Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Manfred Weber hatte es nicht leicht im Leben. Als er 2018 zum Spitzenkandidaten der EVP für die Europawahl 2019 gekürt wurde, ging er zweifellos davon aus, dass er bei passendem Wahlergebnis auch den Posten des Kommissionspräsidenten ergattern würde, doch daraus wurde nichts – in trauter Runde entschieden vor allem Macron und Merkel, die beiden lupenreinen Demokraten, dass man doch eher auf die regierungserfahrene Kraft Ursula von der Leyen bauen wolle, die seither ihr segensreiches Wirken entfaltet, und Weber hatte das Nachsehen.
Kein Wunder, dass er ab und an das Licht der Öffentlichkeit sucht, das ihn als Präsident der Kommission im Übermaß beschienen hätte. So gab er beispielsweise vor einigen Tagen dem bekanntermaßen seriösen Blatt „Süddeutsche Zeitung“ ein ausführliches Interview, in dem er sich nicht zuletzt mit der Migrationsproblematik und der unerwünschten politischen Konkurrenz beschäftigte. Es genügt, eine Auswahl von Passagen zu betrachten, um einen Einblick in sein Denken zu erhalten.
Er eröffnet den Reigen der Erkenntnisse mit der Äußerung, die Lage sei ernst und die Zukunft Europas stehe auf dem Spiel. Da stimme ich ihm zu, allerdings dürfte dieser Umstand der katastrophalen Politik der Europäischen Union und der Inkompetenz von Politikern wie Merz und Macron geschuldet sein, von Merkels Erbe will ich gar nicht reden. Weber sieht das selbstverständlich anders. Er meint, es sei nun „entscheidend, den Unterschied zu den Populisten klarzumachen. Populisten verführen die Massen, während wir führen. Als Christdemokraten und Christsoziale hatten wir in unserer Geschichte immer die Kraft, die Welt zu erklären, die Menschen bei den notwendigen Veränderungen mitzunehmen. Das Vermitteln der Herausforderungen muss wieder in den Mittelpunkt unserer Politik rücken.“
Das hat er schön gesagt. Nicht beachtet hat er das Problem, warum wohl Populisten, falls es denn stimmen sollte, dass sie nur verführen, eine derart große Verführungskraft entwickeln können. Liegt es etwa daran, dass die politische Klasse, für die Manfred Weber steht, zwar führt, aber seit Langem und mit erstaunlicher Beharrlichkeit in die falsche Richtung? Und die Unionsparteien hatten stets die Kraft, „die Welt zu erklären, die Menschen bei den notwendigen Veränderungen mitzunehmen“? Mir ist bisher noch keine überzeugende Welterklärung des begabten Philosophen Friedrich Merz aufgefallen und auch keine seiner Parteikollegen. Und über die Frage, welche Veränderungen denn tatsächlich notwendig seien und welche nur ideologischer Unsinn, sollte auch Weber noch einmal nachdenken. Dabei reicht es aber nicht, das „Vermitteln der Herausforderungen … wieder in den Mittelpunkt unserer Politik“ zu rücken, denn Bürger wollen kein leeres Gerede über Herausforderungen hören, sondern konkrete Lösungen konkreter Probleme erleben.
Doch Weber bleibt nicht bei allgemeinen Philosophemen stehen, sondern äußert sich auch zum Umgang mit der Migration. Es sei die Aufgabe der Politik, „den Leuten zu erklären, dass Deutschland Zuwanderung braucht, etwa in der Pflege“. Und das hat Folgen, denn „Bayern und Deutschland werden vielfältiger, unsere Städte werden ein Stück weit ihr Gesicht verändern. Das müssen wir den Menschen ehrlich sagen, sonst laufen wir in die nächste Vertrauensfalle“. Dabei stellt er klar: „Zuwanderer-Geschichten müssen als Erfolgsgeschichten erzählt werden.“ Nun braucht Deutschland sicher Zuwanderung, aber dabei handelt es sich um qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, die auch Weber anspricht. Leider wird das Land auch und gerade von massiver Zuwanderung der anderen Art geplagt, und die ist es, von der die Probleme ausgehen. Und diese Probleme kann man nicht mit dem Hinweis auf Pflegekräfte oder Bauarbeiter aus der Welt schaffen. Es ist auch keineswegs wahr, dass Zuwanderer-Geschichten als Erfolgsgeschichten erzählt werden müssen. Schon das Wort „müssen“ zeigt, wes Geistes Kind Weber ist. Sicher, es gibt erfolgreiche Zuwanderer, das leugnet keiner.
