• 25. Juli 2025

Wenn aus Hotels Albträume werden – und niemand sich wundert

ByRSS-Feed

Juli 25, 2025
Werbung

Eigentlich sollte hier der Name des Hotels stehen, das mir in München das Staunen gelehrt hat. Doch weil die Geschichte ein kleines, nostalgisches Happy-End hat, verzichte ich hier auf die Namensnennung – Sie werden am Ende dieser Geschichte verstehen, warum, und werden, so hoffe ich, meine Diskretion abnicken.

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Seit mich Helmut Markwort 1999 für den „Focus“ als Büroleiter ins ferne Moskau schickte, war es eine heilige Tradition, dass ich jedes Jahr zur Weihnachtsfeier nach München kam – und mich der Arbeitgeber dabei in einem sehr schönen Hotel unterbrachte, das über die Jahre zu einer Art zweiten Heimat geworden ist – zumindest zu einer Weihnachts-Heimat.

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Als ich vergangenes Wochenende zu einem Treffen meines Abitur-Jahrgangs nach Bayern reiste, schaute ich deshalb beim Buchen nach dem lieb gewordenen Hotel – und war sehr überrascht, dass es zu einem akzeptablen Preis verfügbar war. Nach dem Motto „man gönnt sich ja sonst nichts“, und aus Nostalgie, kam ich zurück an den Ort, der sich in meiner Erinnerung mit wohliger Weihnachtsstimmung und einem Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit eingebrannt hatte.

SEDO

Bis zum letzten Wochenende.

Denn seither denke ich mit Grausen an das Hotel, das ich vorher so schätzte.

Der erste kleine Ärger begann schon beim Einchecken – die Rezeption war unterbesetzt und ich musste lange warten. Aber daran hat man sich in Zeiten des allgegenwärtigen „Fachkräftemangels“ in Deutschland ja leider schon gewöhnt. Millionen Bürgergeldempfänger und unbesetzte Stellen in Massen – das gehört zu den zahlreichen Schizophrenien in diesem Land, die einem kaum noch auffallen.

Ein kleiner Trost war, dass ich als Upgrade ein Eckzimmer in den höheren Etagen bekam. Doch der Trost sollte schnell zum Schrecken werden. Denn das Zimmer roch ausgesprochen muffig. Ich versuchte zuerst, wie wohl viele Menschen in Deutschland heute in den unterschiedlichsten Situationen, mir alles schönzureden. Aber meine Nase spielte nicht mit. Also rief ich an der Rezeption an, die ich nach einiger Wartezeit auch erreichte (was nicht überall so ist in Deutschland im Jahr 2025 – erst kürzlich war ich in Berlin in einem Hotel, wo man niemanden mehr erreicht außer einem Sprachcomputer).

Ein Wort der Entschuldigung – oder gar eine Geste derselben – bekam ich nicht. Aber dafür ein anderes Zimmer. Auch das roch streng – aber nicht mehr so extrem muffig, sondern nur noch leicht muffig. Aber ich traute mich nicht, noch einmal zu reklamieren. Ich öffnete die Fenster so weit es ging und redete mir ein, es sei ja nicht so schlimm. Erst als mich am nächsten Tag eine gute Freundin besuchte und mich fragte, „wie riecht es denn bei Dir, das ist ja mufflig?“ wurde mir klar, dass es sich nicht um überzogene Ansprüche meinerseits handelt.

Das Zimmer hatte den Charme eines alten DDR-Hotels. Eine Beschädigung am Schrank war überklebt mit einer Art Pflaster – so etwas habe ich nie vorher gesehen außerhalb des alten Ostblocks. An den Wänden bröckelte der Putz, Möbeltüren waren abgeschlagen, so als hätten Hardrocker hier ihre Party gefeiert und ihre Instrumente zertrümmert. Auch die Schreibtischunterlage wirkte eher wie ein Schlachtfeld – mit Kratzern, Flecken und Druckstellen übersät. Vom Rost am Wasserhahn gar nicht zu reden. Auch draußen im Flur hatten die Wände und der Teppichboden schon weitaus bessere Zeiten gesehen – und offenbar so manchen rabiaten Gast.

