Von Kai Rebmann
Er ist wieder da – der ominöse „Wahl-O-Mat“. Über jeden Zweifel erhabene Entscheidungshilfe für die Bundestagswahl, sagen die einen. Offenkundiges Instrument zur Manipulation des Wählerwillens, sagen die anderen. Beispielhaft wollen wir hier auszugsweise die Meinungen aus zwei Leserzuschriften wiedergeben, die uns in den vergangenen Tagen zu diesem Thema erreicht haben:
„Vorgestern kam der Wahl-O-Mat und ich habe ihn, aber objektiv sein – Fehlanzeige! Und einsichtig – doppelte Fehlanzeige! […] Von wegen ‚Bundeszentrale für politische Bildung‘??? Ganz klar ein Zeichen für eine Institution einer Diktatur.“
„Jetzt ist selbst der ‚Wahl-O-Mat‘ schon manipuliert. Während man bei der letzten Bundestagswahl noch als einfach konservativer Beantworter der Fragen schnell mal nicht nur bei der AfD oder gar der NPD gelandet ist, kommt man jetzt selbst bei extremster Beantwortung der Fragen allenfalls bei ‚Die Basis‘ raus. Was ist hier los? Während man uns erzählt, dass der böse Putin die Bundestagswahl beeinflusst, spielt der ‚Wahl-O-Mat‘ offensichtlich ein genauso perfides Spiel. Offensichtlich erfolgt hier Wahlmanipulation, auch wenn die Bundeszentrale für politische Bildung beteuert, dass es sich nur um ein Informationsangebot und keine Wahlempfehlung handelt.“
Nach einigen Selbstversuchen ließen sich die geschilderten Eindrücke zwar nur teilweise bestätigen, dennoch lohnte sich ein genauerer Blick auf die Funktionsweise dieses Tools, hinter dem die in puncto Unabhängigkeit tatsächlich nicht unumstrittene Bundeszentrale für politische Bildung steht.
Kleine und linke Parteien nutzen Schwächen geschickt aus
Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass dabei nicht das Wahlprogramm der 29 teilnehmenden Parteien abgebildet wird, jedenfalls nicht zwangsläufig. Anders als konkurrierende Angebote, etwa „Real-O-Mat“ oder „Wahl-Kompass“, orientiert sich der „Wahl-O-Mat“ zum weit überwiegenden Teil an der Beantwortung der insgesamt 38 Thesen durch die Parteien selbst – und ausdrücklich nicht an dem, was in den Wahlprogrammen steht oder wie sich die Abgeordneten bei vergangenen Abstimmungen verhalten können. Die Parteien können zu allen Thesen frei erklären, ebenso wie die Nutzer, ob sie einer bestimmten Aussage zustimmen, diese ablehnen oder sich „neutral“ positionieren möchten.
Letztere Option machen sich offensichtlich vor allem die Splitterparteien zunutze, um dadurch überhaupt in die Wahrnehmung der potenziellen Wähler zu gelangen – wohlwissend, dass vor allem junge und Erstwähler, die Hauptzielgruppe des Tools, im Zweifelsfall einfach auf „neutral“ klicken, anstatt die These einfach zu überspringen.
Und dann gibt es noch die Parteien, die bei der Beantwortung der Thesen zwar nicht lügen, aber auch nicht die ganze Wahrheit sagen wollen – und damit am rechts-konservativen Rand nach Stimmen fischen. So zum Beispiel das BSW, das die Schuldenbremse lieber gestern als heute außer Kraft setzen würde, um ihre kostspieligen bis utopischen Wahlversprechen auf Pump und auf Kosten künftiger Generationen durchfinanzieren zu können.
Auf die entsprechende These beim „Wahl-O-Mat“ („Die Schuldenbremse im Grundgesetz soll beibehalten werden“) antwortete das BSW aber dennoch „neutral“. Der Trick: Die Partei von Sahra Wagenknecht fordert nicht explizit eine Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz, sondern formuliert das im Programm zur Bundestagswahl dann lieber so, dass man „ein großangelegtes Investitionsprogramm, das durch eine Reform der Schuldenbremse finanziert wird“ fordert.
‚Wahl-O-Mat‘ auf dem linken Auge blind?
Nun wird man den Initiatoren des betreuten Wählens schwerlich vorwerfen können, wenn die Parteien tricksen – sehr wohl dagegen, wenn einige Themen mehr oder weniger ausgeklammert werden oder bestimmte Fragen ganz offenkundig auf manipulative Weise gestellt werden.
So kommt der „Wahl-O-Mat“ beispielsweise mit jeweils nur einer einzigen Frage zur Ukraine und zum Nahost-Konflikt aus. Der Politikwissenschaftler Dr. Norbert Kersting kritisierte gegenüber dem „Merkur“ zudem die allgemeine Fokussierung auf junge Themen: „Der Wahl-O-Mat ist für alle da. Warum dürfen da die Babyboomer und andere Altersgruppen nicht mitreden?“
Stefan Marschall verteidigt das von ihm mitentwickelte Tool hingegen als ein Projekt, das „von jungen Leuten für junge Leute begonnen“ worden sei und daran wolle man auch in Zukunft festhalten.
All das erklärt aber nicht, weshalb andere Fragen mit einer eindeutigen Schlagseite formuliert werden, etwa: „Der Bund soll Projekte gegen Rechtsextremismus verstärkt fördern?“
Was ist mit Projekten gegen Linksextremismus? Oder gegen Antisemitismus? Oder gegen Islamismus? Gibt es in Deutschland nur noch eine einzige Form des Extremismus, die es zu bekämpfen gilt? In den Augen der Macher hinter dem Wahl-O-Mat – und auch vieler in der Politik – lautet die Antwort offenbar: Ja!
Fazit: „Wahl-O-Mat“ und Konsorten mögen eine nette Spielerei zum Zeitvertreib sein, viel mehr aber auch nicht! Das Wesen solcher Tools öffnet den Parteien selbst, aber auch ihren Machern dahinter, Tür und Tor für eine tendenziöse Irreführung des Wählers – die umso leichter fällt, wenn es sich, wie bei der erklärten Zielgruppe des „Wahl-O-Mat“, um Jung- und Erstwähler handelt.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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