Berlin (ots)
Zur heutigen ersten Lesung des Gesundes-Herz-Gesetzes (GHG) findet die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, deutliche Worte der Kritik:
„Für mehr Herzgesundheit einzutreten, ist sicherlich ein hehres Anliegen. Das GHG ist aber komplett schief gewickelt. Statt die Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bekämpfen und den Ansatz der Gesundheitsförderung in allen Politikbereichen (Health in All Policies) zu verfolgen, verordnet der Gesetzentwurf vor allem mehr medizinische Screenings und Medikamente. Trotz vehementer Kritik an der fragwürdigen Evidenz der vorgesehenen Maßnahmen bleibt es bei dem Motto „Pillen statt Prävention“. Auch der Bundesrat hat inzwischen bezweifelt, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen ein probates Mittel zur Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen. Zudem nimmt der Gesetzgeber mit dem GHG beträchtliche Kollateralschäden in gut funktionierenden Bereichen der Gesundheitsversorgung in Kauf.
Zum einen wird durch die geplante Ausweitung der Disease-Management-Programme (DMP) die etablierte Behandlung von bereits eingeschriebenen chronisch kranken Patientinnen und Patienten gefährdet. Diese DMP-Expansion würde Ärztinnen und Ärzte überfordern und schwächt die Versorgung derjenigen, die akut auf schnelle ärztliche Hilfe angewiesen sind. Sie würde auch die kontinuierliche Versorgung der chronisch Kranken gefährden, die schon heute an den DMP teilnehmen. Pathologisierung und ein Überangebot wären die Folge, denn das Programm soll künftig auch noch nicht erkrankte „Risikopatienten“ umfassen, fast die komplette Altersgruppe ab Mitte 50. Würden nur 20 Prozent davon teilnehmen, so wären dadurch bis zu 34 Millionen zusätzliche Programmteilnahmen möglich. Das würde eine rechnerische Mehrbelastung der an den DMP teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte von rund 32 Arbeitstagen im Jahr und mittelfristig GKV-Zusatzausgaben von 3,8 Milliarden Euro bedeuten. Allein mit dieser Maßnahme drohen also eine Verflachung der bestehenden DMP-Programme, die Überlastung der Arztpraxen und deutliche Mehrausgaben für die gesetzlichen Krankenversicherung. Für das Kernziel, alle vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen DMP in der Breite umzusetzen, wäre es zielführender, die DMP in den hausärztlichen Versorgungsauftrag aufzunehmen.
Zum anderen torpediert das GHG funktionierende Präventionsstrukturen. Für Gesundheitskurse stehen jährlich nur etwa 186 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Aus diesen ohnehin knappen Mitteln sollen künftig auch neue Leistungen wie etwa Arzneimittel zur Tabakentwöhnung und ärztliche Diagnostik finanziert werden. Schon bei geringer Teilnehmerquote entstünden der GKV allein durch die Ausweitung des Anspruchs auf Arzneimittel zur Tabakentwöhnung Mehrausgaben in Höhe von mindestens 200 Millionen Euro. Paradoxerweise könnte die GKV dann auch ihre rund 600 evidenzbasierten Programme zur Rauchentwöhnung nicht mehr anbieten, obwohl doch gerade dieser Bereich durch das Gesetz besonders gefördert werden soll. Schließlich stünden ca. 59.000 qualitätsbasierte und intensiv genutzte Bewegungskurse wie Herz-Kreislauf-Training, Rückenschule, Aquagymnastik oder Sturzprävention sowie gesundheitsfördernde Kurse in benachteiligten Kommunen von ca. 30.000 Sportvereinen vor dem Aus.
Kurzum: Wenn das GHG in der vorliegenden Form verabschiedet wird, so wäre damit das Aus für die von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten individuellen Gesundheitskurse besiegelt. Das Ziel, eine Lebensstiländerung durch geeignete, alltagsnahe Maßnahmen zu fördern und Gesundheitskompetenzen auf breiter Basis und in Kooperation mit Vereinen, Volkshochschulen, privaten Anbietern, Universitäten, Rehakliniken und Fachverbänden weiter aufzubauen, wird faktisch aufgegeben. Im Ergebnis hätten wir viel weniger Prävention in Deutschland.“
Ihr Ansprechpartner in der Pressestelle:
Dr. Kai Behrens
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