Mit der Schuldenbremse im Grundgesetz habe Deutschland zwar im Jahr 2009 die Lehren aus der großen Finanzkrise der Jahre davor gezogen. „Doch in Zeiten von Krieg, Klimawandel und Modernisierungsstau droht Deutschlands Schuldenbremse in ihrer jetzigen Gestalt das Potenzial für Wachstum und Wohlstand sowie die nationale Sicherheit eher zu mindern, statt zu fördern“, sagte Schmieding am Dienstag in Frankfurt.
Der Experte würde unter anderem den Defizitdeckel von 0,35 auf 1,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anheben und den Bundesländern davon 0,4 Prozentpunkte zusprechen. Auch dürfe etwa dieses strukturelle Defizit die Nettoinvestitionen des Staates – einschließlich Rüstungsgüter – nicht überschreiten.
In Deutschland habe der Gaspreis-Schock ab dem Jahr 2022 zwar nachgelassen, doch die deutsche Volkswirtschaft spüre Gegenwind aus dem Ausland und durch höhere Zinsen. Auch der Ausblick für die Industrie und für den Wohnungsbau habe sich eingetrübt. Zusätzlich werde die Stimmung von wirtschaftspolitischer Unsicherheit belastet und die Nachfrage nach Arbeitskräften sei trotz eines deutlichen Rückgangs der offenen Stellen weiterhin hoch.
Die Inflationsrate in Deutschland sei einerseits nach ihrem Höhepunkt von fast 12 Prozent im Oktober 2022 ähnlich schnell gefallen, wie sie zuvor gestiegen war. Die Verbraucher müssen sich nach Einschätzung des Chefvolkswirts aber an ein dauerhaft höheres Preisniveau gewöhnen – auch wenn die Löhne gegenüber den Preisen aufholen.
„Der importierte Kostenschock hat Deutschland ärmer gemacht“, konstatiert Schmieding. Insgesamt sieht er die deutsche Wirtschaft jedoch in einer guten Ausgangslage für die Transformation, unter anderem dank der Vollbeschäftigung, relativ solider Staatsfinanzen und vergleichsweise wenig einflussreicher politischer Ränder.
Die Weltwirtschaft zeige grundsätzlich ein gemischtes Bild. Für die USA, wo die Notenbank wohl zunehmend den Fuß von der Bremse nehmen werde, erwartet Schmieding eine sanfte Landung im Herbst und einen neuen Aufschwung Mitte 2025. China sei hingegen angesichts einer ausgeprägten Immobilienkrise und einer schwachen Binnennachfrage keine „Wachstumslokomotive“ mehr. In Europa prognostiziert der Chefvolkswirt ein „Mini-Wachstum“ im laufenden Jahr und nach der temporären US-Schwäche mehr Wachstum 2025.
Weltwirtschaftliche Risiken bestünden etwa in einer harten Landung der US-Wirtschaft, einem lahmenden Europa, einer Rückkehr der Inflation oder einer US-Schuldenkrise. Geopolitisch wären die größten Bedrohungen nach Einschätzung von Schmieding eine Eskalation Russlands im Krieg gegen die Ukraine oder ein Angriff Chinas auf Taiwan.
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