Von Kai Rebmann
Nicht erst der Fall Michael Ballweg hat gezeigt, dass grundsätzlich jeder der Fängen der staatlichen Willkür und der Tücken des sogenannten Rechtsstaates werden kann. Oft reicht es, eine andere Meinung zu haben, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein – oder auch mit dem „falschen“ Mann verheiratet zu sein. Letzteres ist bei einer Leserin der Fall, die jetzt gegenüber „reitschuster.de“ über ihr inzwischen seit mehr als fünf Jahre andauerndes Martyrium auspackt.
Silke, so wollen wir die Informantin nennen, arbeitete 19 Jahre als Fluglotsin für die Deutsche Flugsicherung. Einem hochqualifizierten Job also, in dem gutes und vor allem erfahrenes Personal äußerst rar gesät ist. Der Ehemann war zu diesem Zeitpunkt als Landesbeamter tätig. Beide führten mit ihrer Familie ein unbescholtenes Leben mit einwandfreiem polizeilichem Führungszeugnis und tadellosem Dienstzeugnis.
Dann kam der Tag, der alles verändern sollte. Silke war als Fluglotsin im Einsatz, während ihr Mann zu Hause ebenso so ungebetenen wie unangekündigten Besuch bekam. Vor der Tür standen Beamte des Verfassungsschutzes. Das Anliegen der Herrschaften war es, eine sogenannte „Gefährderansprache“ zu halten, wegen vermeintlicher „terroristischer Tendenzen“, die die Behörde beim Ehemann ausgemacht haben wollte.
Vermeintlich harmlose WhatsApp-Gruppe als Ursprung
Dessen mutmaßliches „Verbrechen“: Er war Mitglied einer aus vier Mitgliedern bestehenden und damals seit etwa einem Jahr existierenden WhatsApp-Gruppe. Zunächst tauschte man sich dort über eher Belangloses aus, ehe dann – nicht zuletzt im Zuge der ausufernden Massen-Migration während der „Wir-schaffen-das“-Krise – gelegentlich auch über politische und gesellschaftliche Entwicklungen geschrieben wurde. Und ja, auch die damalige Kanzlerin Angela Merkel und deren Regierung kamen dabei nicht immer sehr gut weg.
Auch Silke bekam an diesem Tag Besuch vom Verfassungsschutz. Sie war weder Mitglied dieser ominösen Chat-Gruppe noch hatte sie sich sonst irgendwas aufs Kerbholz geladen, jedenfalls nach eigener Aussage nicht. Dennoch lautete der Vorwurf auch hier: „Terroristisches Gedankengut“! Silke wurde belehrt – jedoch ohne jede Konkretisierung der Vorwürfe oder Vorlage irgendwelcher belastender Beweismittel – und es wurde ihr aufgetragen, innerhalb von 14 Tage eine Referenzperson zu benennen, die sich für die Verfassungstreue der Fluglotsin verbürgen könne.
Die jederzeit kooperationswillige Leserin kam dieser Aufforderung nach, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass der Fall damit erledigt sei. Als nach 14 Tagen das Telefon klingelte und sich am anderen Ende ein Herr vom Verfassungsschutz meldete, nannte Silke die gewünschte Referenzperson. Was die Fluglotsin damals nicht wusste bzw. bemerkte: Die Tochter hat das Telefonat aufgezeichnet. Dies sollte sich im weiteren Verlauf noch als essentielles Detail entpuppen.
Zunächst ging das Leben der Eheleute aber ganz normal weiter, fast ein ganzes Jahr lang. Womöglich beruhte alles doch nur auf einem Irrtum, einem bloßen Missverständnis, wie es zwar nicht vorkommen sollte, aber natürlich immer mal kann. Denn schließlich arbeitete Silke ja auch als Fluglotsin weiter und unterlag dabei strengen Anforderungen an die Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfung. Kaum vorstellbar, dass man jemand an einem solchen Arbeitsplatz belassen würde, wenn es auch nur den Anflug eines (berechtigten) Verdachts auf „terroristische Tendenzen“ oder entsprechendes Gedankengut gäbe, oder!?
