Es war einmal ein Tourist in Bayern, der ein böses Wort entdeckte – das N-Wort, wie es heute heißt, wenn man nicht mehr sagen darf, was man meint, aber trotzdem meint, was man sagt. Der Mann war „entsetzt“. Der bürgerliche und bodenverhaftete „Focus“ ist es auch. Und so wird aus einer Speisekarte eine bundesweite Schlagzeile. Echt jetzt.
Doch was stand da eigentlich? Nun, das bleibt unklar. Man dürfe es nicht zitieren, schreibt der „Focus“, denn sonst würde man es ja reproduzieren – und das wäre ganz, ganz schlimm. Stattdessen erfahren wir, dass das Wort „rassistisch“ sei und man es früher für ein Gericht mit Sauce verwendet habe. Aha. Rätselraten auf sprachmoralischem Niveau.
Achtung, liebe Kollegen (generisches Maskulinum! – ggf. bitte googeln) vom „Focus“ – bitte tief durchatmen, sich hinsetzen, vielleicht ein feuchtes Tuch auf die Stirn legen. Ich frage jetzt etwas Ungeheuerliches, das in Ihrer Redaktionskonferenz vermutlich zur sofortigen Schnappatmung führen würde: Meinen Sie mit dem N-Wort vielleicht „Neger“? Und wenn ja – warum genau darf man das in einem journalistischen Text, in dem sich alles um genau dieses Wort dreht, nicht mehr schreiben? Weil es ein böses Wort ist? Ich dachte, verbotene Wörter gibt es nur in Diktaturen. Ich bin da etwas baff.
Aber zurück auf den Boden der biederen Tatsachen. Der Artikel liest sich wie eine pädagogisch betreute Gruselführung durch die Mottenkiste der Sprache. Man sieht förmlich, wie sich der Autor mit spitzen Fingern dem Thema nähert, in doppelter Schutzkleidung, mit der Ekel-Faszination eines Biologielehrers, der zum ersten Mal ein Kondom im Sexualkundeunterricht zeigen muss – ohne dabei rot zu werden.
Das wirklich Absurde: Je verbotener das Wort, desto größer die Lust am Drumherumreden. Da wird dann nicht das Wort gesagt, nicht das Gericht genannt, nicht die Lokalität enthüllt – aber seitenlang moralisiert. Als wäre das Verschweigen schon die höchste Form des Aufklärens. Wie früher bei prüden Hausfrauen, die den „Sittenverfall“ beklagten – und sich dabei so detailverliebt über „anzügliche Umstände“ ausließen, dass man sich irgendwann fragte, wer hier eigentlich wen erzieht.
Und das Ganze spielt sich in einem Land ab, in dem man Kindern erklärt, dass zwei Männer heiraten und Babys kriegen können – aber ein Wort aus dem 19. Jahrhundert auf einer Speisekarte wird zur nationalen Krise. Vielleicht sollten wir heikle Begriffe künftig einfach in Lautsprache wiedergeben? Oder besser gleich tanzen? Dann kann wenigstens niemand mehr behaupten, er habe sich an einem Wort verletzt – höchstens an einem Ausfallschritt.
Man kann gegen (echten!) Rassismus sein, ohne hysterisch zu werden. Man kann sensibel sein, ohne die Sprache zu zensieren wie ein zerbrechliches Gut. Aber genau das ist offenbar aus der Mode. Stattdessen wird nun jeder Buchstabe vermessen, jeder Klang verdächtigt. Und jeder, der ein Wort noch kennt, wird schnell zum Verdächtigen.
Der Tourist jedenfalls hat die Speisekarte fotografiert und will die Gaststätte öffentlich machen. Der „Focus“ hilft ihm dabei – ohne zu sagen, worum es geht. Eine neue Allianz der Sprach-Erregten. Man liest mit offenem Mund – und weiß doch nicht, was man geschmeckt hat. Willkommen im post-lexikalischen Zeitalter.
Und ja – falls Sie sich jetzt fragen, warum ich dieser Posse überhaupt einen ganzen Artikel widme: Genau deshalb. Weil es ein derartiger Wahnsinn ist, dass Ignorieren keine Option mehr ist. Auch wenn es wehtut, muss man sich da durchbeißen. Gerade weil es wehtut.
Vielleicht schmerzt es mich auch deshalb besonders, weil es ausgerechnet mein ehemaliger Arbeitgeber ist, der sich da anbiedert – das Magazin, das einst von Helmut Markwort gegründet wurde als Gegenentwurf zur linken Medienmonokultur, das einst „Fakten, Fakten, Fakten“ versprach – während seine Nachfolger heute lieber mit der Moralkeule wedeln, als die eigene Leserschaft ernst zu nehmen. Sie wurde verraten. Nicht aus Versehen, sondern mit Ansage.
Vielleicht ist das ja der Grund, warum Helmut Markwort heute auch meine Seite empfiehlt – obwohl der „Focus“ immer noch sein Kind ist.
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