Von Kai Rebmann
Um es vorweg klarzustellen: Ja, Pädophile brauchen ganz offensichtlich Hilfe. Es ist auch ausdrücklich zu begrüßen, wenn der Staat, Krankenkassen – oder wer auch immer – Betroffenen eben diese Hilfe zukommen lassen will. Und das ausdrücklich, bevor diese zu Tätern und Kinder zu lebenslang traumatisierten Opfern werden.
Die Frage ist jedoch, ob bei diesem hehren Ziel wirklich alle Mittel und alle Wege die „richtigen“ sind – oder ob es an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Sensibilität mit einem gesellschaftlichen Problem braucht, das immer noch viel zu oft wie ein Tabu behandelt wird. Ausgangspunkt für die hier angestoßene Debatte ist das Schreiben einer Leserin aus Bamberg, die uns über ihre Erfahrungen bei der Nutzung des ÖPNV in ihrer Heimatstadt wie folgt berichtet hat:
„Die Busse werden überwiegend von Schülern genutzt und ich habe mich beschwert über die Anzeige: ‚Lieben Sie Kinder auch mehr, als Ihnen lieb ist?‘ und habe bei den Stadtwerken nachgefragt, was ich meiner Enkelin erzählen soll, wenn sie das liest – oder wenn Kinder auf der Fahrt zur Schule diese Webseite empfohlen bekommen.“
Es geht um die Webseite „kein-taeter-werden.de“, ein aktuell aus verschiedenen öffentlichen Kanälen mit Beiträgen und Steuergeldern in Millionenhöhe gefördertes Projekt zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Kindern durch Pädophile. Und es geht wohlgemerkt ausdrücklich und ausschließlich um die Art und Weise der Bewerbung dieser Seite, sprich das Umfeld, in dem diese stattfindet. Um nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Bundesweite Kampagne mit Schwerpunkt auf Bayern und Sachsen-Anhalt
Nachdem die Kundin wochenlang vergeblich auf eine aussagefähige Antwort der Stadtwerke Bamberg, Betreiberin des lokalen ÖPNV, gewartet hatte, wandte sie sich schließlich an reitschuster.de. Wir haben also nachgehakt und tatsächlich fast postwendend die Auskünfte erhalten, die zuvor offenbar nicht erteilt werden wollten oder konnten. Sprecher Jan Giersberg legte zunächst Wert auf die Feststellung, dass „die Kundin sowohl eine Eingangsbestätigung als auch eine Zwischenmeldung“ erhalten habe. Auf den Kern der Anfrage wurde darin jeweils aber nicht eingegangen, wie dem Schriftwechsel (liegt reitschuster.de vor) zu entnehmen ist.
Gegenüber dieser Seite äußerten sich die Stadtwerke schließlich so: „Der Verkauf von Werbeflächen an unseren Bussen und innerhalb unserer Busse ist für die Stadtwerke Bamberg eine wichtige Erlösquelle zur finanziellen Entlastung des chronisch defizitären ÖPNV. Ohne diese Einnahmen müssten wir unser Liniennetz ausdünnen oder die Taktfrequenz unserer Linien reduzieren. Die Vermarktung der Werbeflächen erfolgt durch die Firma Ströer. Die Ströer Gruppe betont, dass sie nicht für die Inhalte und Gestaltung der Werbung verantwortlich ist, die Motive im Auftrag der werbungtreibenden Kunden von deren Kreativagenturen erstellt werden und Ströer selbstverständlich prüft, ob ein Plakat sittenwidrige oder strafrechtlich relevante Inhalte enthält.“
Weitere Recherchen haben ergeben, dass die Werbekampagne offensichtlich nicht nur in Bamberg auch im schulischen Umfeld läuft, sondern auch in zahlreichen weiteren Städten und Regionen insbesondere in Bayern und Sachsen-Anhalt. Das Projekt „kein-taeter-werden.de“ wurde im Jahr 2017 vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Modellvorhaben ausgewählt. Seit Anfang 2018 werden die Kosten „für die Aufgabenbereiche ‚Diagnostik und Therapie‘, ‚Koordination der bundesweiten Etablierung des Projekts‘ sowie die ‚Begleitforschung‘ von dem GKV-Spitzenverband übernommen“, wie das Bundesjustizministerium auf unsere Anfrage hin mitteilt. Weiter werde die „Vertiefung und Verstetigung der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen zur Begleitung des Modellvorhabens“ durch das BMJV gefördert, im laufenden Jahr 2025 mit 116.119 Euro.