Im Zimmer stand ein Hinweis-Schild, dass man nicht kochen und – man glaubt es kaum – nicht schächten (!) darf. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: eine Warnung vor der rituellen Schlachtung von Tieren ohne Betäubung, durch Kehlschnitt und Ausbluten – in einem Hotelzimmer in München.

Willkommen im Deutschland des Jahres 2025 – wo offenbar alles möglich ist und man mit dem Schlimmsten rechnen muss.

Unten im Wellnessbereich blätterte der Putz von der Wand, darunter offenbar Schimmel. Der Wasser-Eimer in den Duschen neben der Sauna fehlte ebenso wie die Deckenabdeckung darüber.

Einziger Trost: Das Frühstück war lecker und die Bedienungen ausgesprochen freundlich – auch wenn meine Versuche, einen koffeinfreien Cappuccino zu erhalten, wiederholt an den Sprachproblemen scheiterten.

Rückwirkend muss ich sagen: Dass ich mich über das Zimmer nicht beschwerte, zeigt, dass ich selbst schon an dem leide, was ich dem Land und seiner Gesellschaft vorwerfe: Resignation und Wegschlucken.

Erst, als ich nach der Abreise einen Fragebogen zugeschickt bekam, entlud sich meine Enttäuschung – und ich schrieb kurz und knapp meine Eindrücke nieder.

Wenige Stunden später klingelte eine Münchner Nummer an meinem Telefon. Am anderen Ende der Leitung war eine Mitarbeiterin des Hotels, die sich noch an mich aus der alten „Focus“-Zeit erinnerte – und genauso betroffen war wie ich von meinen Erlebnissen.

Es war wie eine Zeitreise – aus der Service-Wüste der Gegenwart, wo man natürlich keinen der Mitarbeiter, die man zu Gesicht bekommt, noch kennt, zurück in die Zeit, wo das noch anders war – wo man als Stammkunde immer auf bekannte Gesichter traf.

Die Dame war die Höflichkeit in Person. Und kurz danach bekam ich auch schon eine Nachricht von der Direktorin – dass sie mich sehr gerne sprechen würde.

Sie entschuldige sich vielmals – und sprach von einem Missverständnis: Die Reinigungs-Firma, natürlich „ausgesourct“, habe eindeutig im System hinterlegt, dass das Zimmer, in das ich einquartiert wurde, nicht in einem Zustand sei, in dem man Gäste hineinlassen könne. Aber eine Mitarbeiterin an der Rezeption habe das manuell überschrieben – was nicht hätte passieren dürfen.

Deutschland 2025, wie es leibt und lebt.

Aus den Worten der Direktorin hörte ich heraus, dass sie selbst unter dem leidet, was man heute als „Renovierungsstau“ bezeichnet. Als ich ihr sagte, dass die Etage, auf der ich war, inklusive Zimmer, dringend eine Generalüberholung bräuchte, fühlte es sich für mich so an, als höre ich am anderen Ende der Leitung ein leichtes Seufzen. Und als ob die arme Frau unter den Missständen, die ich erlebt habe, noch mehr leide als ich.

Weswegen ich ihr sagte: Ich werde die Geschichte über Ihr Hotel schreiben. Aber aus Rücksicht, und weil Sie so nett sind, werde ich den Namen nicht erwähnen. Aus ihrer Reaktion las ich eine doppelte Erleichterung heraus – auch darüber, dass sie dann dem Eigentümer noch mal drastisch vor Augen führen kann, wie hoch der „Renovierungsstau“ ist.

Vielleicht liegt das Problem nicht beim Hotel. Sondern bei mir – weil ich dachte, ein Zimmer in München sei noch ein Ort zum Wohlfühlen. Nicht zum Schächten.

