Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Europagipfel in Großbritannien genutzt, um seine Forderung nach mehr Unterstützung bei der Abwehr russischer Luftangriffe noch einmal zu verstärken. Bei dem Treffen von fast 50 Staats- und Regierungschefs bei Oxford drängte er die westlichen Verbündeten, mit eigenen Mitteln russische Raketen und Drohnen über der Ukraine abzuschießen. «Es muss einen kollektiven Willen geben, diese abzuschießen, genauso wie es bei iranischen Raketen und Drohnen (bei Israel) war», sagte er.
Selenskyj betonte, dass es sich dabei aus seiner Sicht nicht um einen Angriff gegen Russland handeln würde. Raketen und Drohnen seien keine Träger staatlicher Souveränität. «Diese Schritte müssen unternommen werden», sagte Selenskyj und sprach direkt die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Polen an. «Ihr Mut kann entscheidend für den Frieden sein.» Im April war ein iranischer Großangriff von über 300 Raketen und Drohnen auf Israel auch mit Hilfe US-amerikanischer, britischer und französischer Kampfjets und Flugabwehrsysteme abgewehrt worden.
Stoltenberg hat Abfangen von Raketen bereits abgelehnt
Polen hat ein solches Vorgehen der Nato-Verbündeten bereits auf ukrainische Initiative für das Abfangen russischer Raketen über der Westukraine vorgeschlagen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies das jedoch zurück. «Wir werden nicht zu einer Konfliktpartei. Deshalb unterstützen wir zwar die Ukraine bei der Zerstörung russischer Flugzeuge, aber die Nato wird nicht direkt beteiligt sein», unterstrich der Norweger vergangene Woche.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der an dem Gipfel teilnahm, lehnt ein solches Vorgehen ab. Er ist auch gegen eine weitere Lockerung der Einsatzregeln für westliche Waffen, die der Ukraine geliefert wurden. Selenskyj bekräftigte beim Gipfel dagegen, dass er damit gerne Militärflugplätze auf russischem Territorium ins Visier nehmen würde, von denen aus die Ukraine angegriffen wird. «Je weniger Beschränkungen wir für den Waffeneinsatz haben, umso mehr wird Russland einen Frieden anstreben», mahnte Selenskyj.
Britischer Außenminister gegen Auflagen für Waffeneinsatz
Unterstützung bekam er vom britischen Außenminister David Lammy. «Es ist wichtig, dass die Ukraine ihre eigenen Entscheidungen über ihre Operationen trifft, während sie diesen Krieg führt und ihre jungen Männer und Frauen an der Front stehen», sagte der Labour-Politiker im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die Frage, ob er eine pauschale Aufhebung der Beschränkungen für die Nutzung westlicher Waffen befürworte.
Die USA, Deutschland und andere Verbündete hatten Ende Mai der Ukraine erlaubt, zum Schutz der Metropole Charkiw auch Stellungen auf russischem Territorium anzugreifen. Weiter will Scholz aber nicht gehen. «Niemand hat eine Veränderung der bisherigen Maßgaben und Richtlinien vor – aus gutem Grund», sagte er vergangene Woche zum Abschluss des Nato-Gipfels.
Russland und Belarus nicht dabei
Der Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) findet am Geburtsort von Kriegspremier Winston Churchill, Blenheim Palace, statt, nahe der berühmten Universitätsstadt Oxford. In dieser informellen Gruppe haben sich vor zwei Jahren – kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – die 27 Staaten der Europäischen Union mit anderen Ländern des Kontinents zusammengeschlossen, die ihre Werte teilen. Russland und Belarus gehören nicht dazu. Sie bleiben auch beim vierten Gipfel dieser Art ausgeschlossen.
Wie bei den vergangenen Gipfeln war der russische Angriffskrieg das dominierende Thema. Auf dem Gipfel unterzeichnete die Ukraine mit Tschechien und Slowenien weitere vorerst zehn Jahre geltende Sicherheitsabkommen. Derartige Verträge hatte das angegriffene Land vorher bereits mit knapp zwei Dutzend Staaten, darunter Deutschland, und auch der EU abgeschlossen. Sie dienen vor allem der Verstetigung der bereits gewährten militärischen und finanziellen Hilfen, geben dem Land jedoch keine Sicherheitsgarantien.
Starmer Gipfel-Gastgeber nach zwei Wochen Amtszeit
Der Gastgeber, Großbritanniens neuer Premierminister Keir Starmer, sagte der Ukraine dauerhafte Unterstützung zu. «Haben Sie keinen Zweifel: Wir werden an Ihrer Seite stehen, solange es nötig ist», sagte er an Selenskyj gerichtet.
Für den erst vor gut zwei Wochen ins Amt gewählten Starmer war es nach dem Nato-Gipfel die zweite Gelegenheit, sich auf einer großen internationalen Bühne zu beweisen. Ihm ist daran gelegen, das Verhältnis zu den europäischen Partnern nach den Brexit-Jahren wieder zu reparieren. Von einem Neustart in der Beziehung mit Europa ist die Rede.
Orban wirbt für Friedensverhandlungen
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der zuletzt mit seiner Reise nach Moskau und Peking für Unmut bei den EU-Partnern sorgte, setzte beim Gipfel sein Werben für Friedensverhandlungen fort. «Ich glaube, es gibt keine Lösung dieses Konflikts auf dem Schlachtfeld», sagte er.
Scholz betonte erneut, dass Orban auf eigene Rechnung nach Russland und China gereist sei. «Wenn jemand als Regierungschef seines Landes in andere Länder fährt, dann ist das okay. Aber er vertritt dann nicht die Europäische Union.»
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