• 23. März 2025

Vom Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibt im Kriegsfall nicht viel übrig

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März 22, 2025
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Wir haben zuletzt im Interview über Nikita, einen jungen Russen gesprochen, der große Probleme hat, weiter in Deutschland zu bleiben. Sie haben Nikita vor Gericht vertreten. Was ist aus dem jungen Mann geworden?

Wir haben genau im Juni letzten Jahres miteinander gesprochen, nachdem ich gerade Klage erhoben hatte, und zwar in materieller Hinsicht, also wo es nicht mehr darum geht, welches Land zuständig ist, Deutschland oder Polen, sondern ob Nikita einen Anspruch auf Schutz hier in Deutschland hat, weil er einen Einberufungsbefehl erhalten hatte, dem er nicht gefolgt ist.

Diese Klage habe ich zwar erhoben und auch eine Eingangsbestätigung bekommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat dann dem Gericht mitgeteilt, dass es auf eine Stellungnahme verzichtet und auf seinen Bescheid verweist.

Dieser Bescheid war 23 Seiten lang und darin wurde in den Raum gestellt, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass Nikita in Kriegshandlungen verwickelt werden wird. Da wurde tatsächlich angedeutet, dass es nur einzelne Kampfhandlungen gibt. Und ich habe gedacht, warum schicken sie denn dann so viel Waffen in diesen Krieg?

Die haben Nikita beispielsweise zum Nachteil ausgelegt, dass er mal gegenüber einer SPD-Abgeordneten – das war Simona Koß – gesagt hat, es könne nicht sein, dass Christen auf Christen schießen. Das BAMF hat daraus gemacht, dann läge es aber nahe, dass Nikita auf Nicht-Christen schieße.

Am Rande bemerkt: Frau Koß hatte seinerzeit vorgegeben, sie würde in der Angelegenheit helfen wollen und hat das auch in die Zeitung schreiben lassen. Aber geholfen hat sie nicht. Genauso wenig wie die von uns angefragte Saskia Esken. Ein Theologe des pazifistischen Teils der badischen Landeskirche hatte Frau Esken angesprochen. Ich hatte auch noch mal mit dem Büro telefoniert. Also insbesondere die SPD-Abgeordneten haben sich in dieser Angelegenheit absolut nicht mit Ruhm bekleckert.

Noch mal zur Einordnung für die Leser: Wir sind hier bei Nikita, der ist Russe und es geht um das russische Militär.

Genau, es geht um das russische Militär. Nikita ist aus Nowosibirsk. Er wird 28 Jahre alt und ist noch in Berlin. Denn solange über die Klage nicht entschieden ist, muss er nicht ausreisen. Also zurück nach Russland.

Das heißt, Nikita muss auch nicht von pazifistischen Patrioten versteckt werden oder Kirchenasyl bekommen oder so etwas. Er ist offiziell auf freiem Fuß. Aber wenn das Verfahren doch verloren geht, was wären die Folgen? Würde man Nikita in einen Bus stecken und nach Russland schicken?

Wahrscheinlich eher in einen Flieger und dann über Umwege, weil es ja keine Direktflüge nach Russland gibt. Das war ja das Problem im Dublin-Verfahren.

Dazu ist interessant, wie ich einem Urteil von Richter Dr. Justus Rind am Verwaltungsgericht Berlin entnommen habe, dass dort zwei Russen ein Schutzanspruch gegeben wurde mit der Begründung, dass es eher wahrscheinlich sei, dass man in Kampfhandlungen verwickelt werde, wenn man eingezogen wird.

Mich hat das insofern nachdenklich gemacht, weil dieses Mal die Presse sehr umfänglich darüber berichtet hat. Also vom Deutschlandfunk bis zur Tagesschau. Das ist aber ein Divergenz-Urteil. Das bedeutet Folgendes: Es gibt eine dem entgegenstehende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin, welches noch im August 2024 gesagt hat: Die bekommen kein Schutz.

Divergenz-Urteil bedeutet, dass, wenn man diesen Rechtsfehler rügt, dass Urteil eines höherrangigen Gerichtes nicht eingehalten wurde. Und dann ist es sehr, sehr wahrscheinlich, dass das Urteil wieder gekippt wird.

