Von Kai Rebmann
„Goodbye Deutschland“ – das sagen immer mehr Bundesbürger, die sich ein besseres Leben in einem neuen Umfeld erhoffen. Alleine im vergangenen Jahr zog es laut Statistischem Bundesamt wieder mehr als 275.000 Deutsche ins Ausland. Zum Vergleich: bis einschließlich 2015 unterlag diese Zahl kaum nennenswerten Schwankungen und hatte sich relativ stabil bei knapp 150.000 Auswanderern pro Jahr eingependelt. Als beliebteste Ziele gelten dabei seit Jahren – in dieser Reihenfolge – die Schweiz, Österreich, die USA und Spanien.
Was viele jedoch nicht wissen, ist die Tatsache, dass Vater Staat eine Auswanderung – mancher spricht angesichts der Motive für den Gang ins Ausland schon von „Republikflucht“ – zu einem durchaus kostspieligen Abenteuer machen und im schlechtesten Fall sogar ganz verhindern kann. Das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet „Wegzugsbesteuerung“ und kann wie ein Damoklesschwert über Deutschen schweben, die ihr neues Glück in der Ferne suchen – nicht selten sogar jahrelang und ohne, dass diese es wissen.
Das Instrument ist zwar nicht neu, wurde im vergangenen Jahr aber nochmal deutlich nachgeschärft und soll dem Exodus auf anhaltend hohem bis steigendem Niveau endlich Einhalt gebieten. Denn es sind vor allem die Leistungsträger der Gesellschaft, die Deutschland verlassen, also gut qualifizierte Arbeitskräfte, die auch im Ausland händeringend gesucht und oft auch besser bezahlt werden. Wieder andere Auswanderer reizt die Aussicht auf eine höhere Lebensqualität – oder sie haben schlicht die Nase voll von dem alltäglichen Wahnsinn, der sie in ihrer alten Heimat umgibt.
Wegzugsbesteuerung – was ist das und wer ist davon betroffen?
Wie so oft in solchen Fällen, hatte auch die Wegzugsteuer durchaus ihre Berechtigung. In ihrer modernen Form wurde die Abgabe in den frühen 1970er-Jahren als Reaktion auf die Steuerflucht des Unternehmers Helmut Horten in die Schweiz eingeführt. Jahrzehntelang waren davon dann fast ausschließlich die (Mit-)Eigner an Kapitalgesellschaften betroffen, die mindestens 1 Prozent der Anteile hielten, und auch nur solche, die sich dauerhaft im Ausland niedergelassen haben – bis es in den Jahren 2022 und 2024 noch unter der Ampel zu weitreichenden Änderungen gekommen ist.
Bis zur ersten Verschärfung vor drei Jahren war es möglich, die Wegzugsteuer zinslos und unbefristet zu stunden. Fällig wurde sie erst, wenn es tatsächlich zu einem Verkauf der entsprechenden Anteile kam. Es galt also der Grundsatz, dass erst dann eine Steuerschuld entsteht, wenn zuvor auch ein Gewinn erzielt wurde. Jetzt geht das Finanzamt jedoch von einem fiktiven Veräußerungsgewinn aus und berechnet, wie viel ein Verkauf der betreffenden Anteile zum jeweils aktuellen Stand einbringen würde. Auswanderer müssen also flüssig genug sein, um die geforderte Summe auch tatsächlich begleichen zu können, was je nach Umfang und Art der Anteile zu einer mehr oder weniger großen Herausforderung beziehungsweise Belastung werden kann.
Ausnahme: Wenn innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren eine Rückkehrabsicht nach Deutschland besteht, kann die aus fiktiven Gewinnen berechnete Steuerschuld auch weiterhin zinslos gestundet werden. Auf Antrag kann dieser Zeitraum einmalig um weitere fünf Jahre verlängert werden, insgesamt also auf 12 Jahre. Aber: Der Steuerschuldner, sprich der Auswanderer, muss seine Rückkehrabsicht gegenüber den deutschen Behörden erstens nachweisen und diese zweitens fortlaufend über seinen jeweils aktuellen Meldesitz im Ausland informieren.
Staat hält auch bei ETFs und Investmentfonds die Taschen auf
Noch dreister ist aber die Änderung im Jahressteuergesetz 2024, die zum 1. Januar 2025 in Kraft getreten ist. Mit dieser jüngsten Verschärfung der Wegzugsbeteuerung wurde insbesondere die Zahl der von dieser Abgabe betroffenen Bundesbürger massiv erhöht, auch wenn es dabei in bestimmten Fällen auch weiterhin Freigrenzen gibt, die wenigstens den „kleinen Sparer“ noch verschonen.
