Die Hunde sind satt. In einer hinteren Ecke des Hofes liegen diverse für Menschen nicht mehr verwertbare Teile vom Schaf bereit, doch für den Moment sind diese ansonsten begehrten Leckerbissen verwaist. Wir wohnen der Hausschlachterei eines Freundes bei, der in den neuen Bundesländern eine größere Schäferei betreibt.
Während der Anreise entlang nicht enden wollender Felder und kleiner Wäldchen telefonieren wir. Der Schäfer fragt, ob er mit der Schlachtung schon beginnen soll und ob wir später dazustoßen wollen. Die Frau wollte erst gar nicht mitfahren, sie musste überredet werden. Der erwachsene Sohn hingegen möchte einmal miterleben, was vom lebenden Schaf auf der Weide bis zum Verzehr passiert, was am Ende übrig bleibt und wie es sich anfühlt, dabei zu sein.
Wollen wir von Anfang an dabei sein? Unser Schäferfreund, seit Jahrzehnten im Geschäft, empfiehlt, gemütlicher zu fahren – er fange besser schon mal an. Offenbar hat er schon öfter in die verstörten Gesichter von Städtern geblickt, die Lammfilet und Lammkotelett nur eingeschweißt oder vom Türken kennen – vom Tresen im hinteren Bereich des Gemüseladens – und am Tötungsprozess Anstoß nehmen könnten.
Der Schäfer hat einen Freund und Helfer mit Schlachterausbildung dabei. Das Tier wurde nach Schlachtreife ausgesucht. Im konkreten Fall war es ein Bock, der für die Rassezucht eher ungeeignet schien – nicht lang oder hoch genug, aber ansonsten bestens im Fleisch.
Zur Diskussion stehen Hoden und Innereien. Doch die landen nach deutscher Speisekarte mehrheitlich in der Hundeecke. Kopf und Fell gehen in die Abdeckertonne. Das hat noch etwas mit der zurückliegenden BSE-Krise zu tun.
Beim Fell bekommen wir eine Extra-Erklärung vom Fachmann: Das Gerben sei in Deutschland längst zu teuer geworden. Unter anderem seien die Umweltauflagen zu hoch, und der Preis für den Wiederverkauf trage nicht einmal die Kosten des Gerbens. Felle aus dem Ausland seien deutlich günstiger. Das überrascht, weil auch Polen die europäischen Umweltregelungen einhalten muss. Liegt es an den Arbeitskosten?
Der Fachmann erklärt weiter: Wolle könne wegen der hohen Umweltauflagen in Deutschland nicht mehr konventionell oder im großen Stil gewaschen werden. Es soll jedoch noch ein Unternehmen in Belgien geben. Auf die Frage, was der Schäfer mit der jährlich geschorenen Menge an Schurwolle macht, erfährt man, dass sie nicht selten als Dünger auf Felder von Privatleuten ausgebracht wird.
Der Fleischwolf arbeitet problemlos, aber die Sehnen sollten vorher entfernt werden – sie machen sich nicht gut im Mett, weiß der Helfer. Nach einer kurzen Diskussion, ob man das Mett roh essen kann, greift einer beherzt zu und probiert es einfach. Eigentlich müsste das Schaf noch eine Weile hängen und ausbluten, doch dafür fehlt ein geeigneter Platz auf Dauer, und dort, wo es ginge, werden die Hunde zum Risiko.
Sieben Tiere springen zwischen Schäfer und ihrer Fleischecke hin und her. In der Nähe der Hausschlachtung haben sie jedoch nichts verloren. Über einen streichelzahmen Hund erfahren wir, dass er zwar liebenswert ist, aber als Schäferhund ungeeignet – er bleibt am Hof, wenn die Herde zieht, weil er den Schafen immer wieder in die Ohren gebissen hatte.
Während der Helfer weiter am Schlachttier arbeitet, führt uns der Schäfer in den hohen, wohl über hundert Jahre alten Fachwerkstall. Dort springen ein paar Ziegen umher, und es stehen Schafe, die Verletzungen haben oder ein paar Tage beobachtet werden müssen. Ein Lamm sitzt im Stroh und ist ganz zutraulich. Der Schäfer nimmt es nachts mit ins Haus und zieht es mit der Flasche auf – die Milch wollte nicht fließen, oder die Mutter wollte das Lamm nicht annehmen, und es fand sich auch keine Ersatzmutter.
Eine Geschichte mag gruselig klingen, soll aber erzählt werden, weil sie auch lebensrettend ist: Totgeburten sind in einer großen Herde nicht vermeidbar. Doch das tote Lamm kann noch einen Nutzen haben: Wenn ein anderes Lamm von seiner Mutter nicht angenommen wird, wird dem verstorbenen Lamm das Fell abgezogen und dem fremden Lamm umgebunden. So wird es von der Mutter des verstorbenen Lamms als ihr eigenes anerkannt.
Eine Alternative wäre, die Mutter eng zu fixieren, bis sie das Lamm nach ein paar Tagen hoffentlich annimmt. Doch das macht der Schäfer nicht gern, weil sich das Tier quält und es zudem mit Mehrarbeit beim Füttern und Tränken verbunden ist. Das erzählt der Schäfer, während er das kleine, flaschenaufgezogene Lämmchen auf den Arm nimmt, seinen persianerweichen Kopf streichelt und es einen Moment an seinem rauen Daumen nuckeln lässt.
Viele wissen nicht, dass das Osterlamm nichts mit neugeborenen Lämmern zu tun hat. Das traditionelle Osterlamm ist ein bereits ausgewachsenes Schaf, aber ein milchzartes junges Tier vom Vorjahr, das gerade sein Gewicht erreicht hat. Draußen hat der Helfer das Schlachttier inzwischen fertig zerteilt und in die bereitstehenden Schlachterbehälter gepackt. Man wundert sich, wie wenig Platz ein fertig zerlegtes Tier am Ende braucht.
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Author:
Alexander Wallasch