Für Ärzte legt § 21 MBO-Ä eine standesrechtliche Verpflichtung fest, sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche aus ihrer beruflichen Tätigkeit zu versichern. Diese Regelung haben im Wesentlichen alle Berufsordnungen der Landesärztekammern übernommen.
Mit dem „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“ (GVWG) hat der Gesetzgeber die Verpflichtung zum Nachweis einer Berufshaftpflicht jetzt auch zu einer vertragsärztlichen Pflicht erhoben und die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung von einer solchen Nachweisführung abhängig gemacht (§ 95e SGB V).
Forderung des Bundesrechnungshofes zur Einführung einer vertragsarztrechtlichen Versicherungspflicht:
Trotz der im gesamten Bundesgebiet bestehenden landes- bzw. berufsrechtlichen Verpflichtung ist der Bundesgesetzgeber der Auffassung, dass diese Regelungen für Vertragsärzte unzureichend sind. Denn eine tatsächliche Überprüfung des Versicherungsschutzes fände in den meisten Kammerbezirken nur anlassbezogen bzw. strichprobenartig auf Verlangen statt, aber nicht in einem standardisierten Verfahren. Dies wurde vom Bundesrechnungshof bei seiner Prüfung der Sicherstellung der Haftpflichtversicherung für vertragsärztliche Behandlungsfehler kritisiert. Das Bundesgesundheitsministerium wurde dazu aufgefordert, auf eine entsprechende Regelung im Vertragsarztrecht hinzuwirken.
Dies hat sich seit dem 20.07.2021 durch § 95e SGB V geändert:
1. Regelungen für Vertrags(zahn)ärzte
Nach § 95e Abs. 1 SGB V besteht eine Verpflichtung des Vertragsarztes, sich ausreichend gegen die sich aus seiner Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren zu versichern. Die gesetzliche Mindestversicherungssumme soll der marktüblichen Mindestversicherungssumme (zahn)ärztlicher und psychotherapeutischer Berufshaftpflichtversicherungen entsprechend.
Der Versicherungsschutz muss das individuelle Haftungsrisiko des Vertragsarztes abdecken.
Die gesetzliche Mindestversicherungssumme beträgt drei Mio. EUR für Personen- und Sachschäden für jeden Versicherungsfall.
Die Begrenzung der Leistungen des Versicherers für sämtliche innerhalb eines Jahres verursachten Schäden auf einen unterhalb des zweifachen Betrages der Mindestversicherungssumme liegenden Wertes ist unzulässig.
2. Regelungen für Berufsausübungsgemeinschaften und MVZ
– Die Mindestversicherungssumme beträgt für Berufsausübungsgemeinschaften, medizinische Versorgungszentren, anstellende und ermächtigte Ärzte fünf Millionen Euro für Personen- und Sachschäden für jeden Versicherungsfall beträgt;
– die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Jahres verursachten Schäden dürfen nicht weiter als auf den dreifachen Betrag der Mindestversicherungssumme begrenzt werden.
3. Angemessenheit der Berufshaftpflichtversicherung
Eine ausreichende Versicherung gegen die sich aus der Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren liegt vor,
– wenn das individuelle Haftungsrisiko des Vertragsarztes versichert ist,
– wobei die Mindestversicherungssumme nach § 95e Abs. 2 SGB V nicht unterschritten werden darf.
Hinweis: Somit reicht die Beachtung der gesetzlichen oder von den Selbstverwaltungspartnern vereinbarten Mindestversicherungssumme nicht in jedem Fall aus. Wie hoch die individuelle Versicherungssumme sein muss, hängt u.a. von der Facharztgruppe, dem Leistungsspektrum und dem Patientenstamm des Arztes ab. Zudem kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den jeweiligen Kammern und Bundesvereinigungen noch höhere Mindestversicherungssummen vereinbaren.
