern, sobald sich auch nur der Hauch eines Widerstandes zeigte.
Doch selbst, wenn man davon ausgehen dürfte, dass er es diesmal wirklich, aber auch wirklich so ernst nimmt, dass er sogar ein großes Indianerehrenwort darauf gäbe, wenn man denn das Wort „Indianer“ noch in den Mund nehmen dürfte, wäre das kein Grund zur Beruhigung. Die Einkommenssteuer für mittelständische Unternehmen will er nicht erhöhen, wie schön! Und all die anderen Steuern? Beispielsweise die Einkommenssteuern für Arbeitnehmer? Auch die gehören nicht selten zum Mittelstand, und über deren Steuern hat Merz kein Wort verloren. Die dpa-Überschrift ist schlichtweg gelogen, denn zum gesamten Mittelstand, dem sich auch viele Nicht-Unternehmer zurechnen dürften, hat Merz nichts verlauten lassen, nur über die Unternehmer. Ganz zu schweigen davon, dass man hierzulande nicht nur mit Einkommensteuern belastet wird, sondern auch mit etlichen weiteren Wegelagererabgaben – auch über die keine Silbe. Niemand sollte sich in Frieden zurücklehnen.
Doch das Beste kommt zum Schluss. Unternehmen zahlen keine Einkommenssteuer. Die wird nämlich entrichtet auf das Einkommen natürlicher Personen, wohingegen Unternehmen juristische Personen sind; das ist dem Mann von Blackrock wohl entfallen, obwohl es im ersten Paragraphen des Einkommenssteuergesetzes steht, man muss nicht mal lange suchen. Unternehmen werden mit der Körperschaftssteuer drangsaliert, das ist auch nicht schön, aber eben nicht das Gleiche wie die Einkommenssteuer. Ohne Zweifel unterliegt ein Unternehmer, beispielsweise ein Einzelunternehmer, der Einkommenssteuer, aber der unterliegt er als natürliche Person, als Mensch, der ein Einkommen erzielt hat. Ein Unternehmen ist kein Mensch, keine natürliche Person, und hat deshalb mit der Einkommenssteuer nichts zu tun.
Eine Steuer, die noch nie ein Unternehmen bezahlt hat, will Merz freundlicherweise nicht erhöhen. Dabei könnte er sie leicht verdoppeln oder gar verdreifachen, denn das Doppelte oder Dreifache von nichts ist nichts.
Wie gut, dass Deutschland in derart kompetenten Händen ist.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Shutterstock
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