Aber viele, zu viele Zuwanderer-Geschichten zeigen den Erfolg nur für den Zuwanderer selbst, der sich erfolgreich des deutschen Sozialsystems erfreut. Es ist angesichts solcher Sätze nicht überraschend, dass „wir“ – wer auch immer das sein mag – „in die nächste Vertrauensfalle“ laufen, obwohl man präziser sagen sollte, dass die etablierte Politik schon längst in dieser Vertrauensfalle steckt und für lange Zeit wohl kaum herauskommen wird.
Doch am schönsten ist der Satz: „Bayern und Deutschland werden vielfältiger, unsere Städte werden ein Stück weit ihr Gesicht verändern.“ Man fühlt sich erinnert, an den großartigen Ausspruch der SPD-Politikerin Aydan Özoguz, die im Jahr 2015 meinte: „Unsere Gesellschaft wird weiter vielfältiger werden, das wird auch anstrengend, mitunter schmerzhaft sein. Unser Zusammenleben muss täglich neu ausgehandelt werden.“ Nicht dass ihr das missfallen hätte, sie sah es wohl eher als positive Zukunftsvision, und inzwischen wissen wir, wie genau die Beschreibung stimmte. Weber scheint das nicht zu stören. Es steht außer Frage, dass die Städte ihr Gesicht verändert haben, dass Deutschland „vielfältiger“ geworden ist, und wie sich das oft genug auswirkt, konnte man beispielsweise am Abend des 28. September in Gelsenkirchen sehen. Man muss aber gar nicht auf Gewalttaten, die das Prinzip der Vielfalt stärken, zurückgreifen, es gibt auch hinreichend viele alltägliche Beispiele. Allen, die sehen wollen, wie „unsere Städte … ein Stück weit ihr Gesicht verändern“, sei empfohlen, einmal mit dem Auto am Hauptbahnhof der Stadt Hagen in Nordrhein-Westfalen vorbeizufahren und sich genau umzusehen. Aussteigen würde ich allerdings nicht empfehlen.
Nun ist Weber aber eigentlich Europapolitiker, und es nimmt ein wenig wunder, dass er gedanklich in Bayern und in Deutschland bleibt, wo er doch so schöne Beispiele vor der eigenen beruflichen Haustür hat. Der unermüdliche Argo Nerd hat darauf aufmerksam gemacht. Denn Brüssel ist nicht nur die gefühlte Hauptstadt des heiligen europäischen Reiches unklarer Nation, sondern auch mit Migration reichlich gesegnet. Das beschreibt auch das Portal visit.brussels, das sich selbst als „Einrichtung von öffentlichem Interesse, die von der Region Brüssel-Hauptstadt subventioniert wird“, beschreibt, zu deren Aufgaben die „Schaffung von Erlebnissen, die die Attraktivität der Region repräsentieren“, gehört. Dort kann man lesen: „Wussten Sie, dass Brüssel die zweitkosmopolitischste Stadt der Welt ist? Und damit auch die kosmopolitischste Stadt Europas? Fast 40 % der Menschen, die in Brüssel wohnen, haben nicht die belgische Staatsangehörigkeit. Kein Wunder also, dass Offenheit und Respekt für alle Menschen in ihrer Vielfalt fest in der Brüsseler Mentalität und Lebensart, ja im Alltag verankert sind.“ Und kurz darauf: „In Brüssel gibt es zahlreiche Viertel, die als sprichwörtliche kulturelle Schmelztiegel funktionieren! Und tatsächlich mutet Brüssel manchmal wie ein großes Experiment der kulturellen Vielfalt an, das überraschend gut gelingt. Denn wie heißt es so schön: In Brüssel bleiben Sie Sie selbst, hier sind Sie frei in Ihrer Kultur! Entdecken auch Sie die Brüsseler Vielfalt!“
Es ist eine beeindruckende Form der Vielfalt, die deutlich zeigt, dass in Webers Sinn nicht nur die deutschen Städte „ein Stück weit ihr Gesicht verändern“. „In Brüssel“, liest man bei der FAZ, „tobt ein Krieg zwischen Rauschgiftbanden, der für die Bürger immer gefährlicher wird. Alle paar Tage gibt es Schießereien.“ Und wo gibt es die? „Immer wieder kommt es zu Schießereien in den Problemvierteln, vor allem im Westen der Stadt, in Anderlecht und Molenbeek, aber auch im Brüsseler Zentrum, wo sich Rauschgiftbanden Terrain erobert haben.“ Nun darf man Vermutungen äußern, von welchen Bevölkerungsgruppen die beiden Stadtteile geprägt sind. „Molenbeek in Brüssel wurde zum Inbegriff von negativen Folgen der Migration“, konnte man in dem Blatt „Kleine Zeitung“ lesen, und die Verhältnisse in Anderlecht sind nicht besser. Das sind die „Viertel, die als sprichwörtliche kulturelle Schmelztiegel funktionieren“. Das ist der Beweis, wie gut das große „Experiment der kulturellen Vielfalt“ gelingt. „Bayern und Deutschland werden vielfältiger, unsere Städte werden ein Stück weit ihr Gesicht verändern“, meinte Manfred Weber. So wie Brüssel?