Vielleicht war es mein Fehler, zu glauben, dass man an Orten von früher noch Geborgenheit findet. Aber 2025 ist nicht 1999. Nicht einmal in München.

Ich weiß: Es gibt Schlimmeres. Aber wer in einem Hotelzimmer in Deutschland ernsthaft davor gewarnt wird, Tiere zu schächten, der merkt: Der Putz bröckelt nicht nur an der Wand – sondern am ganzen System.

Es sind diese kleinen Geschichten, die mir zeigen, dass wir längst wieder dort angekommen sind, wo man sich alles schönreden muss, um den Alltag zu ertragen. So wie früher in der DDR, wo es an vielem mangelte – aber nie an Durchhalteparolen. Nur dass es damals wenigstens noch eine Ausrede gab: den Mangel an Freiheit, Ressourcen, Westgeld. Heute gibt es nur noch den Mangel an Verantwortungsgefühl.

Wo man hinblickt, Zerfall: In Flughäfen fehlen Gepäck-Mitarbeiter, in Behörden Termine, in Hotels die Sauberkeit – und in der Politik die Scham. Der Mittelstand wird stranguliert, während Start-ups aus Katar subventioniert werden. In mancher Notaufnahme wartet man länger als auf einen neuen Pass. Der Handwerker sagt, er komme im Oktober – nur ohne Jahreszahl. Und in so manchem Ministerium hat man das Gefühl, es regiert nicht der Verstand, sondern ein Workshop-Protokoll.

Was ich in München erlebte, war nicht das einzige „Hotel-Erlebnis” der letzten Zeit. In Wetzlar begegnete mir eine Kakerlake im Badezimmer. Die Rezeption versprach, das Zimmer umgehend zu „versiegeln“. Eine Stunde später zogen neue Gäste ein. Im Berliner Hilton lagen die gebrauchten Socken meines Vorgängers noch im Schrank. Niemandem fiel es auf – oder es war einfach egal. Es gab auch keine Entschuldigung – nur den Hinweis, ich könne sie vor dem Hotel ablegen. Und im Frühstücksraum desselben Berliner Hotels drängten sich die Gäste wie früher beim Bananenverkauf im Intershop – samt Geschubse um die Kaffeetassen. Müll und Essen standen auf denselben Servierstationen und nicht nur deshalb hätte jeder Mitarbeiter eines Gesundheitsamtes Schweißperlen auf der Stirn gehabt – zumindest bis vor zwanzig Jahren. Heute zuckt niemand mehr mit der Wimper.

Auch vor dem Weiterflug setzte sich das Bild fort. Am Münchner Flughafen bildeten sich vor den Lufthansa-Lounges riesige Warteschlangen, die sich langsamer bewegten als einst die Brot-Schlangen in der Sowjetunion. Es durfte erst jemand hinein, wenn jemand hinauskam – Zugangsbeschränkung im Premiumbereich. Als ich es wagte, aufzumucken, weil damit der Sinn von Lounges ad absurdum geführt wird, sahen alle – bis auf einen – betreten zur Seite. Niemand sagte etwas. Niemand verließ die Schlange. Hätte ich nicht auf jemanden gewartet, wäre ich einfach ins Restaurant gegangen. Aber die meisten standen da wie versteinert – und schluckten.

Was für eine Symbolik: Was als Luxus beworben wird, wird zur Tortur. Ein Ort, der zur Entspannung gedacht ist, verwandelt sich in eine Warteschlange mit Zugangskontrolle. Und alle tun so, als sei das normal. Wir stehen an, warten still und nennen es zivilisiert – dabei ist es längst Kapitulation vor Zuständen, die wir nie akzeptieren wollten.

Wer noch einen Funken Stolz oder Selbstachtung hätte, würde gehen. Ein Zeichen setzen. Aber niemand geht. Alle bleiben stehen. Schweigend, blicklos, wie eine Schafherde. Und ich? Ich stand mittendrin. Und wartete. Die Resignation, die Selbstaufgabe – sie scheinen ansteckend zu sein.