Es geht demnach darum, dass von den russischen Soldaten nicht alle an diesem Ukrainekrieg teilnehmen. Deshalb sagt man: Es ist gar nicht gegeben, dass er unbedingt dort eingezogen wird. Wenn es aber so sein sollte, wäre er Teilnehmer eines Angriffskrieges und hätte das Recht, hier zu bleiben?

Diese Frage hat immer zwei Komponenten: Zunächst eine rechtliche. Das ist der Schutz vor Verfolgung im Herkunftsland. Und das wäre tatsächlich der Fall, wenn man Nikita strafrechtlich belangen würde, weil er sich dem Einberufungsbefehl widersetzt hat. Wenn man ihn strafrechtlich belangen würde, weil er sich im Dublin-Verfahren sehr häufig ablehnend gegenüber dem Krieg geäußert hat.

Die andere Komponente ist auch eine moralische: Wenn ich als außenstehendes Land bezogen auf den Krieg zweier anderer Länder – wovon einer der Angreifer ist und der andere sein Land verteidigt – wenn ich dort diesen Angriffskrieg zu Recht verurteile, dann ist es eigentlich eine moralische Pflicht, diejenigen, die sich an dem Angriffskrieg nicht beteiligen wollen, zu schützen.

Jetzt haben wir aber auch einen umgekehrten Fall. Da hat der Bundesgerichtshof einen Ukrainer dazu verurteilt, Deutschland zu verlassen Richtung Ostfront. Die Überlebensrate soll zwischen Stunden und wenigen Tagen liegen. Wo ist der Unterschied zum Russen Nikita?

Es ist absolut nicht sinnvoll überhaupt in einen Krieg zu ziehen. Die Rechtslage ­ – sprich die völkerrechtliche Beurteilung – liegt bei den Ukrainern aber deswegen anders, weil vom Verteidigungsfall auszugehen ist. Da wird unterschieden zwischen Angriffskrieg und Verteidigungsfall. Das heißt, nach Völkerrecht hat jedes Land das Recht, seine Bürger zur Landesverteidigung einzuziehen, übrigens auch Deutschland. Darauf komme ich gleich noch.

Es gab einen Grund, warum ich mich damit überhaupt intensiver beschäftigt habe: Ich war mit dem Theologen der Nikita Kirchenasyl gegeben hat, im Juli 2023 bei der Evangelischen Akademie Berlin zu einem Symposium zum Thema Flüchtlingsfragen. Und dort gab es ein Seminar einer Kollegin zum Thema „Ob Russen jetzt nach Hause geschickt werden dürfen – ja oder nein“.

Die Kollegin hat genau auf diese völkerrechtlichen Regelungen Bezug genommen und gesagt: Jedes Land habe das Recht, seine Bürger einzuziehen. Ich habe erwidert: Frau Kollegin, aber das gilt doch nicht für einen Angriffskrieg, wo kommen wir denn da hin?

Und das ist der springende Punkt: Ist es rechtmäßig oder nicht rechtmäßig je nachdem, auf welcher Seite die Leute eingezogen werden? Müssten sie Schutz bekommen? Wenn es rechtlich zu beurteilen wäre, müsste man Russen schützen, weil sie sich an einem Angriffskrieg beteiligen. Und die Ukrainer müsste man tatsächlich zurückschicken, weil die ihr Land verteidigen.

Ist es nicht relevant, dass es zum Ukrainekrieg eine Vorgeschichte gibt? Was wäre, wenn die ukrainische Führung diesen Krieg längst hätte auf diplomatischem Wege beenden können? Da gab es 2022 Friedensverhandlungen, die wurden ausgesetzt. Warum und von wem? Dann gibt es massivste Waffenlieferungen in die Ukraine. Dann gibt es mittlerweile territoriale …

An der Stelle muss ich mal unterbrechen. Dazu kann ich mich nicht wirklich fachlich und sachlich fundiert äußern. Dazu habe ich das genaue Kriegsgeschehen nicht verfolgt.

Stimmen Sie zu, dass in dieser Situation der Angriff der Russen und die Verteidigung der Ukrainer noch eine komplexere Betrachtung erlaubt?

