(NL/6683073525) Energie und Ressourcen schonend und effizient zu nutzen, ist zukunftsweisend. Neue Technologien werden gebraucht, um beispielsweise das Stromnetz und damit die Stromverteilung in Deutschlands Städten zu verbessern und vor allem effektiv zu betreiben. Der Industriegasespezialist Messer entwickelte für das Pilotprojekt AmpaCity des Energieversorgers RWE eine neue Kühltechnologie. Diese ermöglicht, Supraleitungskabel mit flüssigem Stickstoff anstelle von bisher minus 196 auf minus 209 Grad Celsius zu kühlen, um damit einen fast verlustfreien Transport von Strom im Netz zu erreichen. Jetzt wurde AmpaCity zu einem qualifizierten Projekt der KlimaExpo.NRW, eine Initiative der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Im Rahmen des Pilotprojekts wurde im April 2014 das bisher längste supraleitende Kabel der Welt in Essen in Betrieb genommen. Langfristig sollen supraleitende Kabel den Energieverlust in Stromleitungen deutlich senken. Denn Supraleitungskabel übertragen bei gleichem Leitungsquerschnitt eine fünffach höhere Strommenge und schaffen das auch bei relativ niedriger Spannung. Außerdem bieten sich sowohl Kosten- als auch Raumsparpotenziale für Betreiber und Kommunen.
Nicht ohne Stickstoff
Der Energieverlust in heutigen Stromleitungen basiert auf dem elektrischen Widerstand beim Transport von Strom. Manche Materialien verlieren diesen Widerstand bei sehr tiefen Temperaturen und werden zu Supraleitern. Die vor circa 100 Jahren entdeckten (metallischen) Supraleiter werden bei minus 269 Grad Celsius gekühlt. Dies bedarf jedoch einer kostenintensiven Helium-Kühlung und einem hohen Energieverbrauch zur Kälteerzeugung.
1986 entdeckte der Nobelpreisträger Georg Bednorz die Hochtemperatur-Supraleiter. Diese können mit flüssigem Stickstoff anstelle von Helium gekühlt werden. Das Stromkabel des AmpaCtiy-Projekts besteht aus diesem Material. Messer entwickelte hierfür eine neue Kühltechnologie. Die Kühltemperatur beträgt dabei minus 209 Gad Celsius. Normalerweise kann mit flüssigem Stickstoff nur bis minus 196 Grad gekühlt werden. Bei der neuen Kühltechnologie von Messer wird flüssiger Stickstoff jedoch im Unterdruck verdampft, erreicht so eine Temperatur von minus 209 Grad Celsius und erfüllt damit die Kabelspezifikation. Eine weitere Temperaturreduzierung ist nicht möglich, da Stickstoff bei minus 210 Grad Celsius gefriert. Der minus 209 Grad kalte Stickstoff kompensiert die Wärme, die das AmpaCity-Supraleiterkabel aus der Umgebung aufnimmt und ermöglicht einen annähernd verlustfreien Stromtransport. Ein Rückführsystem sorgt für einen energieeffizienten, geschlossenen Kreislauf.
Interview mit Dr. Friedhelm Herzog, Anwendungsspezialist für Gase in der Industrie bei Messer
Wie kam die Zusammenarbeit von Messer und RWE zustande?
Auf der Hannover Messe 2012 kam ich mit der Firma Nexans ins Gespräch, dem Lieferanten des supraleitenden Kabels. Wir sprachen über das Pilotprojekt AmpaCity und die Anforderungen an die Kühlung des ein Kilometer langen Stromkabels. Nach diesem Gespräch entwickelten wir bei Messer ein Konzept für eine neue Flüssigstickstoff-Kühltechnologie, die im Vergleich zur ursprünglich vorgesehenen Kühlung mit Stirling-Maschinen einige Vorteile bietet. Dieses Konzept präsentierten wir dann RWE, wo es ebenfalls auf Zustimmung stieß.
Wofür wird Stickstoff von Messer im Pilotprojekt AmpaCity eingesetzt?
Der flüssige Stickstoff hat zwei Aufgaben: Er wird in flüssiger Form durch das supraleitende Kabel gepumpt, um die von außen durch die Kälteisolation eindringende Wärme abzuführen. Das funktioniert im Prinzip wie bei einer Zentralheizung, nur dass hier Kälte statt Wärme eingebracht wird. Der Stickstoff erwärmt sich von minus 206 Grad Celsius am Kabeleintritt auf minus 201 Grad Celsius am Kabelaustritt.
