Von Gregor Leip und Alexander Wallasch
Wagenknecht und ihr Bündnis rufen am Tag der Deutschen Einheit alle Friedensbewegten zur Friedensdemo an die Siegessäule. In drei Demonstrationszügen streben sie auf die „Goldelse“ zu, so nennen die Berliner umgangssprachlich ihre Viktoria mit Blick über die Stadt.
Um die Demozahlen muss man sich am Tag der Deutschen Einheit keine Gedanken machen. Zum einen ist es ein arbeitsfreier Feiertag und zum anderen ist Sahra Wagenknecht für eine nicht geringe Zahl von Regierungsgegnern eine Oppositionelle. Jedenfalls für jene, die ein Mütchen zusammennehmen und damit bei der Ex-Linken landen.
Nein, heute streitet keiner um Teilnehmerzahlen. Schnell sind Zehntausende zusammen und es fehlt immer noch einer der drei Züge am Zielpunkt Siegessäule. Das Wetter wird in jenem Moment besser, als sich die Menschen immer enger zusammendrängen. Fast warm ist es. Ein feiner Nieselregen setzt erst ein, wenn Ralf Stegner ans Mikrofon tritt.
Hier hat sich eine Stimmung ausgebreitet, als habe die geliebte Band der Jugend nochmal die Gitarre in die Verstärker gestöpselt und als stände gleichzeitig ein Ostermarsch auf dem Programm in einer Version der 1980er Jahre: Boomerland ist abgebrannt, aber die Boomer feiern noch ein letztes Mal, was sie gemeinsam angerichtet haben.
Wer bis hier Zweifel hatte, dem sind sie jetzt ausgeräumt: Die Linke ist wieder da und sie schillert in all ihren Facetten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte im Vorfeld Deutschlandfahnen und AfD-Menschen ausgeschlossen. Dafür ist die DKP dabei und bald jeder, den man im linken, im linksradikalen und linksextremistischen Spektrum zu einer Che-Guevara-Geburtstagsfeier einladen würde.
Bis die angekündigten prominenten Redner auf die Bühne kommen, ist noch Zeit für einen Eimer Nostalgie. Also erklingen südamerikanische Revolutionslieder zur Gitarre. Eine linksemotionale Collage aus „Tag der Arbeit“, Ostermarsch und Venceremos. Der Altersdurchschnitt wird etwa bei 60 oder 65 Jahren liegen.
Ohne es rückblickend abwerten zu wollen: Aber was Querdenken-Boss Michael Ballweg sich mit viel Aufwand erarbeitet hat, was er erkämpft und gegen so viele Widerstände für sein Querdenken-Reload vor wenigen Wochen aufgewandt hatte, das funktioniert hier offenbar ohne jede Reibungsverluste. Bald so, als marschiere man Woche für Woche von der Goldelse zum Brandenburger Tor. Alles fügt sich so wunderbar zusammen, als wäre es nie anders gewesen.
Hinter der Bühne stehen die Limousinen eng an eng. Ein eischalenweißer Porsche ist auch dabei. Als Wagenknecht und Lafontaine in einer mattschwarzen Audi-Luxusklasse einschweben, schwärmen aus der Mercedes-Luxuskarosse davor die Sicherheitskräfte aus, erkennbar an den obligatorisch verkabelten Knöpfen im Ohr. Bluetooth ist in diesem Gewerbe offenbar unbekannt.
Peter Gauweiler, der altgediente CSU-Hochkaräter, taucht viel zu früh auf. Er schaut sich um und sieht die Adidasjacke von Autor Gregor Leip. Der lächelnde kleine Löwe aus Bayern hebt gleich den Daumen und zitiert erfreut, was sowieso auf der Jacke steht: „Bayern München!“
Anschließend sitzt er bald eine halbe Stunde auf der Außenkante des Podiums mit einem Regenschirm in der Hand und sieht dabei sehr einsam aus. Wer genauer hinschaut, der sieht seinen Fuß wippen zu Klängen der alten Revolutionslieder. Am Anzug trägt Gauweiler zwei Erinnerungsmedaillen: Eine zeigt Franz Josef Strauß und die andere ein Abbild von Kaiser Ludwig.
Als ein Alter in einer russischen Weltkriegsuniform mit der Flagge der Sowjetunion zu nahe an Gauweiler vorbeikommt, erwischt Autor Leip den richtigen Moment und hat damit zweifellos das Foto des Tages geschossen. Sinnbildlicher als unser Titelbild kann man die Fallstricke dieser Demonstration kaum darstellen.
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CSU-Gauweiler sucht die Nähe der ehemaligen Hardcore-Kommunistin Wagenknecht ebenso wie der SPD-Schreihals und Hetzer Ralf Stegner. Stegner allerdings vertritt hier die Kriegspartei SPD, was auf einer Demonstration gegen Waffenlieferungen schon grotesk genug ist, jedenfalls dann, wenn man noch Mitglied der Kanzlerpartei ist.
Aber Stegner macht es wie auf X: Ihm geht es allein um Aufmerksamkeit. Je mehr Geschrei, desto besser. Erwartbar lässt sich Stegner auspfeifen, er pöbelt ein wenig zurück, alles wie gewohnt.
Später wird Wagenknecht – ihr ist der Protest gegen Stegner hinter der Bühne nicht entgangen – dem Sozialdemokraten in den Rücken fallen, für solche schnellen Anpassungsbewegungen hat die Parteichefin ein feines Gespür.
Die Sowjetfahne ist hier kein Problem. Fahnen aller linken Organisationen sind hier kein Problem. Palästinaflaggen und solche aus dem Libanon sind kein Problem. Aber als sich eine Frau mit einer ukrainischen Flagge zwischen die roten Fahnen der Linkspartei quetschen will, wird sie von den Ordnern immer wieder abgedrängt, bis eine Schreierei die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht.
Erstaunlich ist aber vor allem, wie selbstverständlich sich die linke Szene hier in eine Protesthaltung begibt, ohne zu benennen, wer eigentlich für das verantwortlich zeichnet, gegen das man hier so lautstark protestiert.
Die linke Bundesregierung steht für alles, was hier heute kritisiert wird. Sie steht aber gleichsam mit auf dem Podium. Gespenstisch erscheint zudem, dass die Grünen einfach verschwunden scheinen. Sie finden nicht mehr statt, sind einfach weg. Wie ein Spuk, der plötzlich vorüber ist.
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Author:
Alexander Wallasch