Verfassungsschutz stellt auf Durchzug
Der Ehemann wollte jedoch ganz auf Nummer Sicher gehen und auch die letzten Restzweifel aus der Welt schaffen: Über einen beauftragten Anwalt stellte er einen Antrag auf Auskunft und Akteneinsicht beim Verfassungsschutz. Er wollte verstehen, was der Hintergrund dieser absurden Verdächtigungen war – und ob es überhaupt irgendeine Grundlage für den behördlichen Eingriff in das Leben der Familie gab. Das Verfahren wurde vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg geführt. Doch selbst das Gericht bekam offenbar keine Einsicht. Der Verfassungsschutz verweigerte unter Berufung auf die nationale Sicherheit, auf den Quellenschutz und auf die Gefährdung der Arbeitsweise der Behörde jegliche Offenlegung. Es gab somit keinerlei Möglichkeit, zur Verteidigung. Zu diesem Zeitpunkt gab es das Netzwerkdurchsuchungsgesetz noch nicht. Der Zugriff auf angebliche Screenshots erfolgte somit in einer rechtlichen Grauzone – und damit aus Sicht der Leserin und ihres Gatten unter Missachtung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Dann, etwa ein Jahr nach den ersten Besuchen des Verfassungsschutzes, wurde Silke von der Deutschen Flugsicherung (DFS) „kaltgestellt“, wie sie es gegenüber „reitschuster.de“ selbst bezeichnet – ohne jedes Verfahren, ohne jede Vorwarnung. Die Zuverlässigkeitsüberprüfung und die noch wichtigere Sicherheitsüberprüfung wurden ihr entzogen. Damit war sie faktisch mit sofortiger Wirkung von ihrer Tätigkeit ausgeschlossen und quasi berufsunfähig. Die DFS ist der einzige Arbeitgeber in Deutschland, bei dem sich Silke mit ihrer sehr spezialisierten Ausbildung bewerben kann. Silke wurde also dauerhaft aus dem Verkehr gezogen, während gegen ihren Mann, den angeblichen „Rechtsterroristen“, bis zum heutigen Tag keinerlei derartigen Schritte unternommen oder auch nur eingeleitet wurden.
Die Familie sieht in dem Vorgang einen Akt der Nachträglichkeit, der Machtdemonstration und der gesichtswahrenden Schuldverschiebung. In Wahrheit sei das Einzige, das in diesem Jahr gewachsen war, nicht die vermeintlich von ihr und ihrem Ehemann ausgehende Gefahr gewesen, sondern die Verantwortung der Behörden für das eigene Versagen.
Und dieses Versagen bekam fortan auch einen Namen, und zwar den eines Herrn B., seines Zeichens damaliger Sicherheitsbeauftragter bei der DFS. Dessen Charakterzüge beschreibt die Leserin so: Ein Mann, der nicht einfach eine Funktion erfüllte, sondern sich als Inbegriff einer Haltung entpuppte, die jedes rechtsstaatliche Prinzip verrät – Befehlsgehorsam statt Prüfung, Verantwortungslosigkeit statt Pflichtgefühl, blindes Vollstrecken statt Menschlichkeit. B. sei ein Paradebeispiel für das Ausbleiben von Anstand, gezieltes Wegsehen – und die eiskalte Entscheidung, Unrecht geschehen zu lassen. Einfach aus Bequemlichkeit, Feigheit und innerer Überzeugung. So wurde B. für die geschasste Fluglotsin zum Gesicht eines Systems wurde, das Menschen zerbricht, nur um sich dann hinter Formblättern und Schweigen zu verschanzen.
Schließlich wurde B. vom Verfassungsschutz nach Köln zitiert. Dort wurden ihm jedoch keine Beweise vorgelegt – kein einziges Dokument, kein Screenshot, kein Kontext. Stattdessen las man ihm laut Aussage unserer Leserin wörtlich einzelne Passagen aus angeblichen Screenshots vor – aus unbekannter Quelle, ohne Authentizität, ohne jede rechtliche oder technische Einordnung. B. nahm diese nebulösen Fragmente dann offenbar entgegen wie ein Befehl – und nicht als das, was sie in dem Moment waren, nämlich substanzlose und anonyme Andeutungen.
Sicherheitsberater der DFS wird zum Erfüllungsgehilfen
Das Perfide daran: Damit waren es nicht mehr der Verfassungsschutz bzw. die handelnden Beamten selbst, die die Verantwortung auf sich geladen hatten und damit in letzter Konsequenz auch dafür geradestehen müssen, sollten sich die Anschuldigungen gegen den Ehemann der Fluglotsin letztlich als haltlos herausstellen. B. wurde zum willigen Erfüllungsgehilfen – schließlich war formal er es, der die Fluglotsin von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt hatte. Oder anders ausgedrückt: der Verfassungsschutz hatte B. nicht die Entfernung der Fluglotsin aus dem Dienst „angeordnet“, sondern diese lediglich „empfohlen“.