Um das Flüssiggas dann von minus 201 wieder auf minus 206 Grad Celsius zu kühlen, wird dieser durch einen speziell konstruierten Unterkühler geleitet. Zum Betrieb dieses Unterkühlers benötigt man ein Kühlmedium, welches kälter als minus 206 Grad Celsius sein muss. Dieses Kühlmedium ist ebenfalls flüssiger Stickstoff, den wir bei minus 209 Grad Celsius verdampfen lassen und dann ins Freie ableiten.
Welche Herausforderungen gab es, und wie haben Sie diese gemeistert?
Normalerweise verdampft flüssiger Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius, für den Unterkühler ist aber eine Verdampfungstemperatur von minus 209 Grad erforderlich. Wir mussten also den Stickstoff dazu überreden, sich beim Verdampfen weiter abzukühlen als sonst. Wir haben dafür den Verdampfungsdruck mit Hilfe von Vakuumpumpen soweit abgesenkt, dass die erforderliche extrem niedrige Temperatur erreicht wird. Eigentlich hätte man sich eine noch tiefere Temperatur gewünscht, dies ist aber nicht möglich, weil der Stickstoff bei minus 210 Grad Celsius zu Eis gefriert. Fester Stickstoff im Unterkühler ist natürlich verfahrenstechnisch ein Problem. Damit die Verdampfungstemperatur von minus 209 Grad Celsius stabil eingehalten wird und nicht durch Schwankungen unter den Stickstoff-Gefrierpunkt absinkt, haben wir eine spezielle Temperaturregelung entwickelt, die das Einfrieren des Stickstoffs zuverlässig vermeidet.
Neben diesen verfahrenstechnischen Herausforderungen gab es auch noch apparatetechnische Anforderungen, die zu erfüllen waren. Im Vordergrund standen die Sicherheit der Anlage und die Zuverlässigkeit des Betriebs. Um die Anlagensicherheit zu gewährleisten verwenden wir den Flüssigstickstoff-Vorratsbehälter auch als Entlastungsgefäß, welches bei einer Beschädigung des Kabels den flüssigen Stickstoff aus dem Kabel aufnehmen kann und einen unkontrollierten Austritt in die Umgebung verhindert. Die dafür erforderliche Verschaltung wurde zum Patent angemeldet. Die Betriebszuverlässigkeit wird durch redundante Ausführung aller Pumpen und kritischen Armaturen gewährleistet. Fällt eine Komponente aus, erfolgt eine automatische Umschaltung auf das entsprechende Ersatzaggregat. Dank dieser Dopplung lassen sich alle Wartungsarbeiten im laufenden Betrieb durchführen, sodass die Kühlanlage ständig verfügbar ist.
Was ist für Sie die Besonderheit an diesem Projekt?
Es ist eine technologische Weltpremiere, die immenses Interesse von Medien, Politik und Fachleuten auf sich zieht. Nicht selten werden pro Woche zwei oder mehr Besuchergruppen aus aller Welt durch die Anlage geführt.
Persönlich möchte ich die besonders gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Projektpartnern RWE, Nexans und Krytem herausstellen. Es wurde immer und in jeder Situation konstruktiv zusammengearbeitet.
Wie lässt sich die Stickstofftechnologie auch in anderen Bereichen anwenden?
Weitere Anwendungen für Hochtemperatur-Supraleitung mit Flüssigstickstoff-Kühlung lassen sich dort finden, wo sehr große elektrische Ströme fließen, zum Beispiel in Elektrolyseanlagen. Vielleicht wird ja irgendwann auch mal eine Luftzerlegungsanlage durch ein Supraleiterkabel an das Stromnetz angeschlossen, auch wenn das sicher nicht der typische Anwendungsfall ist.
Die 1898 gegründete Messer Group ist der größte privat geführte Spezialist für Industrie-, Medizin- und Spezialgase. Unter der Marke Messer Gases for Life ist das Unternehmen in 30 Ländern in Europa und Asien sowie in Peru und Algerien mit insgesamt mehr als 60 operativen Gesellschaften aktiv. Die internationalen Aktivitäten werden aus dem Raum Frankfurt am Main gelenkt, die Steuerung der technischen Zentralfunktionen Logistik, Engineering und Produktion sowie Anwendungstechnik erfolgt aus Krefeld. Stefan Messer, CEO und Eigentümer der Messer Gruppe, arbeitet zusammen mit den etwa 5.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach definierten Prinzipien. Dazu gehören Kunden- und Mitarbeiterorientierung, verantwortliches Handeln, unternehmerische Verantwortung, Exzellenz sowie Vertrauen und Respekt. Im Jahr 2014 erwirtschaftete der Industriegase-Spezialist einen konsolidierten Umsatz von voraussichtlich 1,047 Milliarden Euro.
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Angela Bockstegers
Gahlingspfad 31
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