Die Frage zu beantworten ist schwierig. Denn das ist eine Sache, die rein hypothetisch ist und wozu man wirklich Militärrechtsexperte sein müsste.

Werden solche Experten an den Gerichten hinzugezogen?

Ich habe diesen einen Fall aus Russland. Deswegen kann ich das nicht beurteilen. Ich will aber auf etwas anderes hinweisen: Diese Entscheidung hat tatsächlich auch Bedeutung für Deutschland. Nur für den hypothetischen Fall, dass es in irgendeiner Form so kommen wird, dass deutsche Soldaten in Kriegshandlungen welcher Art – im Verteidigungsfall – verwickelt werden, dann ist das relevant für das eigentlich grundrechtlich verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

Die völkerrechtlichen Regeln gelten in diesem Fall auch für Deutschland. Und dann bin ich relativ sicher, dass der deutsche Staat dieses Recht auf Kriegsdienstverweigerung aussetzen würde, mit der Begründung es ist der Verteidigungsfall.

Das hat auch das BGH entschieden. laut BGH ist die Kriegsdienstverweigerung kein Auslieferungshindernis, wenn der betreffende Staat völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und der Betroffene deshalb mit der Einziehung zum Militärdienst rechnen muss.

Das ist aber komplett absurd, denn wer den Kriegsdienst verweigert, der möchte in keinem Fall mit Waffen und dem Töten in Verbindung gebracht werden oder sich daran beteiligen, egal in welchem Zusammenhang.

Dazu hieß es ja früher bei den Zivildienstleistenden: Ihr kommt ersatzweise in den Sanitätsdienst.

Das wird man dann im Zweifel sehen. Aber wie viel ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung wert ist, zeigt sich erst im Kriegsfall. In Friedenszeiten kann ich da viel reinschreiben, das sieht hübsch aus. Und dann sehe ich aus wie ein total demokratischer und toleranter Staat. Da steht drin: Wir haben das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern. Und zwar genau so lange, bis der Krieg ausbricht.

Wenn wir die 200.000 sich in Deutschland aufhaltenden wehrfähigen Ukrainer mit einem Schlag allesamt zwangsausweisen, wer kann das moralisch, ethisch und vor allem menschlich überhaupt verantworten – geschweige denn organisieren? Wie will man solche Deportationen durchführen lassen?

Herr Wallasch, Sie haben ja wahrscheinlich schon eine Weile verfolgt, was ich so mache und was ich für eine Persönlichkeit bin. Das, was ich gemacht habe, ist, Ihnen die Rechtslage zu erklären. Das hat nicht unbedingt was damit zu tun, was ich im Zweifel machen würde. Es hat im August 2023 ein russischer Deserteur bei mir auf der Küchenbank gesessen und hatte erwogen, bei mir Schutz zu suchen.

Der hat dann am Ende Angst bekommen. Aber der von ihm geschilderte Fall – ich kann das nur als Schilderung wiedergeben – war, dass er in einem Ausbildungslager in Polen nahe der deutschen Grenze an seine Frau geschrieben hat, dass er nicht töten kann und dort hätten ihm die Ausbilder, von denen er nicht erzählt hat, ob das Ukrainer oder Polen gewesen sind, die hätten zu ihm gesagt: Wenn du deiner Frau nicht schreibst, dass du bereit bist, zu töten, dann hängen wir dich am nächsten Baum auf und lassen es wie ein Suizid aussehen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Schilderung dieses Mannes der Wahrheit entspricht. Das würde tatsächlich bedeuten, dass unabhängig von der Frage, wer den Krieg angefangen hat, die Methoden auf beiden Seiten gleich unfein sind, und zwar sowohl im Umgang mit den eigenen Soldaten als auch im Umgang mit den zivilen Opfern des Krieges.

Warum ich in diesem aktuellen Zeitgeschehen so arbeite und lebe, wie ich es tue, hat tatsächlich schon eine Begründung in meiner Jugend. Für Schwerter zu Pflugscharen habe ich auf mein Abitur verzichtet und das zieht sich durch mein Leben, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Kriegshandlungen wie auch immer, die Welt auch nur ansatzweise ein Stück verbessern können.

Danke für das Gespräch!

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Author:
Alexander Wallasch

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