Seit Jahresbeginn fallen auch sämtliche Anteile an Investmentfonds und ETFs darunter, die diese Freigrenzen überschreiten. Und auch in diesem Fall müssen diese nicht tatsächlich verkauft werden und damit einen echten Gewinn zeitigen – es gilt die Annahme eines fiktiven Gewinns. Ähnliches gilt für Erbfälle oder Schenkungen, wenn der Erbe im Ausland wohnt, der Erblasser jedoch in Deutschland gemeldet war. Von der Steuer ausgenommen bleiben damit lediglich solche Fälle, aus denen ein Veräußerungsverlust entsteht beziehungsweise fiktiv entstehen würde.
Perfide: Der Staat greift in zunehmendem Maße also auch in die Altersvorsorge seiner Bürger. Seit Jahren werden Investmentfonds und insbesondere ETFs von Experten landauf landab als unverzichtbarer Bestandteil der privaten Vorsorge fürs Rentenalter empfohlen. Dass der Staat ab sofort ausgerechnet dabei mitverdienen will, hat mehr als nur einen faden Beigeschmack und spottet allen von der neuen schwarz-roten Koalition versprochenen Steuersenkungen blanken Hohn.
Da die Wegzugsbesteuerung untergeordnet zur Einkommensteuer zählt, richtet sich die Höhe der zu entrichtenden Abgabe im Einzelfall immer nach dem jeweils gültigen Steuersatz des Betroffenen. Bei ETFs und „normalen“ Investmentfonds gelten als Schwellenwerte ein Anteil von 1 Prozent oder ein Anschaffungswert der Anteile von mindestens 500.000 Euro. Für sogenannte Spezialfonds gelten diese Freigrenzen jedoch nicht, hier wird die Wegzugsteuer ab dem ersten Euro der Beteiligung fällig. Ebenso werden nach wie vor praktisch alle Anteilseigner einer klassischen GmbH unter die Wegzugsbesteuerung fallen, es sei denn der Anteil läge unter 1 Prozent. Diese und alle weiteren Einzelheiten hierzu sind in Paragraf 6 AStG (Außensteuergesetz) geregelt.
Aber: es gibt natürlich auch in diesem Fall noch Schlupflöcher! Zwei der am weitesten verbreiteten Möglichkeiten, die Wegzugsteuer und damit den Zugriff des Staates auf das eigene Vermögen zu umgehen, sind die Übertragung potenziell steuerpflichtiger Anteile auf eine andere natürliche Person, etwa auf womöglich in Deutschland bleibende Kinder, oder die Gründung einer Stiftung mit anschließender Übertragung der Anteile auf eben diese Stiftung – als deren Ziel sodann die Versorgung beziehungsweise finanzielle Absicherung des Stifters definiert wird. In beiden Fällen müssen die entsprechenden Formalitäten selbstverständlich vor dem Wegzug aus Deutschland über die Bühne gehen. Das sind sicher nur zwei Beispiele, über deren Details ein gut aufgestellter Steuerberater seine Klienten mit Sicherheit informieren kann und wird.
Wegzugsbesteuerung auch für Ausländer möglich
Selbst Ausländer, die es nach mehreren Jahren in Deutschland wieder zurück in ihre Heimat (oder woanders hin) zieht, können unter die Wegzugsbesteuerung fallen, sofern sie die grundsätzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllen. Unter Paragraf 6, Absatz 2 AStG heißt es hierzu: „Unbeschränkt Steuerpflichtige […] sind natürliche Personen, die innerhalb der letzten zwölf Jahre […] insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig im Sinne des Paragrafen Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes gewesen sind.“ Als weitere Voraussetzung kommt hinzu, dass durch die Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland entfallen muss.
Hiervon sind ganz aktuell insbesondere immer mehr Polen betroffen. Erstmals seit 30 Jahren ist in diesem Zusammenhang eine Trendwende zu beobachten, sprich es ziehen immer mehr Polen zurück in ihrer Heimat als es Menschen in die umgekehrte Richtung zieht. 83.868 Zuzügen standen im Jahr 2024 insgesamt 95.107 Wegzüge gegenüber. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und reichen von überbordender Bürokratie und seit Jahren schwächelnder Wirtschaft in Deutschland bis hin zu den genau gegenteiligen Entwicklungen bei unserem östlichen Nachbarn.
Aber auch für Deutsche, die weder Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und/oder ETFs halten, kann das Außensteuergesetz zu einem bösen Erwachen im Ausland führen. Die unbeschränkte Steuerpflicht besteht in diesen Fällen in aller Regel zwar nicht mehr. Deutsche können gemäß Paragraf 2 AStG aber weiterhin einer erweiterten beschränkten Steuerpflicht in ihrer Heimat unterliegen, wenn sie ihren Wohnsitz in ein Niedrigsteuerland oder ein solches mit Vorzugsbesteuerung verlegen und auch weiterhin wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland verfolgen.
Wichtig: Es müssen hierzu alle genannten Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt ein, d.h. Wegzug ins Ausland, Niederlassung in einem „Steuerparadies“ und das weitere Bestehen wirtschaftlicher Interessen in der ehemaligen Heimat. Letzteres ist in der Praxis jedoch bereits durch Einnahmen aus Immobilien, Beteiligungen oder einer der weiteren Einkunftsarten gegeben.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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