Ministerium nimmt auch Eltern in die Pflicht
In Bayern fiel der Startschuss für das Projekt bereits im Jahr 2010. Neben Bamberg werden laut Auskunft des Staatsministeriums der Justiz noch zwei weitere Standorte in München und Regensburg unterhalten. „Im Haushaltsjahr 2025 stehen 925.000 Euro für das Präventionsprojekt ‚Kein Täter werden Bayern‘ zur Verfügung“, wie Marina Schreier vom Pressereferat des Ministeriums mitteilt. Ziel sei ausdrücklich „eine Verbesserung des Opferschutzes.“ Die Bewerbung auch in Schulbussen wird dabei nicht als kritisch empfunden: „Durch eine Werbung im Öffentlichen Personennahverkehr wird auf das Projekt aufmerksam gemacht und eine möglichst große Zahl von Menschen erreicht. Nur wenn Betroffene oder ihre Angehörigen das Projekt kennen, können sie sich dort Hilfe suchen.“
Ganz ähnlich wird das auch in Sachsen-Anhalt gesehen. Dort beläuft sich die Förderung laut Auskunft des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung seit dem Jahr 2020 auf 70.000 bis 148.000 Euro pro Jahr. Pressesprecher Martin Bollmann versichert, dass Bedenken bezüglich der Platzierung im Schulumfeld „vom Projekt ernst genommen“ würden. Es liege jedoch in der Natur der Sache, dass die Linien des ÖPNV auch an Schulen vorbeiführten, eine „gezielte Ansprache von Schulkindern“ sei dies aber nicht.
Dem mag man grundsätzlich zwar zustimmen. Gleichzeitig lässt diese Antwort alternative Lösungen jedoch vollkommen außer Acht, etwa die Möglichkeit einer Schaltung der durchaus sensiblen Inhalte der Werbung nur während der Abend- und Nachtstunden und damit außerhalb des Schulbusverkehrs. Oder aber man hält es mit dem Sprecher des zuständigen Ministeriums in Sachsen-Anhalt, der mit Blick auf die in der aktuellen Werbekampagne empfohlene Webseite ausführt: „Deren Aufruf erfordert ein internetfähiges Endgerät, dessen Nutzung und Kontrolle der Inhalte in der Verantwortung der Eltern liegt. Die Webseite selbst ist in Sprache und Inhalt eindeutig an hilfesuchende Erwachsene und Jugendliche gerichtet, nicht an Kinder.“
So wird Demokratie zur Farce: Gericht stoppt AfD-Kandidat, sichert SPD-Sieg und entmündigt Wähler
Ballweg, Parfüm und eine Hundematte: Wie aus 19,53 Euro ein medialer Schuldspruch konstruiert wurde
„Nie wieder“ war gestern: Der Fall Leandros zeigt, wie moralische Säuberung wieder schick ist
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ravelview / Shutterstock.com, Symbolbild
Bitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de
Pädophile werben um Verständnis – und wollen weitgehende Legalisierung
Soll die erotische Liebe zu Kindern salonfähig gemacht werden? Das versucht offenbar eine Webseite. Die Politik reagiert mit wenig Verständnis für die Opfer. Eine Leserin – selbst Betroffene – hat jetzt Strafanzeige gegen die Betreiber erstattet. Von Kai Rebmann.
Ampel will „Regenbogen-Familien“ stärken – auf Kosten der Kinder?
Die Bundesregierung plant weitreichende Reformen bei Adoption und Sorgerecht. Dazu sollen die Mindeststrafen bei Kinderpornografie wieder gesenkt werden. Einige der dabei verwendeten Wörter und Formulierungen müssen aufhorchen lassen. Von Kai Rebmann.
Frühsexualisierung von Kleinkindern auf Geheiß der WHO?
Die WHO und deutsche Behörde finden, schon Babys sollten zu „Vergnügen und Lust“ und zu „frühkindlichen Masturbation“ angeleitet werden. Von Kai Rebmann.
Schwulenberatung Berlin plant LSBTI*-Kita
Im Januar soll in Berlin die bundesweit erste LSBTI*-Kita ihre Pforten öffnen. Zumindest wenn es nach der Schwulenberatung geht. Die Kinder sollen dort schon früh mit „anderen Lebensweisen“ vertraut gemacht werden. Von Kai Rebmann.
Katholische Kirche bezahlt Spielschulden eines Priesters aus Sondervermögen für Missbrauchsopfer
Fragwürdige Zahlungen im Erzbistum Köln bringen Kardinal Woelki erneut in Erklärungsnot. Die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland steigt unterdessen auf ein Rekordniveau. Von Kai Rebmann.