Es war eine jener TV-Szenen, bei denen man kurz innehält: Ein Bundesminister sitzt bei Maischberger, spricht von „Zensur“, von „grüner Verbotskultur“, von „linkem Tugendterror“. Er regt sich über gestrichene Lieder, entstellte Denkmäler, abgesagte Lesungen auf. Und das nicht etwa als AfD-Gast oder konservativer Kolumnist, sondern als Kulturstaatsminister der Bundesregierung. Wolfram Weimer heißt der Mann, und er spricht aus, was viele fühlen – aber bisher niemand im Regierungsauftrag sagte.
Weimer attackierte in der ARD-Talkshow seine Mit-Diskutantin Grünen-Politikerin Kathrin Göring-Eckardt („wir bekommen Menschen geschenkt“) scharf: Sie und ihre Genossen lebten in einer „grünen woken Blase“, die Freiheitsrechte bedrohe. Als Beispiele nennt er das Lindenberg-Verbot in einer Schule, die Venus-Statue mit Feigenblatt in Leipzig, Karl-May-Verbote, „absurde“ Trigger-Warnungen. Und Weimer stellt sich demonstrativ vor Kunstfreiheit, Satire und Meinungsvielfalt. Besonders alarmierend findet er, dass laut Umfragen nur noch 40 Prozent der Deutschen glauben, man könne hierzulande offen seine Meinung sagen, ohne Nachteile zu befürchten – in den 90er-Jahren waren es noch 95 Prozent. Doch was auf der „Bild“-Titelseite wie ein kulturpolitisches Donnerwetter klingt, wirft bei näherem Hinsehen Fragen auf.
Denn bisher ist Weimer vor allem ein Minister der Worte. Klar, er hat einen vielbeachteten Gastbeitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ verfassst – eine Kampfansage an den „moralischen Imperialismus“ von links wie rechts. Er warnte dort vor „Empörungskultur“, vor einer „Erziehungsgesellschaft“, die aus Angst vor Shitstorms lieber verzichtet als streitet. Es war ein liberaler Appell, wohlformuliert und streitbar.
Doch was folgt daraus? Welche Behörden hat er zurechtgewiesen? Welche Förderlinien hat er geändert? Gibt es neue Richtlinien für Museen, für Theater, für von Steuergeld finanzierte Programme? Bislang: nichts Konkretes. Die Kritik an „Cancel Culture“ bleibt moralisch und medial, aber nicht institutionell unterlegt. Das Problem dabei: Je lauter ein Minister gegen Verbotskultur wettert, ohne selbst Strukturen zu ändern, desto eher wird er zur Karikatur seiner eigenen Mahnung.
Dabei wäre Weimer in der Lage, zu handeln. Der Kulturhaushalt beträgt Milliarden. Weimers Einfluss auf Förderrichtlinien ist real. Doch er nutzt ihn bislang nicht sichtbar. Während Intendanten nach politischer Korrektheit schielen und Preisjurys ideologische Kriterien betonen, bleibt ausgerechnet der Mann für Kulturfreiheit merkwürdig folgenlos. Es wirkt fast, als wolle er Applaus auf beiden Seiten: von konservativen Kritikern wie von liberalen Feuilletonisten.
Vielleicht ist das der wahre Kulturkampf: Nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen Haltung – im alten Wortsinne, nicht im rot-grün pervertierten – und Handlung. Weimer hat nun gezeigt, dass er laut sein kann. Jetzt muss er beweisen, dass er auch wirksam ist.
Oder um es mit einem seiner eigenen Schlagworte zu sagen: Der „Tugendterror“ endet nicht mit einem Tweet, mit einem Gastbeitrag und/oder Talkshow-Auftritt – sondern mit einer Verwaltungsvorschrift.
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Bild: ARD/Screenshot
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