Anspruch auf Schmerzensgeld bei heimlicher Videoüberwachung.
Verfasser: RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 19. Februar 2015 – 8 AZR 1007/13 –
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden u.a. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen. Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 Euro für angemessen. Die Klägerin habe erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, die ärztlicher Behandlung bedürften.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.000,00 Euro stattgegeben. Die Revisionen beider Parteien blieben vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Höhe des Schmerzensgeldes war revisionsrechtlich nicht zu korrigieren. Es war nicht zu entscheiden, wie Videoaufnahmen zu beurteilen sind, wenn ein berechtigter Anlass zur Überwachung gegeben ist. (zitiert nach der Pressemitteilung 7/15 des BAG)
Fazit:
Arbeitgeber dürfen ihre Mitarbeiter, insbesondere während der Arbeitsunfähigkeit, nicht auf Verdacht überwachen (lassen). Stets ist ein auf „konkreten Tatsachen“ beruhender Verdacht Voraussetzung. Nicht Gegenstand der Entscheidung war die Frage, welche Folgen ein rechtswidriges Verhalten des Arbeitgebers in einem Kündigungsschutzprozess hätte: Hier wird man aus der Sicht betroffener Arbeitnehmer ein Beweisverwertungsverbote geltend machen können (vgl. BAG, Urt. v. 27.03.2003, – 2 AZR 51/02).
Die Entscheidung des BAG bestätigt die bisherige Rechtsprechung, wonach eine verdeckte Videoüberwachung im öffentlichen Raum ohne Kenntlichmachung entgegen § 6b Abs. 1 BDSG ausschließlich dann zulässig ist, wenn die verdeckte Überwachung das einzige zur Verfügung stehende Mittel zur Überführung eines Arbeitnehmers ist, der der Begehung von Straftaten durch Vortäuschen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und damit unberechtigter Entgeltfortzahlung konkret verdächtig ist. Das bedeutet, es darf kein anderes geeignetes, aber weniger eingreifendes Mittel zur Verfügung stehen (z.B. Beobachtung und Benennung des Beobachters als Zeugen).
Das Urteil bestätigt ebenfalls die bisherige Rechtsprechung, wonach das heimliche Fotografieren oder Filmen von Personen als schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG, der datenschutzrechtliche Spezialvorschrift für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten im Beschäftigtenverhältnis zur Aufdeckung von Straftaten ist, gerechtfertigt sein muss. Liegen die Voraussetzungen wie in dem zugrunde liegenden Fall nicht vor, ist die entsprechende Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung rechtswidrig.
Bestätigt wird zugleich, dass aus einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zunächst die tatsächliche Vermutung für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit folgt. Diese Vermutung könne der Arbeitgeber allerdings durch Vorbringen von Tatsachen erschüttern, die ernsthafte Zweifel begründeten. Ernsthafte Zweifel könnten sich z.B. dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz oder nach einem Streit um Urlaubsgewährung eine nachfolgende Arbeitsunfähigkeit angekündigt hat, während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Tätigkeiten nachgeht, die mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht vereinbar erscheinen oder widersprüchliche Angaben zu seiner Arbeitsunfähigkeit macht oder der Aufforderung zu einer Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht folgt.
Wir verweisen auch auf unser Mandanteninfo Oktober 2011, zu finden unter
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