Vielleicht ist es genau das, was mich so sehr an die späte Sowjetunion erinnert: Nicht die Armut, nicht der Mangel – sondern diese schleichende Gleichgültigkeit gegenüber dem Verfall. Diese Mischung aus Rückzug, Resignation und stillem Zorn.

Ich weiß, das klingt düster. Aber vielleicht hilft es, wenn wir anfangen, diese Geschichten zu erzählen. Nicht um zu jammern – sondern um zu erinnern, wie es mal war. Und wie es nicht werden sollte. Denn die Jüngeren kennen es oft nicht anders – sie halten diesen Niedergang für Normalität.

Was ich hier geschildert habe, sind nur Symptome. Die eigentliche Frage lautet: Wie konnte es so weit kommen? Was hat diesen schleichenden Verfall möglich gemacht – und warum scheint sich kaum noch jemand daran zu stören?

Wenn Sie ähnliche Erlebnisse hatten: Schreiben Sie mir. Denn manchmal verdeutlicht nichts den Ernst der Lage so sehr wie ein Schild, das sagt, man solle bitte nicht schächten. In einem Hotelzimmer. In München.

Aber es geht längst um mehr als Anekdoten. Es geht um ein Lebensgefühl, das still verloren geht – und um eine Gesellschaft, die sich daran gewöhnt, dass wenig klappt, und noch weniger hinterfragt wird. Genau darüber möchte ich in den nächsten Tagen schreiben. Und vielleicht helfen Ihre Erfahrungen dabei, das Puzzle zu vervollständigen.

Denn vielleicht braucht es genau solche absurden Momente, um wieder zu spüren, was normal sein sollte – und was nicht mehr hinnehmbar ist.

Im Dezember 2019 ging meine Seite an den Start. Heute erreicht sie Millionen Leser im Monat – mit Themen, die andere lieber unter den Teppich kehren.

Mein Ziel: 

Sie kritisch durch den Wahnsinn unserer Zeit zu lotsen.
Ideologiefrei, unabhängig, furchtlos.

Ohne Zwangsgebühren, ohne Steuergelder oder Abo‑Zwang. Ohne irgendjemanden zur Kasse zu bitten. Nur mit Herzblut – und mit Ihnen an meiner Seite. Jede Geste, ob groß oder klein, trägt mich weiter. Sie zeigt: Mein Engagement – mit all seinen Risiken und schlaflosen Nächten – ist nicht vergeblich.

Der direkteste Weg (ohne Abzüge) ist die Banküberweisung:
IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71.

Alternativ sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – allerdings werden dabei Gebühren fällig. Über diesen Link

Auch PayPal ist wieder möglich.
Nicht direkt – aber über Bande, dank Ko-fi: Über diesen Link

(BITCOIN-Empfängerschlüssel auf Anfrage)

Wenn Ihr Geld aktuell knapp ist – behalten Sie es bitte. Niemand muss zahlen, um kritisch informiert zu bleiben. Mir ist es wichtig, dass jeder hier mitlesen kann – ohne Ausnahme. Gleichzeitig bin ich umso dankbarer für jede Unterstützung, die keinen Verzicht abverlangt. Jede Geste, ob groß oder klein, ist für mich ein wertvolles Geschenk und trägt mich weiter.

Dafür: Ein großes Dankeschön– von ganzem Herzen!

„Nie wieder“ war gestern: Der Fall Leandros zeigt, wie moralische Säuberung wieder schick ist

Wurde der Ton beim Weidel-Interview manipuliert? ARD unter Verdacht – Tontechniker entlarvt?

Merz taumelt ins Kanzleramt – aber um welchen Preis? Das wahre Drama hinter dem zweiten Wahlgang

Bild: Boris Reitschuster

Bitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.

Mehr zum Thema auf reitschuster.de

Teile den Beitrag mit Freunden
Werbung