Schließlich kam es in dieser Sache zu Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg und dem Verwaltungsgericht Darmstadt. Dort behaupteten sowohl die Deutsche Flugsicherung als auch der Verfassungsschutz standhaft, die Fluglotsin habe nie eine Referenzperson zur Überprüfung ihrer in Frage gestellten Verfassungstreue benannt – was durch den eingangs erwähnte und von der Tochter angefertigte Tonaufnahme jedoch zweifelsfrei widerlegt werden konnte.
Davon ließ sich das Gericht aber ebenso wenig beeindrucken wie von der Tatsache, dass der Verfassungsschutz während des über mehrere Jahre hinweg andauernden Verfahrens von keinem einzigen seiner rechtsstaatlich vorgesehen Befugnisse Gebrauch gemacht hat. Den Angaben unserer Leserin zufolge gab es der gesamten Zeit keine Hausdurchsuchung, keine Beschlagnahmungen, keine Metadatenanalyse oder sonstige Überwachung der Kommunikation und keine Rasterfahndung. Alles beruhte offenbar also auf anonymen und nicht weiter verifizierbaren Anschuldigungen und Behauptungen.
Juristischer Kampf mit stumpfen Waffen
Bis zuletzt, genauer gesagt bis heute, wurde und wird der Fluglotsin und ihrem Ehemann jegliche Akteneinsicht verweigert. Umso besser war dafür der bisherige Arbeitgeber der Leserin im Bilde – diesem wurden sämtliche vermeintlich belastenden Unterlagen vom Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt.
Mehr noch: Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt lagen auf dem Tisch der Beklagtenseite (der DFS) Schriftsätze, die der Ehemann zuvor selbst – über seinen Anwalt – ausschließlich an den Verfassungsschutz übermittelt hatte. Es handelte sich um vertrauliche Unterlagen aus dem Verfahren zur Akteneinsicht, also Schriftsätze, die nie für Dritte bestimmt waren. Der Mann erkannte sie eigenen Angaben zufolge zweifelsfrei wieder. Wie die Schriftstücke in den Besitz der Gegenseite gelangt sind, bleibt offen, es bleibt mit Blick auf die gesetzlich eigentlich garantierte Waffengleichheit vor Gericht jedoch ein mehr als fader Beigeschmack.
Das Verfahren endete schließlich nicht nur nicht im Sinne der Kläger, sondern offenbarte noch eine ganze Reihe weiterer Ungereimtheiten. So wurde die Tonaufnahme des Telefonats mit dem Verfassungsschutz den Angaben zufolge nur widerwillig als Beweismittel zugelassen. Die schriftliche Urteilbegründung wurde nach Abschluss der mündlichen Verhandlung innerhalb von 14 Tagen zugesagt, brauchte dann aber rund sechs Wochen, ehe sie der Klägerseite zuging – und schließlich juristisch so geschliffen wirkte, dass es inhaltlich offenbar vor allem darum ging, eine Berufung praktisch unmöglich zu machen. So jedenfalls der Verdacht unserer Leserin.
Silkes Ehemann, bei dem der Verfassungsschutz angeblich „terroristische Tendenzen“ erkannt haben will, ist inzwischen pensionierter Landesbeamter. Seinen Ruhestand verbringt er ohne jede Abzüge, Einbußen oder sonstige rechtliche Konsequenzen. Die Pensionierung erfolgte laut Angaben der Leserin ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen. Auch das kann durchaus als Indiz dafür gewertet werden, dass offenbar nichts wirklich Handfestes gegen den Mann ins Feld geführt werden kann.
Und noch ein Detail macht die kaltgestellte Fluglotsin stutzig: die mit dem Verfahren betraute Richterin war nicht nur jung und unerfahren – und damit der Tragweite des Falles womöglich nicht gewachsen – sie war zu diesem Zeitpunkt auch schwanger. Was auf den ersten Blick unspektakulär bis belanglos wirkt, bekommt ein anderes Gewicht, wenn man es durch die Augen der Klägerseite sieht:
Wer ein Kind erwartet, strebt nach Sicherheit – nicht nach Konfrontation mit dem Verfassungsschutz oder den eigenen Vorgesetzten am Verwaltungsgericht Darmstadt, und schon gar nicht nach einem politischen oder öffentlichen Versagen, das womöglich persönliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Vielleicht war es also nicht nur Unerfahrenheit, sondern auch das instinktive Bedürfnis nach Absicherung und persönlichem Schutz, das am Ende stärker wog als die Verpflichtung zur Wahrheit. Wie groß könnte also der innere Druck gewesen sein, sich in dieser persönlichen Ausnahmesituation eben gerade nicht gegen die staatliche Macht zu stellen?
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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