In Brüssel hat man erste Konsequenzen gezogen und lässt zur Unterstützung der Polizei auch noch die Armee patrouillieren. In Deutschland mobilisiert man andere Truppen. So findet sich beispielsweise ein von der Stadt Köln gefördertes Projekt mit dem klingenden Namen „Ja zu Migration“, bei dem „Stimmen aus der Gesellschaft“ gesammelt werden, „die sich klar für Vielfalt, Zusammenhalt und gegenseitigen Respekt aussprechen. Wir machen deutlich: Migration ist eine Bereicherung“. Brüssel, Gelsenkirchen und viele andere Städte haben das unwiderlegbar bewiesen. Dennoch kann es nicht schaden, das eine oder andere beeindruckende Beispiel dieser Stimmen aus der Gesellschaft mit einem Blick zu würdigen. Unter der Überschrift „Ja zu Migration“ wird jeweils ein Mensch abgebildet, der in einem Satz seine Auffassung zur Migration preisgibt. Ich beschränke mich auf vier Beispiele.
Das sind die üblichen Plattheiten, die so gerne verwendet werden. Folgt man dem ersten Teilnehmer, so müssten Menschen auch wichtiger sein als Mauern oder Gartenzäune, denn auch das sind nur bestimmte Arten von Grenzen, sodass man jeden und jede und jedes in das eigene Haus, in den eigenen Garten lassen müsste. Und der Vertreterin der Bereicherungsthese darf man ein Gespräch mit Opfern von Diversität und Vielfalt empfehlen, die aber vermutlich in ihrer Welt nicht vorkommen.
Nicht minder interessant ist die nachstehende Theorie über Lebensmittelpunkte.
Jeder kann leben, wo er will, und keiner darf ihn daran hindern, weil es ja sein Recht ist. Kontrollen sind hinfällig, Genehmigungen sind bedeutungslos, jeder darf kommen. Über die Folgen muss ich nicht reden.
Doch am besten hat mir das folgende Bekenntnis gefallen.
In diesem Fall könnte ein „Ja zu Migration“ eher bedeuten, dass die betreffende Dame sich selbst auf den Weg macht und in eine Gegend migriert, in der sie mit den „Deutschland Geborenen“ wenig bis nichts zu tun hat. Migrieren kann man auch aus Deutschland hinaus, nicht nur nach Deutschland hinein, aber so hat sie das vermutlich nicht gemeint.
Manfred Weber hat kein Problem damit, dass unsere Städte „ein Stück weit ihr Gesicht verändern“ werden, was sie ja schon längst getan haben. Brüssel zeigt, wohin das führen kann. Und in Köln fördert man mit Steuergeldern naive migrationsfreundliche Propaganda.
Es war Arthur Schopenhauer, der einst schrieb: „Alle Formen nimmt die Geistlosigkeit an, um sich dahinter zu verstecken: sie verhüllt sich in Schwulst, in Bombast, in den Ton der Überlegenheit und Vornehmigkeit und in hundert anderen Formen.“
Wir sehen es täglich.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: EUS-Nachrichten / Shutterstock.com
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