Bestätigung des Versicherers: Nach § 113 Abs. 2 VVG hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine Bescheinigung unter Angabe der Versicherungssumme und der gesetzlichen Grundlage, auf der die Versicherungspflicht beruht, sowie der wesentlichen Eckpunkte des Vertragsinhalts auszuhändigen und zu bescheinigen, dass die abgeschlossene Haftpflichtversicherung den Anforderungen der Vorschrift genügt, die die betreffende Pflichthaftpflichtversicherung anordnet.
4. Prüfung durch die Zulassungsausschüsse
Der Zulassungsausschuss muss zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen lediglich prüfen:
– ob der Vertragsarzt eine Bescheinigung vorgelegt hat, die den Anforderungen des § 113 Abs. 2 VVG entspricht und
– hinsichtlich der darin angegebenen Versicherungssumme hat er einen Abgleich mit der gesetzlichen oder von den Selbstverwaltungspartnern festgelegten Mindestversicherungssumme vorzunehmen, die nicht unterschritten werden darf.
5. Folgen des unzureichenden bzw. fehlenden Versicherungsnachweises
Erlangt der zuständige Zulassungsausschuss vom unzureichenden bzw. fehlenden Versicherungsnachweises Kenntnis, hat er den Vertragsarzt unverzüglich zur Vorlage einer Versicherungsbescheinigung nach § 113 Abs. 2 VVG aufzufordern. Legt der Arzt diese nicht vor, muss der Zulassungsausschuss mit sofortiger Wirkung das Ruhen der Zulassung spätestens bis zum Ablauf der Nachhaftungsfrist nach § 117 Abs. 2 VVG beschließen. Auf diese Konsequenz muss der Zulassungsausschuss den Leistungserbringer aber zuvor hinweisen.
Ein Verstoß gegen die Versicherungspflicht führt somit nicht sofort als gröbliche Pflichtverletzung zur Entziehung, sondern zunächst nur zum Ruhen der Zulassung.
Wird die Bescheinigung nicht innerhalb von zwei Jahren nach Anordnung des Ruhens der Zulassung vorgelegt, muss die Zulassung entzogen werden.
§ 95e Abs. 7 SGB V bestimmt, dass die Zulassungsausschüsse Verstöße gegen die Verpflichtung zur Unterhaltung einer ausreichenden Arzthaftpflichtversicherung der zuständigen Ärztekammer melden müssen, damit diese die erforderlichen berufsrechtlichen Maßnahmen ergreifen können.
Weitere gesetzlich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen sollen durch die Neuregelung unberührt bleiben.
6. Fristen
Nach § 95e Abs. 6 S. 1 SGB V müssen die Zulassungsausschüsse die bei ihnen zugelassenen Vertrags(zahn-)ärzte, medizinischen Versorgungszentren, Berufsausübungsgemeinschaften und ermächtigten Ärzte bis zum 20. Juli 2023 erstmals dazu auffordern, das Bestehen eines ausreichenden Berufshaftpflichtversicherungsschutzes innerhalb einer Frist von drei Monaten nachzuweisen.
Leistungserbringer sollten ihren Versicherungsschutz frühzeitig überprüfen und ggfs. anpassen:
Das Bestehen eines ausreichenden Versicherungsschutzes ist vom Vertragsarzt gegenüber dem Zulassungsausschuss zukünftig
– bei der Zulassung und
– auch bei der Genehmigung von Anstellungen nachzuweisen.
Hier sollte man deshalb frühzeitig einen entsprechenden Nachweis bei der Versicherung anfordern, damit das Zulassungsverfahren nicht dadurch verzögert wird.
Die Versicherungsbescheinigung nach § 113 Abs. 2 VVG ist zu unterscheiden von einer vorläufigen Deckungszusage nach §§ 49 ff. VVG. Während die vorläufige Deckungszusage dem Versicherten sofort und vor Abschluss des Hauptvertrags durch den Versicherer erteilt wird, erhält der Versicherte die Versicherungsbescheinigung erst mit Abschluss des Hauptvertrags und damit erst im Anschluss an die Prüfung der Übernahme der Versicherung durch den Versicherer.
Katharina Lieben-Obholzer, Rechtsanwältin bei KMW
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